Einsiedlers Heiliger Abend

[331] Ich hab' in den Weihnachtstagen –

Ich weiß auch, warum –

Mir selbst einen Christbaum geschlagen,

Der ist ganz verkrüppelt und krumm.


Ich bohrte ein Loch in die Diele

Und steckte ihn da hinein

Und stellte rings um ihn viele

Flaschen Burgunderwein.


Und zierte, um Baumschmuck und Lichter

Zu sparen, ihn abends noch spät

Mit Löffeln, Gabeln und Trichter

Und anderem blanken Gerät.


Ich kochte zur heiligen Stunde

Mir Erbsensuppe mit Speck

Und gab meinem fröhlichen Hunde

Gulasch und litt seinen Dreck.


Und sang aus burgundernder Kehle

Das Pfannenflickerlied.

Und pries mit bewundernder Seele

Alles das, was ich mied.
[331]

Es glimmte petroleumbetrunken

Später der Lampendocht.

Ich saß in Gedanken versunken.

Da hat's an die Türe gepocht,


Und pochte wieder und wieder.

Es konnte das Christkind sein.

Und klang's nicht wie Weihnachtslieder?

Ich aber rief nicht: »Herein!«


Ich zog mich aus und ging leise

Zu Bett, ohne Angst, ohne Spott,

Und dankte auf krumme Weise

Lallend dem lieben Gott.

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, Zürich 1994, S. 331-332.
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