Der dritte Auftritt

[225] Betty. Lucie.


LUCIE. Gib den unglücklichen Brief zurück, Betty. Alle List ist vergeblich. Wut, Wut ist allein noch für Lucien übrig. Amalie liebt Karln. Sie hat ihm bereits ihre Hand versprochen. Ich habe es diesen Augenblick aus dem Mund ihres eigenen Vaters gehöret. Gib den Brief zurück, damit sie nicht meine Schande lesen und über mich frohlocken kann. Wo ist er? Gib ihn zurück.

BETTY. Es ist zu spät, Fräulein, Amalie hat ihn gelesen.

LUCIE. Meine Nebenbuhlerin einen Brief, in dem ich mich selbst unter[225] sie erniedrige? Aus dem sie die ganze Größe meines Verlustes sehen kann? Soll sie über mich frohlocken? Über Lucien? Nichtswürdige Betty, mußtest du eilen –

BETTY. War es nicht Ihr Befehl, Fräulein?

LUCIE. Ja, meine elende List ist Ursache; meine törichte Hoffnung, meine Nebenbuhlerin durch ihre Großmut zu überwinden. Einfältige Lucie! die Zuflucht zu der Großmut einer Nebenbuhlerin, und wenn es auch eine Amalie selbst ist, zu nehmen? Kenne ich die menschlichen Tugenden nicht? War es mir fremd, daß sie nichts mehr sind als die Decke des Lasters? Strafe mein Herz, Betty! strafe es durch die Erzählung von dem Triumphe meiner Nebenbuhlerin, als sie mein eignes Geständnis las, daß sie besser als ich sei.

BETTY. Wie lange wollen Sie sich doch durch Ihre heroische Liebe lächerlich machen? Die Zeit, da der meineidige Ritter den Tod verdiente, der seiner Prinzessin untreu ward, ist vergangen. Erinnern Sie sich doch, daß Sie in einem weit philosophischen Zeitalter in Ansehung der Liebe leben. Mehr als zwölf liebenswürdige Herren bieten Ihnen Ihre Rache wider Karl Southwell an, und ehe ein Monat vergeht, können Sie sich von allen zwölfen gerächet sehen.

LUCIE. Dein unsinniges Geschwätz hat mich schon mehr als einmal verdrießlich gemachet. Sage mir, mit was für Mienen Amalie den Brief empfangen hat.

BETTY. Unglückliche Neubegierde! was wird sie Ihnen helfen, als Ihre Verzweiflung verstärken? Doch Sie wollen es. Hören Sie denn: Sie empfing Ihren Brief wie eine Person, die unsern feinen Geschmack in der Liebe besitzt. Sie las ihn, lächelte, las ihn Sir Karln vor. Er seufzte einmal, vielleicht aus einer verstellten Höflichkeit. Amalie verwies ihm seinen Seufzer, schlang den Arm um ihn und führte ihn fort. Sehen Sie, dies ist alles, was ich Ihnen sagen kann.

LUCIE. Freue dich deines Sieges, meine Feindin, aber zittere vor Luciens Rache, die mit starken Schritten auf dich loseilet. Ich haßte dich ehemals, weil du besser als ich warst, und jetzt freue ich mich, daß ich dich hassen kann, weil du niederträchtiger als ich bist. Herrlicher Ruhm für Lucien! Es gibt noch jemand, der niederträchtiger als sie ist. Doch vielleicht spottet sie jetzt in dem Genusse der Zärtlichkeiten einer ebenso niederträchtigen Seele als die ihrige meiner Qual, und der ungerechteste Bösewicht, den der ebenso ungerechte Himmel leben läßt, lehrt sie in seinen Armen, wie sie über mich[226] frohlocken soll. Auf, Lucie! die Opfer deiner Rache sind bereit. Gib ihnen den tödlichen Streich. Sieh diese Qual, mit der ihre treulose Seele von ihnen flieht. Freue dich noch einmal über ihre Qual, verzweifle sodann und stirb.


Quelle:
Die Anfänge des bürgerlichen Trauerspiels in den fünfziger Jahren. Leipzig 1934, S. 225-227.
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