Eine Herzensangelegenheit.

[175] In der Gaststube beim Hauensteiner saßen wir und nadelten.

»In die Joppen kommen voran fünf Busenknöpf'!« ordnete der Meister an, denn ich hatte eben eine Samtjoppe für die Kellnerin in Arbeit.

»Meister!« wendete ich mit bescheiden leiser Stimme ein, »die Kellnerin möcht' auch sieben Knöpf' haben wie die Frau, hat sie gesagt.«

»Die Kellnerin kriegt fünf Knöpf'!« wiederholte der Meister, »das wär' noch schöner, wenn die Dienstleut' sich jetzt auch schon so gewanden wollten wie die Herrenleut'. Den Busen wattieren, das kannst tun, das haben die Gäst' gern bei der Kellnerin. Aber nit so stark wie bei der Frau!«

Während ich solcherlei Weisungen auszuführen mich befleißigte, trat ein Gast in die Stube. Es war der Lebzelter (Lebkuchenbäcker) aus Krieglach, dessen alte Mutter mir manchmal Bücher lieh. Daher kannte ich ihn. Er setzte sich an einen Tisch, legte den Hut auf die Bank, trocknete sich mit dem roten Sacktuch die Stirn und sagte als Ansprache: »So, so, da gibt's Schneider!«

»Ja!« grüßte mein Meister gehobenen Tones.

»Ich tät wohl auch einmal einen Schneider brauchen,« sprach der Lebzelter.[176]

»Ja!« antwortete der Meister. »Wann denn?«

»Ah, nit zum Gewandmachen,« lachte jener, »das kauf' ich mir in Graz. Den jungen Schneider tät ich brauchen.«

»Den da?« Der Meister zeigte mit der Nadel auf mich.

»Der sollt' mir halt so Sprücheln machen, so Reimsprücheln für Lebzeltenherzeln, wie sie die jungen Leut' gern haben, die Buben und Dirndln.« Und an mich ger wendet: »Kannst es ja, han ich gehört, das Gedichtelmachen.«

Ich schwieg und werde wahrscheinlich rot geworden sein, wenigstens war mir heiß an den Wangen. Ich schämte mich immer, wenn so was vor dem Meister gesagt wurde; die heimliche Kunst wollte ich ihm nicht wahrhaben, da er ohnehin gern behauptete, ich hätte andere Dummheiten im Kopf als wie Hosen und Janker. Zwei- oder dreimal ließ ich den Lebzelter auf mich herbitten, insgeheim erwägend, daß ich ihm den Gefallen doch wohl würde tun müssen, weil seine Mutter mir ja die schönen Bücher lieh. So neigte ich endlich den Kopf, ich wolle die Sprüchlein schon machen.

Mittlerweile war meine Samtjoppe mit den fünf funkelnden Glasknöpflein fertig geworden. Ich wollte sie gleich an den Wandnagel hängen, aber mein Meister nahm sie mir aus der Hand, prüfenden Blickes. In der Busengegend griff er so ein Weilchen herum, dann schaute er mich an und in seinem Aug' verkleinerten und verschärften sich die Sterne.

»Was hast denn da wieder gemacht?« sagte er halblaut. »Mit dir ist's wohl ein Kreuz! Den rechten Busen[177] hast wattiert, den linken hast leer gelassen. Ein einseitiges Weibsbild! – Trenn' auf wieder!«

Der Lebzelter konnte es gehört haben. Wenn ich jetzt untertauchen hätte können in die Tiefen der Ewigkeit! – »Wirst denn du ganz dumm!« redete der Meister in unerträglicher Gelassenheit weiter, »oder tust mir's zu Fleiß!«

Das stach mich. »Zu Fleiß nit, Meister!« zum Weinen war mir, vor Ärger über mich selber, als ich nun die linke Joppenseite auftrennte, um eine Lage Watte hineinzulegen und flach zu heften.

Der Meister sagte nichts mehr. Er mar wortkarg, und wenner sprach, klang es wieder gütig. –

Als der nächste Samstag*Feierabend kam, auf dem Heimweg ins Vaterhaus, warf ich den letzten Fetzen Leutegewand aus dem Köpfel und das füllte sich mit Lebkuchenherzen-Poesie.


Auf hoher Alm, im grünen Wald,

Da ist mein liebster Aufenthalt.

*

Bei Sonnenschein und Vogelsang

Lebe froh und lebe lang!

*

Freue dich des Lebens

Und meid' die Sünd,

Dann bist du nicht vergebens

Ein Gotteskind.

*

Liebe und hasse zu rechter Zeit,

Mäßig sei in allen Sachen,

Das wird dich in der Ewigkeit

Und auch auf Erden glücklich machen.
[178]

Mit solcherlei Dichtungen verfügte ich mich (im Tager buch aus jener Zeit heißt es anstatt: »ich ging«, immer: »ich verfügte mich«) am nächsten Tage nach Krieglach. Zuerst klopfte ich bei der alten Frau an und zeigte ihr die Verse. Da sagte sie: »Du bist doch ein braver, frommer Bub. Da will ich dir heute ein extra schönes Buch mitgeben!« Sie reichte mir wie gewöhnlich den Schlüssel zum Dachboden, wo die Bücher und alten Zeitschriften aufgehäuft lagen, aus drnen ich mir Beliebiges hervorholen konnte.

»Auf der Wandstelle rechts von der Tür liegen die, Stunden der Andacht', die darfst heut' mitnehmen, weil du so schön dichten kannst.«

Hernach suchte ich den Lebzelter, der heute eine weiße Schürze um und ein grünes Käppchen auf hatte, denn er versorgte nebst der Lebzelterei auch noch eine Gastwirtschaft mit Wein und Met und »Mischkulanz«, in dem beides beisammen war, und bediente dir Gäste. Er nahm mir die Sprüche schnell aus der Hand, er werde sie schon lesen, wenn er Zeit habe. »Jetzt san die Leut durstig!« – Das empfand ich als etwas formlos. Ich war ja auch durstig, aber weniger nach Mischkulanz als nach einem mit Sicherheit erwarteten Lob. Dann verfügte ich mich auf den Dachboden und statt den Stunden der Andacht nahm ich den Till Eulenspiegel, den daumenlangen Hansel und die schöne Melusina mit.

Erst am nächstfolgenden Sonntag vernahm ich des Lebzelters Meinung über meine Verse.

»Das sollen Sprüche für Lebzeltherzen sein! Na, Peterl, die schreib' dir lieber in dein Schulbüchel, wenn du sie nit etwa dort herausgeschrieben hast. Die Lebzeltensprücheln[179] schauen ein bissel anders aus. Da guck einmal.«

Er zeigte mir mehrere, die auf Bildchen unter Liebespaaren standen. Es waren die Erzeugnisse der Lebzelter von Kindberg und Mürzzuschlag, seinen Konkurrenten. Solche wolle er, so ähnliche. Aber doch andere. Ich hätte ja das Zeug dazu, solle mir's nur hervorsuchen. »Weißt, so von der Lieb' muß die Red' sein, vom Busselgeben und so. Weißt eh?«

Na, freilich wußte ich es. Ich hatte es nur besser machen wollen. Nun, wenn's bestellt wird, gut. Ein Schneider muß auch Schwimmhosen machen können.

Ein paar Wochen später steckte ich dem Lebzelter unter die weiße Schürze ein anderes Papier zu.


Nimm dies Herz, du kleine Süße,

Es ist so süß, wie deine Küsse.

Ich möchte dir sagen, wie lieb ich dich habe,

Drum schenk' ich dir, Liebste, die liebliche Gabe.

*

Dies Herz aus Mehl und Honig ist zum Essen,

Mein Herz mit Fleisch und Blut, das ist zum Lieben,

Das sollst du, feiner Schatz, mir nie vergessen,

Drum hab' ich es auf dieses Herz geschrieben.

Du Büberl, bist mein,

Und nur du ganz allein.

Und ich laß keinen andern

Ins Herzkammerl ein.

*

Dein Äugerl, das leucht't,

Und dein Göscherl, das lacht,

Gelt, bist mir nit bös,

Wann ich komm, bei der Nacht.

*[180]

Wenn ich dich lieben kunnt,

Alle Nacht sieben Stund,

Wollt' ich den ganzen Tag

Buße tun.


Dann saß ich wieder wochenlang in Bauernhöfen herum, baute monumentale Lodenhosen und Janker, wölbte auch manche Weiberjoppe ohne Wattebedarf und verachtete mich ein wenig. Ich hatte etwas geschrieben, das ich eigentlich gar nicht meinte, etwas gesungen, wovon ich zurzeit noch blutwenig spürte. Ich fürchtete und hoffte, daß meine Verse Verwendung finden könnten.

Nach zwei oder drei Monaten brachte ein Kohlenfuhrmann in mein Vaterhaus ein Päcklein vom Lebzelterhaus zu Krieglach. Wohl Bücher von der alten Frau? Für alle Fälle verfügte ich mich in die verschwiegene Strohkammer, um das Päckchen aufzumachen. Sechs Lebkuchenherzen mit farbigen Bildchen draufgeklebt. In einem goldenen Blumenkörbchen saß das Liebespaar und darunter je einer meiner Verse. Alle sechs angenommen. Sie lasen sich beinahe glatt, nur das mit dem Kurzschluß? Es wurde mir finster vor den Augen, als ich's las. – Das zwang ich nicht, das zwang mich. – Vom Lebzelter war eine Zeile dabei: »Sie gehen ab wie frische Semmeln.«

Später habe ich erfahren, daß die alte Lebzeltersfrau ihren Sohn gefragt hatte: »Du, von wem hast du denn diese sündhaften Liedeln jetzt auf den Lebzeltherzen?«

»Sie kennen ihn eh gut, Mutter, der sie gemacht hat.«

Als ich nachher wieder einmal um Bücher kam, beteuerte die alte Frau, sie hätte den Dachbodenschlüssel verlegt. – Aber die sechs Lebzeltenherzen wollten trotz der zierlichen Bildchen mir kein Ersatz sein für das, was[181] der versperrte Dachboden barg! Da kam mir der Gedanke, ich könnte diese Herzen ja irgendwie verwerten. Manchem herzlosen Dirndlein konnte man gelegentlich eins einhängen. Zum Exempel der Hauensteiner Kellnerin. Ich hatte ja mehrmals schon beobachtet, wie ihr über dem Busen mein Jöpplein saß mit den fünf funkelnden Glasknöpfen und den sanften Watteeinlagen. Ob man nicht noch weiter ausfüllen könnte? Ich merkte, wie mir allmählich das Interesse stieg an diesem Kleidungsstück. Plötzlich sprang ich hin und steckte ihr ein Herz in den Busen hinab. Sie schaute mich betroffen an, holte dann mit eigener Hand die Bescherung hervor, und als sie sah, daß es ein Lebkuchen war, biß sie drein und verzehrte ihn mitsamt meiner Dichtung. – Hernach lachte sie mich herzig an und als ich dachte: jetzt kommt die Wirkung, legte sie den Arm um meinen Nacken und sagte ein wenig verschämt, sie hätte an mich ein kleines Gebitt.

»Gern, Dirndel!«

»Weißt, Schneiderbub, mein Franzel, der hat's gern. Möchtest nit so gut sein und mir ins Jöppel noch zwei Knöpfeln einnähen, daß ich sieben hätt' wie die Frau Wirtin!«

Bis hierher ging meine Niedertracht und hier hub der Stolz an. Würdevoll sprach ich: »Mein Meister will's nit, so tu' ich's nit.« –

Ich vermute, daß auch alle anderen Herzen, die der Lebzelter etwa verkauft hatte, ähnlich erfolglos verlaufen sind. Jedenfalls ist der Ruhm jener Dichterwerke nicht auf unsere Zeit gekommen. Auch diese neue Auflage wird nicht viel machen.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 3: Der Schneiderlehrling, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 16, Leipzig 1914, S. 175-182.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Waldheimat. Erzählungen aus der Jugendzeit
Waldheimat: Erzählungen aus der Jugendzeit - Zweiter Band [Reprint der Originalausgabe von 1914]
Waldheimat: Erzählungen aus der Jugendzeit

Buchempfehlung

Platen, August von

Gedichte. Ausgabe 1834

Gedichte. Ausgabe 1834

Die letzte zu Lebzeiten des Autors, der 1835 starb, erschienene Lyriksammlung.

242 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon