Angstgebet in Wohnungsnot (1923)

[271] Ach, lieber Gott, gib, daß sie nicht

Uns aus der Wohnung jagen.

Was soll ich ihr denn noch sagen –

Meiner Frau – in ihr verheultes Gesicht!?


Ich ringe meine Hände.

Weil ich keinen Ausweg fände,

Wenn's eines Tags so wirklich wär:

Bett, Kleider, Bücher, mein Sekretär, –

Daß das auf der Straße stände.


Sollt ich's versetzen, verkaufen?

Ist all doch nötigstes Gerät.

Wir würden, einmal, die Not versaufen,

Und dann: Wer weiß, was ich tät.


Ich hänge so an dem Bilde,

Das noch von meiner Großmama stammt.

Gott, gieße doch etwas Milde

Über das steinerne Wohnungsamt.


Wie meine Frau die Nacht durchweint,

Das barmt durch all meine Träume.

Gott, laß uns die lieben zwei Räume

Mit der Sonne, die vormittags hinein scheint.

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, Zürich 1994, S. 271-272.
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