17. Morgens am Brunnen

[175] Er kam in der Frühe

Wie der Morgenwind,

Nußbraun seine Locken,

Sein Fuß geschwind.

In's Auge die ganze

Seele gedrängt –

Ach, der eine Blick

Hat das Herz mir versengt!

Und ich stand, als ob ewig

Ich schauen gemüßt, –

Er hielt mich umschlungen,

Er hat mich geküßt!


Als brächt' er von draußen

Die ganze Welt,

Von zuckenden Strahlen

Blendend erhellt;

Als ging mir das Leben

Auf in der Brust,

So hing ich am Hals ihm

In bebender Lust.[176]

Und was er gesprochen,

Ich weiß es nicht mehr,

Es sang und es klang ja

Die Welt um mich her!


Wie ist mir geschehen?

Ja, daß ich es wüßt!

Mein Drohen, mein Zürnen

Ich hab's nun gebüßt.

Im Brünnlein das Wasser

Das murmelt und rinnt:

Hast gar nichts zu schaffen,

Vergeßliches Kind?

All über mein Denken

Hat Eins nur Gewalt:

Ach Liebster, mein Liebster,

Komm wieder, komm bald!


Quelle:
Otto Roquette: Gedichte, Stuttgart 31880, S. 175-177.
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