Frühlingsgedicht

[181] Daphnis wolte Blumen brechen,

Als der Merz den Frühling bracht;

Ach, sagt er, wer kan aussprechen

Meiner bittern Liebe Macht,

Liebe, die mich hat betrogen,

Daß ich bin ümher gezogen

Durch die Wälder Tag und Nacht!

Dieß sind ja die ersten Früchte

Von den Blumen dieser Zeit,

Da der Vögel Klinggedichte

Menschen, Vieh und Feld erfreut;

Dieß sind zwar die ersten Gaben,

Die wir von den Wiesen haben

Durch des Himmels Gütigkeit.[181]

Aber wenn werd' ich erlangen,

O mein Blümlein Galathe,

Dich wie andre zu ümfangen,

Die ich jetzt für Augen seh?

Ach, wenn werd' ich doch berühren

Dich, die du mich pflegst zu führen

Durch den Regen, Reif und Schnee?

Diese Blümlein darf ich tragen

Mit mir heim in mein Gezelt;

Aber dich, mein Lieb, zu fragen,

Ob dir auch ein Kuß gefällt,

Darf ich kaum mich unterstehen,

Weil ich nie ein Bild gesehen,

Das dir gleichet in der Welt.

Dieses Blümlein zu gewinnen,

Kostet weder Müh' noch List;

Aber ach! daß du von Sinnen

So ganz hart und steinern bist!

Keine weiß ich dir zu gleichen,

Weil dich niemand kan erweichen,

Wenn er noch so redlich ist.

Könt' ich deine zarten Glieder

Stets verwandeln, wenn ich wolt',

Und dich denn verkehren wieder,

Fragt' ich nichts nach Geld und Gold;

Nun wolt' ich für alle Sachen

Solch ein Blümlein aus dir machen,

Das mich stets erfreuen solt'.

O wie wolt' ich dich bewahren

In dem Garten meiner Treu!

Ei, denn soltestu erfahren,

Schönste Blum', was lieben sei!

Denn so wolt' ich dich mit Freuden

Küssen auf mein schweres Leiden

Tag und Nacht ohn' alle Scheu.

Brich die Sinnen, Galathee,

Zwinge doch den harten Mut,

Gönne Daphnis, daß er sehe

Dich, sein allerhöchstes Gut!

Sei den Lilien gleich von Herzen,[182]

Die nicht stets mit Stachlen scherzen,

Wie die falsche Rose thut.

Ach, bedenke doch die Thränen,

Die dein Schäfer manchesmal,

Wenn er sich nach dir muß sehnen,

Fließen läßt ohn' alle Zahl.

Ach, bedenke doch, daß lieben

Sonder nützen sei betrüben,

Ja der allergrößte Qual.

Alles zwar, was Menschen sehen

Hie auf Erden weit und breit,

Galathee, muß vergehen,

Phöbus selbst hat seine Zeit;

Ja, was in der Welt zu finden,

Muß zuletzt doch gar verschwinden:

Lieben bleibt in Ewigkeit.

Quelle:
Johann Rist: Dichtungen, Leipzig 1885, S. 181-183.
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