An Schelling

[127] Als Zueignung zu einem Drama


1823.


Es muß ein Volk allmählich höher steigen,

Es kann zurück sich nicht ergehn zum Kinde;

Der Dichtung erster, jugendlicher Reigen

Zog längst vorüber, flog vorbei geschwinde:

Sophisten kamen, sie begann zu schweigen,

Und löste nach und nach die goldne Binde.

Doch jene Nüchternen bezwang dein Streben,

Und so entflammtest du das neue Leben!


Was deutsche Kraft in dieser Zeit erreichte,

Gehört dir an, und neigt sich deinem Bilde,

Und dein vor allen sei dies Lied, das leichte,

Das du zuerst empfingst mit edler Milde,

Versammelnd rings um dessen frühste Beichte,

Von Fraun und Männern eine schöne Gilde:

Sei's, daß das Volk es nun mit Gunst bezahle,

Du ließest leben es zum ersten Male!


Nun mögen Lieder sich zum Liede reihen,

Geschichte zu Geschichte, Sag an Sage,

Ich sehne mich, sie alle dir zu weihen,

Die noch als Keim ich in der Seele trage,

Dir, der gehört mit gütigem Verzeihen

Die frühsten Klänge meiner jungen Tage,

Da noch ich sang des Stolzes mut'ge Triebe,

Und jenen brennenden nach Ruhm und Liebe.
[127]

Doch hat das Herz sich nie zurecht gefunden

In dieses Lebens ird'schen Paradiesen:

Die freie Liebe, die es ungebunden

Den Menschen bot, sie ward verlacht von diesen,

Und frühe fühlt ich in verlaßnen Stunden

Mich auf mein eignes, dunkles Selbst verwiesen,

Und früh begann ein unaussprechlich Sehnen,

Die Brust durch Seufzer mächtig auszudehnen.


Das ist vorbei! Ich lernte viel verschmerzen,

Ich fühlte Kraft, mir Alles zu versagen,

Und eine Welt von Heiterkeit und Scherzen

Im leichtbeweglichen Gemüt zu tragen:

Nur selten soll die tiefe Qual im Herzen

Ergießen sich in ungeheure Klagen,

Und jeder Hörer fühle dann mit Beben,

Was für ein trauriges Geschenk das Leben!


So ward gestählt ich denn und ausgestattet

Zu Taten, die ich länger nicht verschiebe:

Mein Mut, in Qualen nach und nach ermattet,

Wird nie mehr betteln gehn um weiche Liebe.

Vielleicht, da Stunde sich zu Stunde gattet,

Gelingt es meinem Glühenden Betriebe,

Daß ich dereinst, wenn deutsches Wort ich meistre,

Die edle Jugend dieses Volks begeistre.


Quelle:
August Graf von Platen: Werke in zwei Bänden. Band 1: Lyrik. München 1982, S. 127-128.
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