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[84] Nikomedien, den 26. Februar 303.
Was steht mir bevor! Zu welchem entsetzlichen Schritte will mich der harte Heliodor zwingen! Ich soll mich Agathokles entdecken, jetzt – in diesen Verhältnissen, und ohne Verzug. Weigere ich mich, es selbst auf eine schickliche Art zu thun, so hat er mir gedroht hinzugehen, und ohne alle Schonung – denn was gilt Liebe und Zartgefühl einer so rauben Tugend? – es ihm geradezu zu sagen. Was bleibt mir übrig?
Wiedersehen! O Ton, der sonst meine ganze Seele mit Entzückungen durchbebte! Wiedersehen! Wie schrecklich, wie schauerlich klingt er jetzt in meinem Ohr! Ach, als wir uns im Garten zu Edessa trafen – wir waren durch heilige Pflichten getrennt – aber er liebte mich! Das sagte mir sein Blick, seine ausgebreiteten Arme, seine sprachlose Freude. Ich sank an seine Brust. Acht Jahre der Trennung hatten unsre Empfindungen nicht geändert; meine Hand war eines Andern, mein Herz war sein. O das waren glückliche Tage – die schönsten meines Lebens! Jetzt mit Scheu und Zittern sehe ich dem fürchterlichen Augenblicke entgegen, dieser Verwirrung, diesem bangen Schrecken! O seine Bestürzung wird mich vernichten, seine Beschämung mir qualvoller seyn, als ewige Trennung![84]
Ich soll mich ihm zeigen, in dieser blassen abgehärmten Gestalt, mit diesen verweinten Augen, mit der Narbe auf den Wangen, ihm, der täglich das reizendste Geschöpf der Erde in seine Arme schließt? Nein, nein, tausendmal lieber sterben! Und was bleibt mir übrig? – Ich will fliehen! er soll hören, daß ich lebe, aber er soll mich nicht wieder sehen! Er würde sich Mühe geben, mich artig zu empfangen, die Veränderung meiner Gestalt nicht zu bemerken, er würde mir recht viel Verbindliches sagen, wie es ihn freue, mich wieder zu sehen, wie bestürzt er über die Nachricht meines Todes gewesen u.s.w. Und ich – ich würde verzweifeln!
O was hat Heliodor über mich gebracht! In welchen Jammer hat er mich gestürzt! Und er glaubt noch ein Recht zu haben, mit mir zu zürnen, er sieht mich für strafbar an! Dahin kommt ein Herz, das sich jedem sanften Gefühl aus Anlage oder Grundsatz verschlossen hat!
Diesen Morgen kam er plötzlich und in sehr lebhafter Bewegung zu mir. Er hatte erst gestern spät den Namen und die Umstände seines Kranken erfahren. Mein ehemaliges Geständniß fiel ihm ein, er eilte rasch zu mir, um mich um die Ursache meiner vorsätzlichen Verborgenheit zu fragen, da der Freund meiner Jugend unter einem Dache mit mir lebte. Seine strenge Tugend hatte sich eine wohlgefällige Vorstellung dieser Ursache entworfen. Er hatte mir Kälte und schwärmerische Andacht genug zugetraut, daß ich freiwillig meinen liebsten Wünschen entsagen, mich den Pflichten des Hauses für immer widmen, und mein Leben in der ihm so erhaben dünkenden beschaulichen Abgezogenheit zubringen würde. Er war[85] ganz gerührt von dieser Vorstellung, er fing an, mich zu loben, sein Auge ruhte mit väterlichem Wohlgefallen auf mir. O wie peinlich war mir dies Lob! Nicht der ungerechteste Verdacht hätte mich halb so sehr geschmerzt! Eine Weile schwieg ich, endlich konnte ich's nicht länger ertragend. Ich gestand ihm unter Thränen Alles, was ich sagen konnte, ohne Calpurniens Besuche und ihre Verkleidung zu verrathen; denn leicht hätte er bei seinen strengen Begriffen ein Aergerniß daran nehmen, und dem schönen Sclaven den Zutritt verwehren können, und ich – ach, ich will das Glück der Liebenden nicht stören!
Er fand es sehr unrecht, daß eine so verzeihliche Untreue, als die des Agathokles, der mich seit mehr als einem Jahre für todt hielt, mich so aufbrächte, daß ich ihn gar nicht wieder sehen wollte. Man könnte ja, meinte er, wenn die Liebe aufgehört habe, noch Freundschaft für einander fühlen, und sich herzlich gut seyn. Es war vergeblich, ihm die Unmöglichkeit dieser Freundlichkeit begreifen zu machen; er sah es ein, daß das beschämende Gefühl des Flattersinns und Unrechts, wie verzeihlich es auch sey, das reine Verhältniß ewig stören, und die verstimmten Saiten nie wieder harmonisch klingen würden. Als er endlich meinem Eigensinn diese Grille zugestand, fand er doch, daß, wenn ich auch Agathokles Freundin nicht seyn wollte, so würde er doch erfahren dürfen, daß ich lebe, ja, er würde es, der Natur der Sachen nach, über kurz oder lang erfahren müssen. Das mußte ich zugeben – aber ich sagte zuletzt, als er mit unaussprechlicher Härte in mich drang, es würde mir nicht so viel daran liegen, daß Agathokles mein Daseyn[86] erfahre, wenn ich nur erst entfernt, und bei dir in Apamäa wäre. Nun wollte er die Ursache dieser Seltsamkeit wissen. Er forschte, er fragte, und ach, auf allen Seiten gedrängt, und mit einer grausamen Consequenz von Schlüssen, Voraussetzungen und Folgen auf's Aeußerste getrieben, bekannte ich endlich, daß mir der Gedanke, mich, so entstellt wie ich bin, neben der schönen Calpurnia zu zeigen, unerträglich, und schlechterdings unmöglich sey.
Das ist's! fuhr er auf ein Mal mit einer Heftigkeit auf, daß ich zusammenschrak. Das ist's, die Eitelkeit ist's, die euer Geschlecht von jeher zum Bösen verführt, die den Tod, die Erbsünde, die alle Uebel der Welt über uns gebracht hat. Aus Eitelkeit sündigte Eva, aus Eitelkeit fallen ihre Töchter. Und nun ergoß sich ein fürchterlicher Strom von Beredtsamkeit, den ich vergebens zu unterbrechen suchte. Er hielt mir alle meine Vergehungen vor, seit dem ersten Augenblick, als er mich bei den Gothen gefunden, Falschheit, übermäßige Leidenschaft, Verkehrtheit, Bosheit, Eitelkeit – ach Gott weiß, was Alles! Ich fing an zu weinen und zu zittern. Ich erkannte, daß er in vielen Stücken Recht hatte; aber so schlimm, als sein Zorn mich machte, bin ich doch nicht. – O Gott! Meine Absicht war ja schuldlos! Kann es ein Verbrechen seyn, nur nicht so ganz verschmäht und vergessen neben der glücklichen Nebenbuhlerin stehen zu wollen? Ich will ihnen ja kein Uebels – ach, ich habe es ja sogar schon über mein Herz vermocht, für Calpurnien zu beten! Kann ich denn gar so strafbar seyn? Und doch legt es mir Heliodor als Buße auf, als unerläßliche[87] Bedingung, unter der allein mir meine Sünden vergeben werden können, mich Agathokles zu entdecken? Was kann ich thun?
Er ging im höchsten Zorn von mir weg. Alles, was ich erhalten konnte, war, daß er nicht auf der Stelle zu Agathokles eilte, aber ich mußte ihm geloben, es morgen selbst zu thun. O Junia! Das wird ein schrecklicher Tag werden!
Einige Stunden später.
Wie ein Engel, von Gott gesandt, ist mir auf einmal der Gedanke gekommen, mich an den edlen Constantin zu wenden. Er ist Agathokles Freund, es kann ihm an dem Zartgefühl nicht fehlen, das die Behandlung dieses Verhältnisses fordert. Ich werde ihm schreiben, mein Brief wird meine Rettung in Trachene, meine Befreiung durch Heliodor, meinen Aufenthalt in Synthium, in Nicäa, und die Beweggründe enthalten, die mich bisher so handeln machten. Constantin müßte nicht so edel seyn, als ihn der Ruf und seine Gestalt verkündet, wenn er nicht Sinn für meine Lage, und den festen Willen haben sollte, das peinliche Verhältniß auf die Art zu lösen, wie es für seinen Freund und mich am besten ist. Er kennt sein Herz, er wird die Wirkung beurtheilen können, die diese Entdeckung auf ihn machen muß. O wenn er – ich werde ihn dringend darum bitten – wenn er es so einzuleiten wüßte, daß Agathokles selbst damit zufrieden wäre, mich nie wieder zu sehen! Nie wiedersehen! Junia! Niemals – niemals, in meinem ganzen Leben nicht wieder sehen! – Es ist ein schrecklicher Gedanke! –[88] Ich sehe seine Nothwendigkeit ein, aber ich zittere noch davor – ich kann ihn noch nicht ganz fassen. – Niemals.
Später.
Der Brief ist geschrieben. Ich erwarte Constantins Ankunft. Mit welchen Gefühlen! kannst du mir leichter nachempfinden, als ich sagen. O in dem Augenblicke, da das Loos fallen muß, da wir in die schicksalvolle Urne greifen, entsetzt sich das Herz, die festesten Entschlüsse wanken noch ein Mal, zum letzten Mal; und so drückend uns die Ungewißheit dünkte, so heftig ergreifen wir jeden Augenblick, der sie zu verlängern im Stande ist. Die Nacht ist da. Calpurnia, die jeden Tag mit der Dämmerung kömmt, ist bereits wieder fort. Constantin kann jeden Augenblick kommen – dann ist Alles unwiderruflich geschehen! dann ist mein Stab gebrochen!
Bei der Gewißheit, daß ich ihn in meinem Leben nicht mehr sehen werde, habe ich gestern und heute das einzige Glück, das mir übrigt, mit Geiz genossen. Sein Zimmer zu betreten wagte ich seit acht Tagen nicht mehr, seitdem Calpurniens erster Besuch mich daraus vertrieb. Tabitha hat seine Pflege übernommen, ich besorge dafür ihre Kranken; aber im Nebenzimmer halte ich mich auf, so viel ich kann. Da höre ich ihn athmen, reden, seufzen – ach für wen? Es ist eine schmerzliche Freude, aber es ist meine einzige – meine letzte! Bald werde ich auch ihr entsagen müssen! Dann wird seine Stimme nie wieder tausend süße Gefühle und Erinnerungen in[89] meiner Brust wecken, dann werde ich nichts mehr für ihn zu sorgen haben – dann ist Alles – Alles verloren! O Junia!
Vielleicht folge ich diesem Briefe bald – bis morgen ist mein Schicksal entschieden – ich komme schnell – schnell!
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