Am ersten Tage.

[5] Wir lebten noch alle beisammen, wie uns Gott zusammengetan hatte. Aber das sollte nun ein Ende haben. Versuche waren genug gemacht, es ging so nicht und es ging so nicht.

»Für einen Bauersmenschen ist er zu kleber (zu schwächlich, zu nichtig), wird halt ein Pfarrer oder ein Schneider müssen werden.« Das war das Endziel der Beratung, welche eines Abends in der Stube des Waldbauern abgehalten wurde, und wobei ich, auf dem umgelegten Melkzuber reitend, den Vorsitz führte.

»Zu kleber nicht,« meinte ich, wurde aber sogleich zurückgewiesen, als mein Vater sagte: »Was hilft denn 's Reden! Wenn so ein siebzehn Jahr alter Stock einmal auf einem alten Melksechter kann reiten, ohne daß die Daubeln einbrechen – nachher weiß man's eh.«

Ich schnellte vom Zuber empor; als sich später mein jüngerer Bruder darauf setzte – knack, waren die Daubeln eingeknickt. – Mein Bruder blieb in der Wirtschaft und ich als »Schwächling« mußte nach einem harten Gesetze, welches der Kampf ums Dasein aufgebracht hat, aus dem Hause.

Meine Mutter ging nun bei den Geistlichen um, Hilfe heischend, daß ich in die Studie kommen könnte. Der alte Dechant von Birkfeld war ein ehrlicher Mann, der sagte[5] meiner Mutter folgendes: »Tu' die Waldbäuerin das bleiben lassen. Wenn der Bub sonst keine Anzeichen für den Priester hat, als just, daß er schwach ist, so soll er was anderes werden. Schwache Priester haben wir eh genug.«

»Aber zum Beichthören und Predigen, meint der Bub, wollt' er nicht zu kleber sein,« bemerkte die Mutter.

»Was weiß der jung' Lapp vom Beichthören und Predigen! – fürs eine gehört eine gute Stimme, fürs andere ein guter Magen. Er soll ein Handwerk lernen.«

Beichthören und Predigen! Ich bin heute noch der Meinung, meine Natur hätte beides ausgehalten; bin sogar der Meinung, daß ein wahrhaftig Pfäfflein in mir steckte, welches ja in meinen ersten poetischen Erzeugnissen genügende Spuren hinterlassen hat, und welches erst viel später unter meinen Welterfahrungen zeitweilig umgebracht worden ist.

Nun, so ging denn meine Mutter von jenem Herrn Dechanten zum Schneidermeister in Hauenstein: sie hätte einen Buben, der ein Schneider möcht' werden.

Was ihn auf diesen Gedanken brächte?

Na, weil er halt soviel kleber wäre.

Stand der Meister auf und sagte: »Jeder Mist will heutzutage Schneider werden. Ich will der Waldbäuerin nur sagen, daß der richtige Schneider ein kerngesunder Mensch sein muß. Einmal das viele Sitzen; nachher zur Feierabendzeit, wenn sich andere Leut' ausruhen können, das weite Gehen über Berg und Tal, wie es in unserer Gegend schon sein muß, und den ganzen Zeug mitschleppen, wie der Soldat seine Rüstung. Hernach die unterschiedliche Kost: bei einem Bauer mager, beim anderen feist; in einem Haus lauter Mehlspeisen, im anderen wieder alles von[6] Fleisch; heut' nichts als Erdäpfel und Grünzeug, morgen wieder alles Suppen und Brei. Ein Magen, der das aushält, muß in b'sonderer Gnade Gottes stehen. Und red' ich erst von den unterschiedlichen Leuten, mit denen man sich abgeben muß: Da eine bissige, brummige Bäuerin, der kein ordentlicher Zwirn feil ist; dort ein geiziger Bauer, der mit seinen närrischen Späßen den Handwerker erheitern und satt machen will. Wieder wo anders ein Betbruder, der einem mit dem Hausgesinde die längsten Abende Psalter über Psalter vorleiert. Drauf ein alter Polterer, ein jähzorniger Knopf oder sonst ein unsauberer Patron. Und die ungezogenen Bauernknechte und die ungekämmten Weibsleute – in jedem Haus eine andere Schwachheit. Und all die Leut' soll der Schneider mit einem Maße messen! Es ist viel verlangt. Ja, meine liebe Waldbäuerin, und was die Hauptsach' ist: Kopf muß einer haben! Was der Schöpfer an einem krummen, buckeligen, einseitigen Menschenkinde verdorben hat, das soll der Schneider wieder gut machen. Die Leute verlangen von ihren Kleidern nicht allein, daß sie den Adam zudecken, sondern auch, daß sie eine saubere Gestalt herstellen. Und der Schneider muß nicht allein den Körper seines Kunden, er muß auch seinen Charakter kennen lernen, muß, sozusagen, das ganze Wesen erfassen, um ihm ein Kleid zu geben, das paßt! Und wie er den Menschen kennen muß, den er nach außen hin vollendet, so muß er den Stoff kennen, von dem er den Anzug zu verfertigen hat. Manches Tuch dehnt sich, manches kriecht zusammen, dieses hält Farbe, das andere schießt ab. Wer das im vorhinein nicht weiß, der macht ein Unding zusammen. Kurz, der Kleidermacher muß Menschen-[7] und Weltkenner sein. Ja, meine gute Waldbäuerin, ein Kleberer tut's sicherlich nicht.«

»Ist aber sonst ausbündig (vernünftig), der Bub,« wagte meine Mutter zu bemerken.

»Macht er ein bissel Figur?«

»Letzt' Zeit her ist er rechtschaffen in d' Höh' geschossen, aber halt soviel g'füg' (dünn, schlank), soviel ein g'füg' Bürschel.«

»Na,« sprach der Meister, »werde ihn halt einmal anschauen. Nächst Erchtag soll er zum Alpelhofer kommen; dort wird er mich finden.«

»Bitt' gar schön, wenn's es tät. Bitt' gar schön!«

»Wird sich schon weisen. Behüt' Gott, Waldbäuerin.« –

So bin ich am nächsten Erchtag in heller Morgenfrüh zum Alpelhofer gegangen. Lange stand ich auf dem Antrittstein der Haustür und dachte: Wie wird es sein, wenn ich wieder heraustrete? Eine fast feierliche Stimmung lag um das Haus, welches auf dem Berge zwischen Eschen und Kirschbäumen stand, und in welchem die Entscheidung meines Schicksals saß.

Sie saß am großen Tische, saß in Gestalt eines kleinen, feinen Männleins im schwarzen Anzuge und weißer Wäsche: Ein Männlein mit feinrasiertem Gesichte und einer Glatze, die gerade so groß war, daß sie dieses Gesicht recht offen und würdig gestaltete. Das war der Meister. Er war ein Hagestolz und lebte ganz allein in einem Berghäuschen, wo er für sich selbst kochte und sich pflegte, oder er arbeitete in irgendeinem Bauernhause der Gegend, und war so im Laufe des Jahres in vierzig oder fünfzig Bauernhäusern daheim. Ziemlich weit ab, in der Fischbacher Pfarre, hatte er seine alte Mutter, die er jährlich[8] mehrmals besuchte und ihr Geld brachte. Er selbst war auch nicht mehr jung, war aber in Ehren und Sitten ein Freund der Frauen. Ja, seine Artigkeit gegen die Weiber ging so weit, daß er sich für keine entscheiden wollte, aus Besorgnis, die anderen zu kränken. Er arbeitete auch in Frauenkleidern und ermaß recht gut, daß, wenn er verheiratet wäre, die Hälfte dieser Kunden ausbleiben könnte. So blieb er einstweilen unbeweibt. In guten Zeiten hielt er sich einen Gesellen, oft auch einen Lehrjungen; als aber die Gewerbefreiheit aufkam, wollte jeder Geselle selbst Meister sein, und mein guter Meister Natz – so hieß er – saß zumeist allein und bewältigte seine Arbeit allein.

Nun, da ich in die Stube trat, saß er am Tisch und nähte. Vor ihm lag das Handwerkszeug, daneben zugeschnittenes Lodentuch und an der Sitzbank hing das Bügeleisen.

»Gelobt sei Jesus Christus,« sagte ich.

»In Ewigkeit,« antwortete er langsam mit tiefer Stimme.

Ich blieb an der Tür stehen. Es war alles still. Er zog die Nadel auf und nieder; nur die Wanduhr tickte, und mein Herz pochte dem Augenblicke entgegen.

»Was willst denn?« fragte mich nach einer Weile der Schneider.

»Schneider werden möcht' ich halt gern,« antwortete ich zagend.

»So bist du derselbe,« sagte er, und blickte eine Weile auf mich her. »Im Gottesnamen, geh's an. Setz' dich her, nimm Nadel und Zwirn und nähe mir diesen Ärmling zusammen.«[9]

So tat ich – aber es ist leichter gesagt als getan. Da staken im Kissen an die dreißig Nadeln aller Größen, da lagen Zwirnknäuel verschiedener Feine und Farbe. Und die beiden krummgeschnittenen Tuchstreifen, wie werden sie behandelt und zusammengetan, daß sie ein Ärmling werden? Ich warf fragende Blicke auf den Meister. Er tat nichts desgleichen, als wisse er mehr als ich. So hub ich denn an. Ich fädelte ein und legte den Loden aufs Knie und machte einen Stich. Der Faden schlüpfte durch. Der erste Stich war mißlungen. An den Wangen erglühend, forschte ich der Ursache nach und kam endlich drauf, daß von mir vergessen worden war, in den Faden einen Knoten zu machen. Ich schlang also mit großer Mühe ein Knötlein und beschäftigte all meine zehn Finger dabei. Hierauf nähte ich mit Erfolg, aber auch mit Hindernissen. Es verwand und verdrehte sich der Zwirn, es staute sich die Nadel am Finger, es verschob sich der Loden und ließ sich mit jedem Zug hoch in die Lüfte ziehen, es riß sogar der Faden.

Mittlerweile kam der alte Alpelhofer in die Stube und rief:

»Zum Dunner, jetzt ist ein junger Schneider herkommen!«

»Ja,« sagte mein Meister.

Wie mir das Wörtlein wohlgetan hat! Im Vollbewußtsein meiner Ungeschicklichkeit hatte ich von Minute zu Minute erwartet, daß der Meister mich fort schicken werde! aber dieses Ja war wie eine Anerkennung und Einsetzung.

»Das ist brav,« sagte der Alpelhofer und ging wieder davon.[10]

Als ich ein paar Stunden so herumgenäht hatte, ohne daß mein Meister auch nur eine Silbe zu mir gesprochen hätte, und als ich endlich mit dem Ärmling fertig zu sein wähnte und mit dem Auge fragte, was nun zu beginnen sei, antwortete er: »Jetzt trenne den Ärmling wieder auf – bis auf den letzten Stich alles auf und ziehe die Fäden sauber aus. Achtung geben mußt nur, daß du den Loden nicht anschneidest.«

Und als ich das mit Angst und Schmerz getan hatte und die Teile des Ärmlings wieder so dalagen, wie mir sie der Meister in die Hand gegeben hatte, ließ dieser von seiner Arbeit ab und sprach zu mir folgendes:

»Waldbauernbub. Ich hab' nur sehen wollen, wie du die Sach' angreifst. Just nicht ungeschickt, aber den Loden muß man zwischen Knie und Tischrand einzwängen, sonst liegt er nicht still. Später, wenn du's einmal kannst, wird er wohl auch ohne Einzwängung still liegen, so wie bei mir da. Auf den Finger, mit dem du die Nadel eindrückst – das ist der mittlere, der lange – mußt du einen Fingerhut stecken, sonst kriegt deine Haut gerade so viele Löcher, als wie der Loden. Den Zwirn mußt mit Wachs glätten, sonst wird er fransig und reißt. Die Stiche mußt im Loden so machen, daß einer über dem anderen reitet, das heißt man Hinterstiche – sonst klafft die Naht. Und die Teile mußt du allemal so zusammennähen, daß du sie nicht wieder voneinander zu trennen brauchst, wie dasmal. Und gibt es schon doch einmal zu trennen, so mußt kein saures Gesicht dazu machen, mein lieber Waldbauernbub. Empfindsam sein, das leidet unser Handwerk nicht. Jeder Ochsenknecht wird dich meistern und jeder Halterbub wird dich ausspotten und wird dich fragen, ob du wohl[11] das Bügeleisen bei dir hättest, daß dich der Wind nicht verträgt, und wird, so lang' er deiner ansichtig ist, wie ein Ziegenbock meckern. Laß ihm die Freud', und geh' still und sittsam deiner Wege. Ein gescheiter Mensch schämt sich nicht seines ehrlichen Handwerks, und ein Dummer vermag es nicht zu lernen. Der Schneider studiert nie aus; jede Kundschaft hat einen anderen Leib, jedes Jahr hat eine andere Mode; da heißt's nicht gerade Zuschneiden und Nähen, da heißt's auch denken, mein lieber Waldbauernbub. Aus dem tüchtigen Schneider ist schon manch ein hoher Herr emporgewachsen. Der große Feldherr Derfflinger, der Wiedertäuferprophet Johann von Leyden sind Schneider gewesen; in Amerika gibt es sogar eine Gattung von Schneidern, welche Präsidenten von den Vereinigten Staaten werden. Ich hab' ein Büchel, das will ich dir einmal zeigen, da wirst alle berühmten Schneider darin finden. Deswegen, Waldbauernbub, wenn du in dir wirklich die Neigung und das Talent zu diesem Stande empfindest, so bleibe da, und ich will dir lehren, was ich selber kann.«

Ich neigte dankend mit dem Kopfe.

»Du wirst dich«, fuhr der Meister fort, »von den Beschwerden des Berufes nicht abschrecken lassen. Bereitwilligkeit und Genügsamkeit ist wohl das erste, was ich verlangen muß. Ich will dich so halten, wie mich voreinst mein Meister gehalten hat. In der Wochen arbeiten wir bei dem oder dem Bauer auf der Ster und haben dort Kost und Liegerstatt. Zum Samstagfeierabend gehst allemal zu deinem Vater heim, der hat dir das Sonn- und Feiertagsquartier, die Kost dazu und das Gewand zu geben. Sind wir an Sonn- und Feiertagen zum Mittagsmahl[12] geladen dort, wo wir die Woche zuvor gearbeitet haben, so komm'. Auch in die Sonntagsschul' mußt gehen, weil du bei deiner Freisprechung ein Religionszeugnis brauchst. Deine Lehrzeit dauert drei Jahre; nachher – wenn du brav und fleißig bist – laß ich dich freisprechen und dann steht's dir frei, wenn ich dich brauch', für einen Wochenlohn bei mir zu bleiben, oder in die Fremd' zu gehen. Wenn's dir so recht ist?«

Wem sollte das nicht recht sein?

Später, als der Alpelhofer wieder in die Stube trat, um für das Mittagsmahl Suppenbrot aufzuschneiden, sagte zu ihm mein Meister: »Gelt, Bauer, du bist schon so gut, daß ich meinen neuen Lehrburschen bei dir da anfangen lassen darf?«

»Ja, wegen was denn nicht?« antwortete der Alpelhofer, »mich gefreut's. Wie heißt er denn, der jung' Schneider? Peter? so. Peter – liegt er nit, so steht er. Na, wenn heut' der erst' Tag ist, da müssen wir ihn ja einstallen (installieren). So, da hast einen Löffel, Peter. Schau nur zum Essen, daß du stark wirst. Vom Waldbauern bist ein Sohn? Brav, brav. Geh', Natz, leg' weg jetzt die Arbeit, 's ist zum Essen, Schneider.«

Heute noch sehe ich ihn, den guten Alten mit den blauen Augen und den grauen Haaren. Er war ein großer Mann mit etwas vorgebeugtem Haupte, auf dem Drangsal gelastet hatte; er war nun schon bei den Siebzigen oben, aber noch so stramm und flink und warmherzig in allem, was er tat und sprach. Auch wohlhabend muß er gewesen sein. Seit zweiunddreißig Jahren war er Dorfrichter in Hauenstein; in dieser Zeit ist zu Hauenstein nicht einer wegen Steuerrückständen gepfändet worden,[13] denn der Alpelhofer zahlte allemal vorläufig alles aus seinem Säckel. Ja, die armen Kleinhäusler in der Gemeinde wußten oft gar nichts und erfuhren nichts davon; und erst später, nachdem man den alten Alpelhofer hinausgetragen auf den Gottesacker und daneben im Wirtshause geschwind einen anderen zum Richter gewählt hatte, wunderten sich die paar Kleinhäusler, daß sie nun auf einmal Steuern zahlen mußten.

Als es nun an diesem ersten Tage meiner Schneiderschaft Abend geworden war und auf eine Stunde die »Lichtfeier« eintrat, fragte mich der Alpelhofer: »Petrus, was spricht Paulus?«

Als ich darauf nicht antworten konnte, weil ich es nicht wußte, gab mir mein Meister ein: »Sag' nur gleich: Paulus spricht, wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen. Herentgegen, wer arbeitet, der mag sich auch was gunnen.«

Hierauf winkte mir der Alpelhofer mit gekrümmtem Zeigefinger, daß ich ein bißchen mit ihm kommen möge. Er führte mich in den Keller hinab und mit einem Kerzenlicht zwischen Rüben- und Erdäpfelhausen hindurch zu einem Holzbänklein. Dort schaffte er ein Gläschen Branntwein zustande, hob es mir in die Hand und sagte: »Petrus, den trink' aus. Auf Glück!«

»Auf Glück, Alpelhofer!« sagte ich und war in meinem Gemüte sehr bewegt. Dann nippte ich von dem guten Geiste, es muß ein Wacholdener gewesen sein, der mir augenblicklich frischen Mut ins Herz goß.

»Schneider werden,« sagte nun der Bauer, »wie ist dir denn das eingefallen? Alleweil in der finsteren Stuben sitzen, in den meisten Häusern lassen die Leut' nicht einmal[14] Luft zu den Fenstern hinein. Wenn du meinst, daß du für Bauernarbeit zu gefüg' bist, hättest nicht können was anderes werden? Ein Almhalter, oder so was, wo du auf freier Weid' wärst gewesen! Na, trink'! Jetzt bist einmal Schneider, so bleib' dabei und schick' dich, und wenn dir das Kreuz weh' tut vom vielen Sitzen, so denk' auf Den da oben, der will's haben, daß der Mensch mit Müh' und Fleiß sein Brot verdient. Kreuzer wirst nicht in Überfluß gewinnen, als Lehrling schon gar nicht. Nur alles schön mit Willen und Geduld, 's wird dir schon einmal besser gehen. Trink', Petrus! – In meinem Haus hast heut' angefangen, so bin ich dir der Pat' fürs Handwerk. Wenn du ein Anliegen hast oder eine Klag', so komm' zu mir, und nur alleweil wohlgemut – trink' aus, trink' aus!«

Während dieser Worte fühlte ich etwas in meiner hohlen Hand. Ich hielt es, bis wir aus dem Keller wieder heraufgestiegen kamen und das Ding in der Faust ganz warm und feucht geworden war. Ein Talerstück war's aus den Zeiten der Kaiserin Maria Theresia. Ich besitze es heute noch und so oft ich es anschaue, kommen mir die Worte zu Sinn: »Nur alleweil wohlgemut.«

In meiner Lehrzeit gab's wenig zu klagen; ich hätte mein Anliegen dem Alpelhofer auch nicht vorbringen können, denn der gute Mann ist schon fünf Wochen nach meinem Eintritt ins Handwerk schlafen gegangen.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 3: Der Schneiderlehrling, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 16, Leipzig 1914, S. 5-15.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Waldheimat. Erzählungen aus der Jugendzeit
Waldheimat: Erzählungen aus der Jugendzeit - Zweiter Band [Reprint der Originalausgabe von 1914]
Waldheimat: Erzählungen aus der Jugendzeit

Buchempfehlung

Holz, Arno

Die Familie Selicke

Die Familie Selicke

Das bahnbrechende Stück für das naturalistische Drama soll den Zuschauer »in ein Stück Leben wie durch ein Fenster« blicken lassen. Arno Holz, der »die Familie Selicke« 1889 gemeinsam mit seinem Freund Johannes Schlaf geschrieben hat, beschreibt konsequent naturalistisch, durchgehend im Dialekt der Nordberliner Arbeiterviertel, der Holz aus eigener Erfahrung sehr vertraut ist, einen Weihnachtsabend der 1890er Jahre im kleinbürgerlich-proletarischen Milieu.

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon