Als ich Robinson im Schneiderhäusel war.

[15] Mein Meister – der Natz – bewohnte auf der Höhe, wo die Bauerngründe zu Ende gehen und der Almwald beginnt, ein Häuschen, welches seiner vereinsamten Lage wegen das Einschichthäusel hieß, seit unserer Einwohnerschaft in demselben aber die Schneiderkeuschen (Keuschen gleich Gehäuschen) genannt wurde. Ich saß zuweilen nur Werktags in demselben, wenn eine »Hausarbeit« war; der Meister brachte viele Tage und Nächte einsam in dieser Einsamkeit zu. Das kleine Haus war aus Holz fest gebaut, die Tür gründlich zu verschließen und die Fenster so klein und dazu noch vergittert, daß eine Gefahr der schlechten Leute wegen nicht leicht zu fürchten war.

Und hier ist mir denn, einige Zeit nachdem ich in die Lehre eingestanden, etwas Wunderliches passiert.

Eines Montagsmorgens bestellte mich der Meister in sein Häuschen hinüber. Ich hatte von meinem Elternhause mehr als eine Stunde dahin, über Tal und Berg. Doch kam ich zu guter Zeit an und wir rüsteten uns zu einem Gang ins Mürztal, wo wir auf mehrere Wochen Arbeit hatten.

Im Mürztale waren wir Handwerker vom Gebirg stets gesuchte Leute, weil wir billiger arbeiteten und in der Verpflegung weniger anspruchsvoll waren, als die[16] Professionisten vom Tale, die freilich immer sehr verachtend auf uns niedersahen, wenn wir vorübertrippelten, um ihnen ihre nächsten Kunden wegzufischen.

Ich freute mich immer auf das Mürztal, es war so gut dort und der Weg dahin so schön, und alles so fürnehm, neu und frei. Da kamen wir manchmal wochenlang nicht nach Hause.

Vor so langer Abwesenheit mußte alles, was wir nicht mitnahmen, gut verwahrt und verschlossen werden. Nachdem dieses geschehen, goß der Meister Wasser auf die Herdglut, die ihm vorher das Frühstück gekocht hatte, damit kein Funke Unheil stifte. Dann zog er die Hängeuhr auf; das war eine, die nach jedem Ausziehen vierzehn Tage lang ging. Vernimmt der horchende Dieb das Ticken der Uhr, so meint er leicht, es sei jemand zu Hause und unterläßt das Einbrechen.

Bevor der Meister die Fensterläden schloß, sagte er zu mir: »Jetzt geh' nur voraus, 's wird herinnen gleich finster sein. Steig' stad' an, ich komm' schon nach.« Ich wußte wohl, er hatte noch den Haussegen zu beten, durch welchen er sein kleines Hab und Gut, das er hier am Waldrande zurückließ, besonders seinem Namenspatron, dem heiligen Ignatius, empfahl. Auch sprengte er Weihwasser an Tür und Fenster, um somit zum Schutze des Eigentums alles getan zu haben, was der Mensch zu tun vermag. Dabei wollte er stets allein sein, und ich trollte mich also aus dem Stübchen, um noch eilig oben in der Hinterkammer für den weiten Weg eine gutbeschlagene Elle hervorzusuchen. Auch ein Bügeleisen fand ich in der Kammer, welches mir weniger unbequem schien, als der schwere Eisenblock, den ich sonst von Haus zu Haus mitschleppte[17] und damit wohl dem steifen Loden zum Trotze, aber den Leuten zum Spotte war.

Als ich nun mit dem neugewählten Werkzeuge durch das dunkle Gelaß stolperte und über die Stiege hinab der Haustür zu – war diese verschlossen. Dreifach verschlossen und verriegelt, und das Haus war leer, der Meister davon und hatte mich eingesperrt.

Alsogleich erhob ich ein schallendes Geschrei; ich selbst erschrak vor der Stimme, die aus mir fuhr, die gellend an die Wand schlug und die gefangen war, wie ich selber. Der Meister meldete sich nicht, er war fort. Er mußte glauben, daß ich durch den Wald hinauf schon voraus sei. Selbstverständlich ein rasendes Rütteln an der Tür, an den Wänden, und selbstverständlich ein – vergebliches. Ich riß einen der Fensterläden auf und rief hinaus: »Meister, Meister, ich bin noch drin! Ich kann ja nicht nach. Das ist höllisch!« Er hörte mich nicht mehr, mußte schon über den Bühel gegangen sein.

Tief unten in einem Kessel lag die Gegend, lagen die Bauernhäuser, mit ihren braunen Strohdächern fast wie Maulwurfshügel anzuschauen. – Da kannst schreien, wie du willst, Schneiderbub, deine Stimme ist noch leichter, als du selber, die taucht nicht ins Tal hinab, die steigt zu den Wolken auf. – Wie wird der Meister laufen und schnaufen durch den Wald und wird sich denken: Bin doch auch kein Hascherl (Krüppel), aber der, wenn er einmal auskommt, ist nimmer zu erwischen. Hat ja so viel lange Füß'!

Bei dem vorigen Gang ins Mürztal war ich auch so närrisch vorausgeeilt, um mir drüben in Langenwang die Schere schleifen zu lassen, bevor wir auf die Ster[18] rückten. – Was dieser Mensch nur allemal schleifen zu lassen hat? wird der Meister heute denken, und wird nacheilen und springen wie ein versprengter Steinbock, und der Lehrjung' sitzt in der Keuschen und kann nicht nach.

Was ist jetzt zu machen?

Ausbrechen? Möchte nur wissen, wie? Das Türschloß schwer verschlagen, die Fenster eng vergittert. Der Rauchfang? Ein Schneider kann halt alleweil noch nicht dünn genug sein, der Rauchfang ist nicht über eine Spanne weit. – Also hübsch in Geduld warten, bis der Meister wieder zurückkommt.

Ich öffnete alle Fensterläden, daß es wenigstens in meinem Kerker licht war. Ich schritt von einem Gelaß zum anderen und warf in meinem Hirn alles drunter und drüber, ob sich denn im ganzen Haupte des Menschen – man sagt, es sei so mächtig und beherrsche die Welt – kein Mittel vorfinde, um aus der Schneiderkeuschen zu kommen. Es fand sich nichts vor. Sonst entspannen sich in dem Köpflein dieses Lehrjungen oft so gescheite Einfälle, daß die Leute sagten: Der Schneiderbub ist halb verruckt. Aber heute kam's nachgerade darauf an, mit diesem Kopf durch die Wand zu fahren.

Im Häuschen war es grauenhaft langweilig. Stiller als still kann's nicht sein, sagt man. Wenn du aber so eingeschlossen im Einschichthäusel sitzest und hörst gar nichts, als das Tick– tack tick– tack der Uhr, welche mit ihren langsamen Schritten der Ewigkeit entgegengeht, und das Ticken ist so eintönig, daß du es schließlich auch nicht mehr hörst – so ist es stiller als still.

Es wurde endlich Mittag. Der Meister kam nicht zurück. Wohl aber war jählings eine leise Stimme zu[19] vernehmen – der Magen fragte höflich an, was es heute mit der Knödelsuppe wäre?

Da hub ich an zu suchen. Alle Kästchen und Laden waren verschlossen, und als ich die Schlüssel fand und die Behälter öffnete, war alles leer. Aus Besorgnis, daß während der längeren Abwesenheit die Lebensmittel Schaden leiden könnten, hatte der Meister das Möglichste verzehrt und den Rest zur Fankelbäuerin hinabgetragen, auf daß ihn dieselbe benütze und später mit frischen Teilen zurückbezahle. Nur ein großes Stück Brot fand sich in einer der Laden, das war aber schon so hoch betagt, daß ein ehrwürdiger grauer Bart auf seinem Antlitz wuchs. Ferner entdeckte ich in einer Papierdüte ein wenig Reis.

Um Reis zu kochen, braucht man Feuer und Wasser. Dieser Satz gehört zu jenen ewigen Wahrheiten, an denen zu rütteln eine Frechheit ist. Draußen, zehn Schritte vor dem Häuschen, rieselt der Brunnen. Ich durchstöberte alle Winkel nach Feuerzeug: die Flamme ist der beste Gesellschafter in solcher Lage, und der über dem Dache aufsteigende Rauch konnte doch vielleicht jemanden herbeilocken und mir Erlösung bringen. Ich fand im Kasten einige Briefe von Weibern an meinen lieben Meister Natz, in welchen sie versucht hatten, sein Herz in Flammen zu stecken. Und das war auch das einzige Feuerzeug im Gelaß. Aber es war nichts nutz. Kein Stein, kein Schwamm, kein Zündhölzchen. Ich suchte weiter, und sehr unangenehm war es mir, als ich in einem der unverfänglichsten Winkel unter der Ofenbank, in einem Kästchen zwischen den Ziegeln eingeschoben, meines Meisters geheimste Schätze fand; einige Silberlinge, deren Wert ich kannte, aber auch verwelkte, getrocknete Rosen und Haarlocken,[20] deren Wert ich nicht kannte. – Zuletzt, so dachte ich mir, wenn er's wahrnimmt, wie ich da in seiner Wohnung eigenmächtig herumgewirtschaftet habe, läßt er mich noch einsperren!

Da sah ich im dunkeln Winkel am Ofen auf dem Boden etwas leuchten. Mein Meister hatte die Gewohnheit, Zündhölzchen als Zahnstocher zu gebrauchen, nachdem er ihnen die Köpfchen weggerissen hatte. Ein solches Köpfchen lag nun da und leuchtete in blauem, mattem Scheine, ein einziges, winziges Körnchen Feuer, noch verschlossen und kalt und nichtig, aber doch Rettung tragend im Keime, wenn es mir gelänge, ihn zu wecken und zu fördern. Als ich denn sonst nichts mehr vorfand, versuchte ich es mit dem kleinen Kopfe und legte ihn auf den Herdstein, daß ich ihn bearbeite. Aber: so viel Köpfe, so viel Sinne, und hier ging es nicht nach meinem. Wie ich in der linken Hand den Fidibus auch in Bereitschaft hielt und mit der rechten das Phosphorköpfchen kniff, rieb und zwickte, es blieb kalt und finster. Mit einem Nadelzänglein packte ich es, um die Reibung auf dem Steine zu erzielen – da sprang es mir plötzlich davon gegen die Mauer hin, zischte dort auf, und bis ich mit meinem Fidibus nachkam, war es verlodert. Und damit war auch mein Hoffnungsstern verloschen.

In einem Fache des Kastens hatte ich des Meisters Pistole gefunden, welche er sonst draußen vor dem Häuschen häufig abbrannte, damit die Leute aller Stände wissen sollten, daß auch eine Waffe im Hause wäre. Ich fand sie scharf geladen. – Ja, mein lieber Junge, da wäre freilich Feuer drin. Und welches!

Nachmittags hub es zu regnen an. Ich hielt einen[21] Hafen zum Fenster hinaus, denn ich hatte Durst. Aber die wenigen Tropfen, die hineinfielen, machten nichts aus. Da stieg ich zum Dachboden hinan, wo es mir mit schwerer Mühe gelang, eine Dachschindel so zu verschieben, daß Wasser hereinsickerte. Darunter richtete ich nun meinen Hafen auf, und so gewann ich Wasser. Fast gleichzeitig entdeckte ich im Stroh, auf welchem sonst die Gesellen zu schlafen pflegten, einige Eier. – Wer nur diese Eier gelegt haben mag?

Nun, ich trank sie aus und aß einen Bissen des ehrwürdigen Brotes dazu. Dann kamen die Gewissensskrupel: Mensch, jetzt faulenzest du da und verzehrst deinem Meister allen Vorrat, während er im Mürztal sich muß plagen! – Nun suchte ich nach Arbeit, daß ich doch für das Essen auch was nützen könne. Es war wohl ein Stück Tuch in der Lade, aber nichts Zugeschnittenes. Hierauf untersuchte ich den Kleiderschrank des Meisters, ob nicht in irgendeinem Beinkleide ein Loch zuviel, ein Knopf zuwenig wäre. Einen einzigen etwas zweideutigen Ellbogen fand ich, sonst war überall alles recht ordentlich instand gehalten. Da sich hier denn nirgends Gelegenheit bot, mich nützlich zu zeigen, so begann ich in der Küche Holz zu spalten. Unter den Holzscheitern fand ich einen Hausschlüssel.

Ich sprang vor Freude in die Luft, so hoch, als nur einer meines Zeichens zu springen vermag. – O, wie eitel sind die Freuden dieser Welt! An der Tür war ein Vexierschloß, welches mit diesem Schlüssel, wie ich sah, nur von außen geöffnet werden konnte. – Ich begann fast zu wiehern, zu lachen vor Wut. – Wasser war in der Nähe, und ich hatte Durst gelitten; Holz und Feuer[22] war da, und ich fror der finsteren Nacht entgegen; den Schlüssel hielt ich in der Hand und – war gefangen. Alles wie verhext.

Der Abend kam, unten im weiten Kessel lagen die Häuser von Hauenstein, und der Regenschleier hing darüber. Kein Mensch kam des Weges zum Einschichthäusel heran, weshalb auch? Die Leute wußten es: die Keuschen ist leer, die Schneider sind hinüber ins Mürztal gezogen. Und der Meister kam auch nicht. Der sitzt jetzt schon im Mürztal und flucht über den Lehrling: wo er denn heut' steckt, dieser verdangelte Bub! Alleweil zieht's ihn so in die Fremd'; am End' ist er fort, der leichtsinnig Schlingel! – Wie konnte der Mann wissen, welch eiserner Patriotismus mich daheim festhielt! –

Ich verkroch mich endlich in des Meisters Bett.

Der Schlaf war gut. Ich träumte ein schwarzbraun Maidelein. Aber ein Geräusch an der Wand weckte mich auf. Ich horchte; draußen pochte, grub und bohrte es. Einbrecher! Wollen sie gar die Holzwand durchstoßen? Wollen sie die Untermauerung durchbrechen und zwischen den Grundfesten hereinkriechen, um das Gut meines Meisters zu rauben? Dann werde ich den guten alten Brauch wieder aufbringen, werde mich, wie jene Müllerstochter, vors Loch hinstellen und die Räuber nacheinander köpfen. Nachher wird auch das Sprichwort von der Schneidercourage anders gemacht werden müssen. – Gern wäre ich in die Küche gegangen, um das breite Beil zu holen, mit welchem ich tags vorher Holz gekloben hatte, aber ich getraute mich nicht aus dem Bette. – Wenn es wenigstens zu machen wäre, daß, während die hereingekrochenen Räuber bei den Kisten und Kästen sich[23] beschäftigten, ich durch das Loch hinauskäme! Ich wollte sodann diesen Haupteingang schon geschwind verrammeln, daß die Verbrecher gefangen wären und ich frei! – Nun wagte ich mich aus dem Bett und schlich aus Fenster. An der Ecke des Hauses stand wirklich einer und daneben währte das Poltern und Krachen.

In Gottesnamen, ich hüte das Haus meines Meisters, und mein Leben, das gebe ich nicht wohlfeil! In diesem Gedanken bereitete ich, auf den Zehen schleichend, die Axt und die Pistole. Mit Hast warf ich noch einige Kleider um mich, murmelte das Gebetlein von der Reu- und Leiderweckung, machte den ernstlichen Vorsatz, falls ich aus dieser Gefahr doch lebendig hervorgehen sollte, womöglich ein frommer Mann zu werden. Dann öffnete ich leise das Fenster.

Dort stand der Kerl und sah gerade auf mich her.

»Sakerment, wer ist denn draußen?« schmetterte ich. Mitten in der Nacht im Einschichthaus ein solcher Ruf! Er hört sich schauerlich.

»Schelm, ich schieß' dich nieder!« schrie ich noch einmal und ließ krachen...

Das Geräusch des Einbrechens währte fort, auch der Kerl stand noch in seiner ganzen Verwegenheit da. Aber bei dem Scheine des Schusses hatte ich gesehen, wer es war. Dieser alte, gottverlassene Wicht war's am Zaun, der Baumstrunk, dem tagsüber gar die Rindenfetzen vom Leibe hingen und der Moder aus allen Spalten rieselte. Und nachtschlafend' Stund' möcht' er die Leut' erschrecken! Aber der hat jetzt genug für sein Lebtag und mich erschreckt er nimmer.

Als ich hernach, kühn geworden, den Kopf zum Fenster[24] hinausreckte, so weit es ging, gewahrte ich auch die Einbrecher. Ein paar Bretter, die an der Wand lehnten, wurden vom Wind, der gekommen war, um den Regen zu vertreiben, hin und her geschlagen, an die Wand gedrückt und wieder hintan gerissen, daß sie knarrten und ächzten.

Es ist der halbe Sieg, seine Feinde kennen gelernt zu haben. – Ich verschloß das Fenster und legte mich wieder schlafen.

Am anderen Morgen schien draußen die liebe, helle Sonne, daß es ein Jammer war.

»Wenn auch heut' noch niemand kommt, so geht das nicht so gut aus, wie gestern!« sagte ich mit drohender Miene. »Unsereins möcht' einmal was Warmes essen.«

Da sah ich den Feldsteig her gegen das Häuschen einen Mann schreiten. – Also endlich! Ich legte den Schlüssel zurecht, daß ich ihn zum. Fenster hinausgebe und den Vorbeigehenden bitte, mir von außen dieses malefiz Vexierschloß aufzusperren. Als jedoch der Mann näher kam, zuckte ich mit dem Kopfe vom Fenster zurück und stieß einen Fluch in die Wand hinein, wie weder vor noch seither ein solcher hineingestoßen worden sein mochte.

Es war Gori, der blaßbraune Schustergeselle. Der war mein Todfeind. Es hätte nicht sein müssen. Wir hätten in Fried' und gutmütiger Gegenseitigkeit Platz nebeneinander gehabt, wie nur je ein Schuster und ein Schneider hienieden nebeneinander Platz haben können. Aber wir hatten eine gemeinsame Weltanschauung, wir hielten unter allen Jungfrauen eine und dieselbe für die Schönste und Liebenswerteste im Kaiserreiche. Und so war es gerade an einem der letztvergangenen Sonntage[25] gewesen, daß dieselbe eine mit ihrem Vater im Wirtshause war, daß ich mich zu ihrem Tische hinsetzen wollte, und daß der Gori plötzlich vor mir stand und sagte das Sprüchel: »Einer von uns zwei'n ist dahier zuviel!« Der achtzehnjährige Schneiderlehrling kam gegen den fünfundzwanzigjährigen Schustergesellen nicht auf, und noch ehe ich zum Bewußtsein der eigentlichen Sachlage kam, war ich vor der Haustüre. Zur Genugtuung gereichte mir aber, daß gleichzeitig auch der Schustergeselle auf ähnliche Weise nachkam, der Wirt sagte: die Handwerker säßen die ganze Woche über in der Stube und müßten am Sonntage ausgelüftet werden.

So stand's zwischen mir und dem blaßbraunen Gesellen, der jetzt am Einschichthäusel vorbeiging. Er hatte eine Tracht Leisten auf dem Rücken und nebelte mit seiner Porzellanpfeife – ein Weibsbild war drauf – langsam an meinem Fensterlein vorbei. Von dem wollte ich nicht befreit sein und sollte ich sitzenbleiben müssen im Einschichthaus so lang', bis mein Bart neunmal um den Ofen gewachsen!

Dieser kleine Vorgang hatte eine merkwürdige Hitze in mich gebracht; nur zu bald wurde es wieder langweilig. Es war ein und das andere Buch da und manches Blatt Papier; Lesen, Schreiben war ja sonst meine Passion. Doch in solchem Asyl soll's ein anderer versuchen, mit Schöngeistigkeit die Zeit sich zu vertreiben; dem rechten Arrestanten mag's behagen, der weiß, daß mittags der Profoß mit der Suppe kommt; und kommt er mittags nicht, so kommt er abends.

Um die Mittagszeit sah ich einen Bettelmann sich draußen sonnen. – Der, wenn ich ihm den Schlüssel[26] hinauslang', ist gewiß so gut und macht auf. – Hättet ihr's mit ihm gewagt? Und hättet ihr nicht den Hochverrat bedacht, der an dem Meister begangen worden wäre, wenn man die Geheimnisse seines wundersamen Vexierschlosses einem Fremden, vielleicht einem Strolche, preisgegeben? – Nein, auf dieses Äußerste kommt's noch nicht an. Bleibt der Vagabund nur noch ein paar Minuten sitzen auf dem grünen Rasen – er ist ja beschäftigt – so wird alles gut. Rasch schrieb ich auf einen Zettel: »Tue mir die Haselbäuerin doch wen heraufschicken. Der Schneider ist eingesperrt und kann nicht aus.« Das Papier legte ich zusammen, verklebte es mit Wachs, dann rief ich zum Fenster hinaus: »He, Bruder Bettelmann!«

Der sprang auf und da er sah, daß das Haus bewohnt war, murmelte er sogleich seinen Bettelspruch. Ich reichte ihm durch das Fenster ein Vierkreuzerstück hinaus; Geld war in meinem Exil für mich ja ein wertloser Gegenstand. »Aber Ihr müßt so gut sein,« sagte ich, »und dieses Briefel da zu dem Bauernhaus hinabtragen, wo sie den Waschkessel vor der Tür haben, und es der Bäuerin geben. 's ist eine kleine Post, und ich hab' nicht Zeit, daß ich hinablauf'.«

Der Mann versprach's von Herzen gern und torkelte mit meinem Notsignal abwärts gegen den Talkessel, wo die Menschen leben in Geselligkeit und Freiheit und die großen Güter nicht zu würdigen wissen.

Nun verging Stunde um Stunde, und es kam niemand. Ich durchspähte nochmals alle Vorratsräume und genoß zur Jause Pfeffer und Salz, ein Nahrungsmittel, welches gestern noch verschmäht worden war. Als der Abend nahte, begann ich wild zu werden. Ich rüttelte[27] furchtbar an der Türe, ich versuchte, ob denn nicht doch die Dachbretter zu durchbrechen wären. Vergebens. Der Spaß sing an, bedenklich zu werden. Hat's vor etlichen Jahren in Wien nicht Revolution gegeben, der Freiheit wegen?! Ich glaub's, da ist man alles imstand'!

»Schneider!« hörte ich auf einmal draußen schreien. Ich stürzte zum Fenster. Der Tausend, das auch noch!

Haselbauers Marie stand draußen...

»Aufmachen soll ich?« fragte sie.

»Sei so gut, Dirndl. Da ist der Schlüssel. Mein Meister hat mich unversehens eingesperrt.«

»D er ist drin!« rief sie aus. »Den Brief haben wir schon Nachmittag kriegt, wir sind auf dem Feld gewesen und haben nicht Zeit gehabt. Hätt' ich aber gewußt, daß du's bist, so wär' ich jetzt auch noch nicht herausgegangen.«

»Hast was gegen mich, Marie?«

»Gar nit. Du wirst wohl wissen, wegen was.«

»Du tust alleweil so stolz gegen mich!?«

»Mir tragt's den Stolz nicht. Aber dir stund's besser an, du tätest anders.«

»Möcht' wissen, wie du das meinst?«

»Was hast du mich bei den Leuten in Schanden zu bringen?« sagte sie.

»Um Gottes willen, Marie, was hast denn? Wieso bring' ich dich in Schanden? Geh' her da, zum Fenster geh' her und sag's mir's, wieso bring' ich dich in Schanden?«

Anstatt mir zu nahen, ging sie noch einige Schritte vom Fenster hinweg. Ich war so aufgeregt, daß ich mich mit aller Gewalt zwischen dem Gitter hinauszuzwängen suchte.[28]

»So!« sagte sie nun, »das ist keine Schand', wenn du über mich Gedichter machst, daß ich so viel sein und sauber wär', und daß ich dein Schatz sollt' sein, und lauter so närrische Sachen! Und gibst es allen Leuten zu lesen, daß man sich schamen muß, bis unter die Erden hinein.«

Das war ein Schlag für mich.

»Mariel,« sagte ich endlich, »wenn du nur ein bissel tätst hergehen. Mach' auf und komm'. Es wird dich doch nicht verdrießen, wenn man sagt, daß du schön bist!«

»Wenn man den Leuten das erst muß aufschreiben, daß sie's glauben, nachher ist es schon schlecht genug.«

Das schreibe ich heute zur Belehrung für Poeten, welche da glauben, alles und noch ein übriges zu tun, wenn sie ihre Mägdlein besingen. –

»Komm' nur einmal herein, wir werden uns schon ausreden,« lockte ich und streckte den Arm aus. »Aber ausmachen mußt. – Da hast den Schlüssel.«

Sie lachte hell, lachte unter Tränen des Ärgers: »Ich werd' mich hüten, daß ich dich heut' auslaß. So einen Wolfshunger, wie du hast! Da geht kein Mensch sicher!«

»Willst mich umkommen lassen?«

»Bist ein ungeschickter Bub, sperrt der Schlüssel von auswendig, so wird er von inwendig auch sperren. Probier' nur einmal.«

»Probiert hab' ich schon. Es ist ein Vexierschloß.«

»Bist selber schuld, wenn du dich vexieren (narren) laßt. – Ist untenauf kein' Stiften beim Schloß?«

»Freilich wohl, mit der es festgenagelt ist.«

»Bei dieser Stiften druckst an, nachher drehst den Schlüssel um – nachher gehst heraus.«[29]

Mit Macht mußte ich arbeiten, daß ich meinen verklemmten Kopf und Arm vom Fenster zurückbrachte. Dann versuchte ich noch einmal, und zwar nach ihrer Weisung, das Schloß zu lösen und die Türe war offen. Offen war sie in weiten Angeln, und vor mir lag die Freiheit und das Abendrot – und das Mädl lief, was es laufen konnte.

Wie man Haustüren aufsperrt, hat sie mich gelehrt. Aber wer sagt mir, wie man Dirndlherzen ausmacht?

Am nächsten Tage ins Mürztal eilend gedachte ich, meine Heldentaten ein wenig feiern zu lassen. Aber mein Meister wollte nicht mittun. So sank die Robinsoniade in der Schneiderkeusche der Vergessenheit zu.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 3: Der Schneiderlehrling, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 16, Leipzig 1914, S. 15-30.
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