Traurige Nachtklage

[178] Hin ist der Tag, die Nacht bricht an,

Man siehet schon die Sternlein schimmern;

Itz schau' ich, was die Venus kan

Und wie der Mond beginnt zu glimmern;

Die ganze Welt ligt in der Ruh,

Es schläft der Mensche mit den Thieren,

Kein Vogel hört man tireliren;

Allein ich thu' kein Auge zu.

Ich geh' ins weite Feld hinein,

Mit tausend Lichtern überstralet,

Und sehe, wie des Monden Schein

Den Erdenkreiß im Dunklen malet;

Es ist doch alles trefflich stil,

Ich höre nichts als Frösche schreien,

Kan doch von Unmut nicht befreien

Mein Herz, das ganz zerspringen wil.

Ich sehe bei dem Mondenlicht

Die Hütten meiner Schäferinnen,

Die mir zu Liebe wachet nicht

Und dennoch zwinget meine Sinnen;

Sie machet mich der Schmerzen vol

Und weiß doch selber nicht von Schmerzen;

Ich leide Qual in meinem Herzen,

Sie aber ruhet sanft und wol.

Sie hat der zarten Hände Schnee

Fein kreuzweis auf der Decke ligen,

Das weiß ich, ob ichs gleich nicht seh',

Auch mich nicht darf zu ihr verfügen;[178]

Sie blaset eine süße Luft

Aus ihrem rosenfarben Munde;

Ich aber fühle diese Stunde,

Wie mir mein Herz vor Aengsten pufft.

Der Augen Blitz verbirgt sich zwar,

Dieweil ihr' Häublein sich geschlossen,

Und gleichwol werden mit Gefahr

Viel starker Pfeil' heraus geschossen;

Mein Lieb schont auch im Schlafe nicht:

Sie ruhet und kan doch im Schweigen

Mir Armen solche Stärk' erzeigen,

Daß mir mein Herz dadurch zerbricht.

Mein' Hirtin siehet zwar im Traum

Den armen Dafnis vor ihr schweben

Sehr hochbetrübt und wil doch kaum

Ein freundlich Wort demselben geben.

Ach, Schönste, merk auch meine Pein,

Kan ich dich wachend nicht bewegen,

So laß mich, wenn du dich must legen

Und lieblich träumest, bei dir sein.

Wirf dich herüm und kehre doch

Dein Antlitz gegen mich Verliebten.

Ach, Allerschönste, schläfst du noch,

Vernimmst du nicht mich Hochbetrübten?

Nein, nein, ich bin zu weit von dir,

Unmüglich ist es, dich zu sehen.

Wie? kan es denn auch nicht geschehen,

Ein Seufzerlein zu senden mir?

Du heller Mond, zieh' mich hinauf

Und laß mich dir zur Seiten schweben.

Was gilts, du hemmest bald den Lauf,

Wenn ich dir zeige dort mein Leben!

Du stralest recht auf ihr Gezelt.

Ach, küsse nicht die Purpurwangen,

Nur schaue doch im Schlafe prangen

Das schönste Bild der ganzen Welt.

Was sagst du? komm' ich nicht zu dir?

Nein, nein, du wilt allein betrachten

Der Florabellen Wunderzier,

Du wilt an ihrer Brust benachten.[179]

Ach, daß ich nicht der Mond kan sein!

Ich wolt' in deinem Zimmer bleiben,

Mein Lieb, es solte mich vertreiben

Kein Schlaf noch klarer Sonnenschein.

Hilft denn mein Wünschen nirgends zu,

Darf ich mich länger hier nicht säumen,

So wil ich dich in stiller Ruh

Auf deinem Lager lassen träumen.

Du wertes Hüttlein, gute Nacht,

Ich gehe durch die Wälder klagen.

Ach, Florabella, laß mirs sagen,

Wenn du mit Freuden bist erwacht.

Quelle:
Johann Rist: Dichtungen, Leipzig 1885, S. 178-180.
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