Die Sechste Hinführung

[213] Christus Jesus wird von Pilato zu dem Vierfürsten Herodes geführet, woselbst Er zu verachtung seines königlichen Namens mit Einem weissen Kleide wird angeleget und von des Herodes Hofe-Schrantzen verspottet.


1.

Hat den, Mein Gott, daß noch kein Ende,

Daß man dich führet hin und her,

Daß man dich schleppet mit Beschwehr

Durch der verfluchten Mörder Hände?

Ach nein! Pilatuß lässet dich

Zu seinem Feind' Herodes bringen,

Daß Ihnen mücht' hiedurch gelingen,

In Freündschafft zu vertragen sich.


2.

Gleich wie der Wolff und Fuchs sich lieben,

Im fall' ein Lämlein sterben sol,

So wissen diese beid' auch wol

In grosser Untreü sich zu üben:

Das Lämlein Jesus sol allein

Den Streit, den sie so lange hegen,

Durch seinen Tod beiseiten legen

Und Ihrer Freündschafft Anfang sein.


3.

Herodes zwahr wird hoch erfreüet,

Als Christus da komt vor Ihn stehn;

Ein Zeichen wolt' Er von Ihm sehn,

Dieweil Er trefflich ward beschreiet.

Sie rupfen Ihn bald hie, bald da:

Herodes und die Diener fragen,

Die Hohenpriester stehn und klagen,

Der Herr spricht weder Nein noch Ja.


4.

Bald wird dem Heiland angezogen

Ein Purpur kleid mit Hohn und Spott.

Es wird hiedurch der fromme Gott

Zur Ungedult doch nicht bewogen.

Die Redligkeit wird ausgelacht;

Ja der die gantze Welt versöhnet,

Muß leiden, daß man Ihn verhönet

Und ein Gelächter auß Ihm macht.


5.

Waß ist der Hoff mit seinem prangen?

Ein Haus, wo list und Bösheit wohnt,

Wo Sünd' und Unrecht wird belohnt,

Wo man die Tugend hält gefangen.

Eß ist ein Ohrt, wo Gunst und Recht

Sich mitteinander nicht vertragen,

Wo Heüchler fromme Leüte plagen,

Wo Falscheit üben Herr und Knecht.


6.

Herr Jesu, der du bist geführet

Vor des Tyrannen Heücheltrohn,

Ich laügn' eß nicht, O Gottes Sohn,

Daß Ich bin selber mit spatzieret:

Ich zog dich mitten durch die Statt,

Ich schlug dich fast an allen Ohrten,

Ich schmähte dich mit losen wohrten,

Biß daß du würdest müd' und Matt.
[213]

7.

Gedencke nicht der Missethaten,

Wodurch Ich dich so sehr verletzt:

Du hast dich Ja zuem Fluch gesetzt,

Den Sündern dieser Welt zu rahten;

Du mustest ia Sünd', Höll' und Tod

Durch deinen bittren Tod versenken,

Dagegen Freüd' und Leben schenken.

Herr Jesu, hilff aus aller Noht!


8.

Lass dir dein Kirchlein sein befohlen,

Daß beides durch Gewalt und List

So grausahmlich gequählet ist:

Von Dir kan Sie nur hülffe hohlen.

Erwekke dich, den Ihr ist weh',

Ihr herligkeit wird fast zuer Schande,

Die Feinde plagen sie zu Lande,

Ja stellen Ihr auch nach zuer See.


9.

Es plagen Sie Pilatus freünde,

Herodes Brüder leben noch.

Ach sehet, welch ein schweres Joch

Bereiten Ihr der Wahrheit Feinde!

Es zittert schon daß gantze Land;

Man ist bemühet, durch die waffen

Die Gottesfurcht hinaus zu schaffen,

Man siehet nichts als Raub und Brand.


10.

Die Laster stehn in voller blühte,

Dieweil der Krieg ohn' Ende tobt;

Die Tyrannei wird noch gelobt,

Es wird verbannet Lieb' und Gühte.

Die Welt ist froh, die Kirch' allein

Muß Jämmerlich auff dieser Erden

Durch List und Macht gequählet werden

Und Jederman ein Scheüsahl sein.


11.

Steh' auff, Herr Jesu, zu verderben,

Die Deine Kirch' aus aller Macht

Zu dämpfen gäntzlich sind bedacht;

Lass Dein' und Ihre Feind' ersterben.

Steh' auff, es ist ia hohe Zeit,

Hilff deinem Völklein und zerstreüe

Der Feinde Schaar, damit sich freüe

Die gantze wehrte Christenheit.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 213-214.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der Weg ins Freie. Roman

Der Weg ins Freie. Roman

Schnitzlers erster Roman galt seinen Zeitgenossen als skandalöse Indiskretion über das Wiener Gesellschaftsleben. Die Geschichte des Baron Georg von Wergenthin und der aus kleinbürgerlichem Milieu stammenden Anna Rosner zeichnet ein differenziertes, beziehungsreich gespiegeltes Bild der Belle Époque. Der Weg ins Freie ist einerseits Georgs zielloser Wunsch nach Freiheit von Verantwortung gegenüber Anna und andererseits die Frage des gesellschaftlichen Aufbruchs in das 20. Jahrhundert.

286 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon