Prolog an Goethe

[124] Zu einer Übersetzung Hafisischer Gedichte


1822.


Erhabner Greis, der du des Hafis Tönen

Zuerst geneigt, sie grüßend aufgenommen,

Du magst dich noch einmal an ihn gewöhnen,

Du siehst ihn wieder dir entgegenkommen,

Mit frohem Klang der Zeiten Drang verschönen,

Vielleicht von innerlichem Schmerz beklommen;

Viel muß ein solcher Geist von solchen Gaben,

Wenn er um Leichtsinn buhlt, gelitten haben.


Im Kampfe muß er sich entgegen wagen

Der eignen Liebe, wie dem fremden Hasse;

Denn einem Solchen Liebe zu versagen,

Ist eine Wollust für die stumpfe Masse,

Und Dies und Jenes wird herbeigetragen,[124]

Daß man ihn stets bei seiner Schwäche fasse,

Und fehlen ihm, so leiht man ihm Gebrechen,

Ihm, der zu groß ist, um zu widersprechen.


Das mochte Hafis wohl im Geist bedenken,

Und ließ getrost des Lebens Stürme rollen:

Wenn in Befriedigung wir uns versenken,

Entgehn wir eigner Qual und fremdem Grollen:

Beim Wein im Becher, bei dem Kuß des Schenken,

Bei Liedern, die melodisch ihm entquollen,

Empfand er stets im Herzen sich gesünder,

Wiewohl sie schrien: Es ist ein großer Sünder!


Er schuf indes durch Bilder oder Sprüche

Ein Netz, worin die Herzen man erbeutet,

Ein Gartenbeet erquickender Gerüche,

Dem jede falsche Nessel ausgereutet,

Und einen Himmel ohne Wolkenbrüche,

Wo jeder Stern auf eine Blume deutet:

Und so verglichest du dir ihn bescheiden,

In Tat und Sinn, im Streben und im Leiden.


Was hast du nicht erlitten und erfahren!

Wie teuer mußtest du den Ruhm erkaufen!

Verkannt von ferne hausenden Barbaren,

Vom Schwarm der Gecken lästig überlaufen,

Die Übelwollenden zu ganzen Scharen,

Die Mißverstehenden zu ganzen Haufen,

Und wenn ich alles insgesamt erwähne,

Der Krittler freche, wenn auch stumpfe Zähne.


Und wie du sonst in jugendlichen Tagen,

Sie reich beschüttet hast mit Blütenflocken;

Und sie, zu feig die schöne Last zu tragen,

Sich zeigten neidisch halb und halb erschrocken:

So sehn wir jetzt sie noch hervor sich wagen,

Um Schmach zu bieten deinen Silberlocken;

Doch dies Geschlecht vermag dich nicht zu hemmen,

Es muß die Welt sich dir entgegenstemmen.


Da schwoll's um dich in ungeheuern Wogen,

Da schien der Boden unter dir zu wanken,[125]

Die ganze Masse ward mit fortgezogen,

Und Jeder trat aus seinen eignen Schranken:

Du bliebst allein der engen Pflicht gewogen,

Getreu dem lebenschaffenden Gedanken,

Indes die Zeit, in ungebundner Meinung,

Dem Leben bot die gräßliche Verneinung.


Da galt es Kämpfe gegen ganze Massen:

Ein ernster Streit entflammte sich, ein neuer,

Weit über das hinaus, was Menschen fassen,

Und die politisch kleinen Ungeheuer

Verzehrten sich im gegenseit'gen Hassen;

Du aber standest unbewegt am Steuer,

Sinnschwere Worte werfend in die Winde,

Daß einst der Sohn, der Enkel einst sie finde.


Und stelltest dar, in wahren, großen Zügen,

In welchen Abgrund die Begierde führet,

Wenn das Gefühl sich nicht vermag zu fügen,

Und wenn der Geist nach dem Versagten spüret,

Und was, begabt mit fröhlichem Genügen,

Den Deutschen, rechtlich wie sie sind, gebühret:

Bei dieses Taumels schwankender Empörung

Zu hemmen und zu meiden die Zerstörung.


Und überall, im reichergoßnen Leben,

In tausendfachen Bildern und Gestalten,

Die bis herunter in ihr kleinstes Weben

Anmut und Wahrheit um sich her entfalten,

Hast du die große Lehre nur gegeben,

Im eignen Kreise müsse jeder walten,

Und überall umschwebt uns der Gedanke:

Freiheit erscheint nur im Bezirk der Schranke.


Dich hat die Ahnung aber nicht betrogen:

Macht wider Macht ist kräftig aufgestanden,

Zur Hälfte schon ist jener Wahn verflogen,

Der alles Leben löste von den Banden,

Worin es gütig die Natur erzogen,

Und da die Wahrheit wir verirrend fanden,

So sein vergessen jene Greueltaten:

Es steht die Blume zwischen jungen Saaten.
[126]

Wenn auch der alte, hohe Baum verdorben,

Der eine Welt im Schatten konnte wahren,

Wenn auch der Glanz von ehedem erstorben,

Zerstückt ein Reich, das trotzte tausend Jahren,

So ward dafür ein geistiges erworben,

Und immer schöner wird sich's offenbaren,

Und fehlt ein Kaiser dieses Reiches Throne,

So nimm von uns, die du verdienst, die Krone!


Quelle:
August Graf von Platen: Werke in zwei Bänden. Band 1: Lyrik. München 1982, S. 124-127.
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