Psalm 145, 15. 16.

[320] Aller Augen wahrten auf dich, und Du gibst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit; du thust Deine milde Hand auf und sättigest Alles, was lebt, mit Wolgefallen.


Melodie: Allein Gott in der Höh sei Ehr.


1.

Es wahrtet Alles, Herr, auf Dich,

Was in der Welt sich reget,

Was in der Luft und Wassern sich

Durch deine Kraft beweget.

Es schaut auf Dich das Klein und Gross',

Auch was der runder Erdenkloos

In seinem Umkreis heget.


2.

Es kan sich ja kein Menschenkind

Durch eigne Kraft versorgen;

Den ob wir schon bemühet sind

Vom Abend biß zum Morgen,

So thut man alles doch ümsunst,

Im Fall', O Herr, sich deine Gunst

Uns Armen hält verborgen.


3.

Wen wir mit Adam hakken schon

Und mit Elisa pflügen,

So werden wir doch schlechten Lohn

Von solcher Arbeit kriegen,

Wo du nicht, Herr, an uns gedenkst

Und deinen Segen reichlich schenkst,

Der treflich kan vergnügen.


4.

Was hilft es, das ich früh' und spat

Viel pflantz' im Feld' und Gahrten?

Wer dich, Herr, nicht zum Helffer hat,

Des Thun wird sich nicht ahrten.

Dein Segen nützt uns weit und breit,

Er lehrt uns auch, der Ernde Zeit

Fein mit Gedult erwahrten.


5.

Ja, liber Herr, wie soltest Du

Die Menschen nicht ernähren?

Dein Hand ist nie geschlossen zu,

Die Nohtturft zu bescheren.

Dein Segen zeigt sich nah' und fern;

Den jungen Raben gibst du gern

Auch das, was sie begehren.


6.

Die Sperling' hüpffen auf dem Dach'

Und finden doch ihr Essen;

Die Hirsche gehn dem Futter nach

Und werden nicht vergessen.

Du nährest allerlei Geblüht':

Ach Herr, wer kan doch deine Güht

Und Libe recht ermessen?
[320]

7.

Doch wen man nicht erkennen wil,

Was deine Recht' uns schenket,

So hält dein Segen plötzlich still,

Diweil dein Hertz sich lenket

Alsden zur Straff' und Hungers-Noht:

Da fehlt es bald am liben Brod',

An dem auch, was uns tränket.


8.

Sprich nicht: Die Frucht, Korn, Oel und Wein

Sind durch mein' Arbeit kommen.

O Mensch, laß doch dein rühmen sein,

Du hasts von Gott genommen.

Der grosse Schöpfer weis es nur,

Was seiner armen Kreatur

Zur rechten Zeit kan frommen.


9.

Wie wen ein treuer Vater pflegt

Die Kinder zu begaben

Und ihnen auf die Taffel legt

Das, was sie nöthig haben:

O frommer Gott, so stehn auch wir

Als deine Kinder stets für dir,

Du must uns täglich laben.


10.

Drum aber sol man sagen nicht:

Mein Gott wird mir wol geben,

Was mir in diser Zeit gebricht,

Ich wil nur ruhig leben.

Nein, liber Mensch, du bist gemacht,

Durch Fleiß und Arbeit Tag und Nacht

Der Nahrung nachzustreben.


11.

Drauf glaubet den ein frommer Christ

Und fähet an zu bitten,

Nicht zweiflend, daß in kurtzer Frist

Der Höchste werd' ausschütten

Den Segen, welchen er begehrt:

Alsden wird ihm sein Theil beschert,

Und das sind Gottes Sitten.


12.

Du schliessest auf Luft, Erd' und Meer,

Daß sie gantz häufig bringen,

O Gott, was ich von dir begehr'.

Ach seht doch nur, wie dringen

Die Vogel, Fisch und zahme Thier,

Dazu das Wild und Korn herfür

Samt tausend andern Dingen!


13.

O grosse Weisheit, Hülff' und Gunst,

Die du der Welt erzeigest!

Dis schaffet deiner Libe Brunst,

Das du so gnädig steigest

Von deinem Thron herab zu mir.

Wie sol ichs gnugsahm danken Dir,

Das du so tief dich neigest?


14.

Nun, Herr, du machst den Leib mir satt

Nach deinem Wolgefallen;

Doch ist mein' arme Seel auch matt,

Ach speise sie für allen.

Herr, segne mich in diser Zeit,

Dein Lob sol in der Ewigkeit

Durch meinen Mund erschallen.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 2, Hildesheim 1964, S. 320-321.
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