|
[59] In tiefe Junimitternacht
Der mystische Mond herniederwacht.
Einschläfernde Nebel dunsten leise
Heraus aus seinem goldnen Kreise
Und triefen sanft wie Schlummerlieder
Tropfen um Tropfen sachte nieder
Auf Höhen, schimmernd wie Opal,
Und in das allumfassende Tal.
Auf einem Grab nickt Rosmarin,
Träg lehnt die Lilie drüber hin.
Von leerem Nebel überdacht
Fault die Ruine hinein in Nacht.
Wie Lethe sieh den Weiher ruhn,
Scheint tiefen, tiefen Schlaf zu tun,
Nicht um die Welt erwachte er nun.
Alle Schönheit schläft! – und ach! wo liegt
(Ihr Fenster den Himmeln geöffnet) – wo liegt
Irene, vom Schicksal eingewiegt!
O Schönste! – ach! ich steh' betroffen:
Das Fenster weit dem Nachtwind offen?
Die Lüfte fallen im Mondenschein
Vom Baum herab durchs Gitter ein –
Sie flüchten flüsternd wie Geisterschar
Durch dein Gemach und stoßen gar
Am Bett den bunten Baldachin
So schaurig her, so schaurig hin
Über des Auges geschlossene Glut,
Darunter die schlummernde Seele ruht,
Daß Schatten gleich Gespenstern weben
Und Wand und Boden irr beleben.[60]
O liebe Dame, banget dir?
Warum und was nur träumst du hier?
Gewiß, du kamst von fernstem Meer,
Ein Wunder, in diesen Garten her!
Seltsam deine Blässe! Seltsam dein Kleid!
Die Locken länger als jederzeit!
Seltsam die düstere Feierlichkeit!
Sie schläft! Und wie sie dauernd ruht,
So ruhe sie auch tief! Und gut
Hab Himmel sie in heiliger Hut!
Heiliger sie jetzt und der Raum,
Schwermütiger sie als je ihr Traum.
O Gott! laß nie ihren Schlaf vergehn,
Ihr Auge nie sich öffnen und sehn,
Indes die Gespenster vorüberwehn!
Meine Liebe, sie schläft! Wie dauernd sie ruht,
So ruhe sie auch tief und gut;
Leis krieche um sie die Würmerbrut!
Mög fern im Forst, in Düster und Duft,
Für sie sich auftun eine Gruft –
Eine Gruft, die oft das schwarze Tor
Aufwarf vor bangem Trauerchor,
Triumphierend über den Wappenflor
Der Toten aus ihrem erhabenen Hause –
Eine Gruft, entlegen wie Einsiedlerklause,
Deren Tor ihr einst beim kindlichen Spiel
Für manchen Stein gedient als Ziel –
Ein Grab, aus dessen tönendem Tor
Sie nimmermehr zwingt ein Echo hervor,
Das dröhnend dem Kind in die Ohren rollte,
Als sei es der Tod, der da drinnen grollte.
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte
|
Buchempfehlung
»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.
90 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro