Andächtiges Lied zu Gott

[194] Umb die Nachfolge Christi in der wahren Gottseligkeit und allen guten Wercken.


1.

Folget mir, rufft uns das Leben;

Was jhr bittet, wil ich geben,

Gehet nur den rechten Steg,

Folget, ich bin selbst der weg.

Folget mir von gantzem Hertzen,

Ich benem euch alle schmertzen.

Lernet von mir in gemein,

Sanfft uff reich von Demut seyn.
[194]

2.

Ja, Herr Jesu, dein Begehren

Solt' ich billig dir gewehren,

Weil ich weis, daß der kein Christ'

Unter uns zu nennen ist,

Der sich gleichsam pflegt zu schämen,

Deine Last auff sich zu nehmen.

Ach ich weis es gar zu wol,

Daß man dir nach-wandlen sol!


3.

Aber, Herr, wo find' ich Stärcke,

Zu verbringen gute Wercke

Und dir stets zu folgen nach?

Ach mein Gott, ich bin zu schwach!

Bin ich schon auff guten Wegen,

Bald muß ich mich nieder legen.

Dich zu lieben, O mein Liecht,

Ist in meinen Kräfften nicht.


4.

Zwar mein Geist wird offt bewogen,

Aber bald durchs Fleisch betrogen,

Wenn die Wollust tritt herfür,

Freundlich ruffend: Folge mir!

Ehr' und Pracht sampt andern Sachen

Wollen dich zum Herren machen,

Geitz und Ungerechtigkeit

Kommen auch zu diesem Streit'.


5.

Ach wie seh' ich doch ein Rennen

Nach den Gütern, die wir kennen;

Ja wol umb das eitle Geld

Liebet man die schnöde Welt,

Und dem Herren, der das Leben

Nach dem Sterben uns wil geben,

Folget niemand mit der That,

Wie er uns befohlen hat.


6.

Aber, Herr, ich wil nicht lassen,

Dich mit Freuden anzufassen.

Hilff nur gnädig, stärcke mich,

Steiff und fest zu halten dich.

Jener Wege laß' ich fahren,

Nur mit dir wil ich mich paaren.

Jener Wege sind Betrug,

Wer dir folget, der ist klug.


7.

Du bist für uns her gegangen

Nicht mit grossem Stoltz' und Prangen,

Nicht mit Hader, Zanck vnd Streit,

Sondern mit Barmhertzigkeit;

Gib, daß wir als' Haußgenossen

Dir zu folgen unverdrossen

Wandeln in der Tugend Bahn,

Wie du hast für uns gethan.


8.

Herr, wie bistu doch gelauffen

Unter solchem schnöden Hauffen

Damals, als der Sünden Macht

Dich hat an das Creutz gebracht

Und ein' übergrosse Liebe

Dich für uns zu sterben triebe,

Da dein theur vergossens Blut

Uns erwarb das höchste Gut.


9.

Laß' uns auch in solchen Schrancken

Christlich lauffen sonder Wancken,

Daß uns Lieb' und Freundligkeit

Fest verknüpffe jederzeit.

Niemand seh' in diesem Stücke,

Wol zu leben hie, zu rücke.

Christus gehet für uns her;

Folget, das ist sein Begehr.


10.

Wenn die Sonne läufft von ferne,

Folgen jhr fast alle Sterne,

Und wenn Josua zog aus,

Folget' jhm' Israels Hauß;

Du, Herr Jesu, bist die Sonne:

Gib, daß wir mit HertzensWonne

Folgen dir mit grosser Schaar,

Wol zu leben jmmerdar.


11.

Josua bistu genennet,

Der sein kleines Häuflein kennet

Und demselben zeigt die Bahn

Nach dem rechten Canaan;

Laß' uns solche Strassen sehen,

Daß auch wir mit Freuden gehen

Unter deiner Gnaden-Hand

In das hochgelobte Land.


12.

Jesu, du mein Liecht und Leben,

Deine Schritte sind gantz eben,

Und die Stapffen deiner Füß'

Halt' ich über Honigsüß:

Hilff, daß ich im Koth der Sünden

Meinen Gang nie lasse finden;

Zeig', Herr, deinem armen Knecht'

Alle Steg' und Wege recht.
[195]

13.

Laß mich deine Gnade spüren,

Meinen Tritt also zu führen,

Daß ich in der Unschuld geh'

Und nicht bey den Spöttern steh'.

Hilff, daß ich nicht nur in Freuden,

Sondern auch im Creutz vnd Leiden

Durch so manchen Kampff und Streit

Dir zu folgen sey bereit.


14.

Laß mich, Herr, doch nicht verdriessen,

Angst vnd Trübsal zu geniessen,

Weil man weis, daß diese Bahn

Ist ein rechter Vnglücks-Plan,

Da man muß in Dörnern baden

Und mit Elend sich beladen,

Da im Lauff auch jederman

Gar zu schleunig fallen kan.


15.

Laß mir doch mein Ziel auff Erden

Nicht zu schnell verrücket werden,

Daß ich ja das Gnaden-Liecht

In der Zeit verliere nicht.

Gib, daß ich in meiner Jugend

Biß ins Alter mir die Tugend

Recht von Hertzen, nicht zum Schein'

Hoch laß angelegen seyn.


16.

Hilff mir, Herr, vor allen Dingen

Diesen meinen Lauff vollbringen,

Daß ich mich in deiner Lieb'

Und der wahren Demuth üb'.

Hilff, daß ich dir hie vertraue

Und dich dort mit Freuden schaue.

Jenes gib mir in der Zeit,

Dieses in der Ewigkeit.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 194-196.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon