|
[232] Kan gesungen werden auf die Melodei: Wen wir in höchsten Nöhten sind.
1.
Allmächtiger und starker Gott,
Du hocherhabner Zebaoht,
Itz haben wir gehöret an
Mit Zittern, waß dein Allmacht kan.
2.
Wir loben, preisen, fürchten dich,
Die wir gleich itz so grausahmlich
Erschrokken deine Macht gesehn,
Für welcher Niemand kan bestehn.
3.
O grosser Gott, wir danken dir,
Daß wir, für Furcht erstarret schier,
Geprüfet doch zu diser Frist,
Daß du noch unser Vatter bist.
4.
Du hast erhöret in der Noht
Dein Volk, das schier für Schrekken Tod,
Und uns in diser swehren Zeit
Erwiesen viel Barmhertzigkeit.
5.
Ach HERR, wen Trübsahl komt herbei
Und du vernimst ein Angstgeschrei,
Wen wir für Zagen werden bleich,
So bist du ja von Liebe reich.
6.
Du gibst auf alles fleißig acht,
Hast dise Stund an uns gedacht
Alß an den Noah in der Fluht,
Dem du gefristet Leib und Guht.
7.
Du hast uns, HERR, in diser Noht
Bewahrt für einem schnellen Tod,
Gleich wie du dort der Jünger Schaar
Erhieltest in des Meers Gefahr.
8.
Eß hat uns weder Feür noch Hitz
Noch Donner noch ein starker Blitz
Noch auch der Hagel in der Bahn
Des Ungewitters Leid gethan.
9.
Waß du verheissen für der Zeit,
Daß uns der Flammen Grausahmkeit
Im weinigsten nicht schaden sol,
Ist nun erfüllet recht und wol.
10.
Du hast verhütet Feür und Brand,
Dazu mit deiner GnadenHand
Gehalten mich auf mein Begehr
Wie dort Sanct Peter in dem Meer.
11.
Dein Hand und Schatten hat bedekt
Uns, die wir waren sehr erschrekt:
Du hast beschirmet unsern Leib,
Auch Hauß und Hof, Guht, Kind und Weib.
12.
Dem Satan hieltest du zu Trutz',
O grosser Gott, uns starken Schutz,
Ja stundest bei uns in Gefahr,
Biß daß dein Zorn vorüber war.
13.
Du hast dein freundlichs Angesicht
In diser Noht verborgen nicht;
Du hast erwiesen in der That,
Daß deine Treü kein Ende hat.
14.
Für solche Wolthat danken wir
Auß reinem Hertzen billig dir,
Ja geben dir mit höchstem Fleiss'
In dieser Stunde Lob und Preiß.
15.
Und obs gleich weinig nützen kan,
So nim doch unser Opfer an,
Das auf dem Altar Jesu Christ
Im Glauben dir gewidmet ist.
16.
Verleih uns Gnad, O du mein Licht,
Daß nimmer wir vergessen nicht
Der Wolthat, die dein Hülff' und Hand
An uns, dein armes Volk, gewand.
[233]
17.
Hilf, daß es uns zur Buhsse treib'
Und Frömmigkeit nicht aussen bleib',
Auf daß, wen plötzlich bricht herein
Dein Tag, wir ja nicht sicher sein.
18.
O süsser Jesu, mach' uns from;
O du mein liebster Heiland, komm':
Ich wahrt auf dich mit höchstem Fleiss'
Und opfre dir Lob, Ehr' und Preiß'.
Buchempfehlung
Noch in der Berufungsphase zum Schulrat veröffentlicht Stifter 1853 seine Sammlung von sechs Erzählungen »Bunte Steine«. In der berühmten Vorrede bekennt er, Dichtung sei für ihn nach der Religion das Höchste auf Erden. Das sanfte Gesetz des natürlichen Lebens schwebt über der idyllischen Welt seiner Erzählungen, in denen überraschende Gefahren und ausweglose Situationen lauern, denen nur durch das sittlich Notwendige zu entkommen ist.
230 Seiten, 9.60 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro