Maiengruß an den Redakteur

[291] Frühlingszartes Wohlbehagen

Schwellt erfrorne Poesie.

Maiberauscht im Speisewagen

Ballt sich etwas wie Genie.
[291]

Weil Berlin voraus in Sicht ist

Und die Sonne mich bestrahlt.

Und je länger ein Gedicht ist,

Desto besser wird's bezahlt.


Darum: Hundertzweiundneunzig

Tausend und fünfhundertzwei

Oder noch mehr Leute freun sich.

Denn der Winter ist vorbei.


Elf Millionen zweimal hundert

Tausend siebenhundertzehn

Menschen sind etwas verwundert,

Weil kein Maikäfer zu sehn.


Sechs Billionen zwölf Milliarden –

Schätzungsweise – fragen sich:

Wo steckt Maximilian Harden.

Nun, verflucht, was kümmert's mich.


Vier Trillionen neun Billionen

Zirka siebenhundertelf

Milliarden fünf Millionen

Achtzehntausend hundertzwölf – –


Und ich könnte das erweitern

Bis in die Unendlichkeit,

Doch ein Dichter tritt den heitern

Frühlingszarten Mai nicht breit.


Sondern trinkt, sich selbst beschränkend,

Maienbowle, Maienkraut,

Seines Redakteurs gedenkend,

Dem er voll und ganz vertraut.

Quelle:
Joachim Ringelnatz: Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Band 1: Gedichte, Zürich 1994, S. 291-292.
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