Mein erstes Honorar.

[182] Da gehört was dazu,« sagte der Steinbauer, »wo er denn das her hat!«

»Aber schon gar!« rief die Steinbäuerin lachend, »ist doch ein rechter Unchrist, dieser Schneiderbub! Wenn unsere Dirn nicht sozusagen schon Mensch geworden wäre, dürfte man so ein Lesen nicht leiden.«

»Geh',« schmeichelte die menschgewordene Haustochter, »hast nicht noch was bei dir?«

»Bei mir« – entgegnete ich – »bei mir hätt' ich schon was, aber« – jetzt einen fragenden Blick gegen meinen Meister.

»Wenn's ihnen gefällt,« sagte der schmunzelnde Meister, »so lies halt noch was.«

Wenn's der Meister anschafft und eine menschgewordene Haustochter drum bittet, wird ein junger Schneidergesell doch nicht lange säumen, sein »Gedichtet's« vorzulesen. Hoch oben in unseren Waldbergen hob der Meister Natz mit seinem dichtenden Gesellen nicht viel Ehre auf, aber im Tale der Mürz, wo es zur Mode gehörte, bisweilen ein wenig Spitzbub zu sein, da erhob sich ein rechter Jubel, so oft ich etwas von meinen Schwänken, Trutz- und Liebesg'sangeln zum besten gab. Letztere waren mitunter »hübsch geschmalzen«, wie der Steinbauer einmal sagte, aber man weiß ja, daß Bauersleute[183] gern fett essen; auch die erwachsenen Haustöchter wischen sich den Mund erst ab, wenn sie satt sind, und so las ich drauflos. Meine Stimme hatte gerade die rechte Stärke, um in der Kinderstube nicht gehört, und an unserem Tische wohl verstanden zu werden; auch soll ich – was mir der alte Steinbauer heute noch gutspricht – die vielen Gedankenstriche gar sinnreich mit den Augen angedeutet haben, die über den Steg dieser Gedankenstriche ein- ums anderemal auf die Haustochter hinübergesprungen sein sollen.

Besonderen Beifall hat das Stück: »A betendi Jungfrau« gefunden. Dieses tut dar, wie eine etwa dreißigjährige Jungfrau den heiligen Kulian um einen Mann bittet. Bei der Stelle:


Kolt wird's, da Winta kimt uma,

Und Mana gibt's übroll viel;

An Mon muas ih hobn, sist dafruis (erfriere) ih,

Ih muas und gehts aus scha wias will,

Ih sog enks, sist bring ih mih um!

Ohni Mon woas ma nix z lochn,

Gibts da koan Gspoaß und nix z lochn,

De ledi bleibn möchtn, sein drum

Wul dumm!


blieb kein Auge trocken. Die älteren Dienstmägde weinten die Tränen, die jüngeren lachten sie. Die menschgewordene Haustochter hatte gut lachen.

Solch ungezwungener Beifall hat meinem guten Meister nicht minder wohlgetan, als mir. Wo war denn sonst noch ein Meister, welcher einen Gesellen hatte, der die Leute lachen machen konnte, ohne sie beim Gewandanmessen zu kitzeln, der sie zum Weinen bringen konnte, ohne ihnen wehgetan zu haben. Wo war ein[184] solcher Meister?! – Bald hatte sich in der Nachbarschaft und in der grünen Umgegend von Mürzzuschlag die Mär verbreitet: »Beim Steinbauer haben sie einen g'spaßigen Schneider!« Und jetzt kamen sie an den schönen Sommerabenden herbei und der g'spaßige Schneider las ihnen allerhand Gedichtet's. Da betrachteten sie mich eine Weile und sagten es ganz laut: »Ausschaut er nicht danach, daß man ihm so was kunnt ansehen.«

Mancher Bursche schlich mir nach und ob ich denn nicht so gut wollt' sein und ihm ein Briefel schreiben an seinen Schatz, recht hitzig, daß er die Dirn haben muß, und dann wieder so viel betrübt und »schmachtisch«, daß es ihr aus Herz greifen soll, und endlich so gewiß butterweich und keck dabei, wie wenn man eins halst und bußt und nicht mehr ausläßt. Tinten und Papier wollt' er schon fleißig zahlen.

Der Lebzelter von Mürzzuschlag bestellte allerhand Sprüchlein für seine Lebkuchen. Und der alte »Abschiedertoni«, dem nach zweiundzwanzigjährigem Militärdienst mit drei Feldzügen nun in seiner Heimat das Betteln erlaubt worden war, wollte von mir einen großen Spruch haben, in welchem seine Heldentaten dargestellt wären und welchen er vor den Haustüren aussagen könne.

Wenn ich dann nächtlicherweile im Bette lag, reckte und dehnte ich mich und genoß den Ruhm, der nun auf einmal über mich gekommen war.

Der Steinbauer war ein lustiger Kopf und schenkte an Sonntagen Wein aus. Zu dem kamen schon damals die Sonntagswiener in Scharen gezogen, weil es bei ihm so fröhlich und steierisch zuging. So sagte der Steinbauer eines Tages, da wir bei ihm auf der Ster[185] waren: »Schneider; am nächsten Sonntag, wenn die Wiener kommen, sollen wir was anstellen.«

»Was sollen wir denn anstellen?«

»Einen Spaß.«

Mein Meister, der im wärmeren Klima des fröhlichen Mürztales immer selbst mit auftaute, hat alsogleich eingestimmt.

»Ich weiß schon was,« sagte der Steinbauer, »wir legen alle unser steierisches Gewand an.«

»Dein neues ist noch nicht fertig,« unterbrach ihn der Meister.

»Macht nichts, den Wienern ist das alte auch recht. Nachher machen wir einen Hochzeitszug und singen das Pinzgauerlied.«

Der Hochzeitszug, meinte mein Meister, wäre etwas sehr Gutes, aber das Pinzgauerlied wäre für die Wiener viel zu dumm.

»So soll dein Lehrbub etwas Gescheiter's machen,« schlug der Steinbauer vor. Ich erklärte mich dazu bereit unter der Bedingung, wenn sich der Meister aus etlich en verkehrten Nähten, die während des Dichtens etwa entstehen sollten, nichts machen wollte.

So sagte der Meister zum Steinbauer, indem er mit dem Daumen über die Achsel nach mir hinwies: »Du schau ihn an. Er bringt nichts Gescheites zuweg, wenn er dabei nicht auch was Dummes machen kann.«

Sprach der Steinbauer: »Wegen ein paar fehlgeschlagener Hosennähte werden mir schon auch noch nicht betteln gehen müssen.«

Schrie mich der Meister an: »So dicht' zu!«

Jetzt fiel mir nichts ein. Und als es Abend wurde,[186] und als ich »zwischen der Lichten« gegen den Gansstein hin spazieren ging, fiel mir immer noch nichts ein. Am nächsten Tage tröstete mich der Steinbauer mit dem Sprichwort: »Gut Ding braucht Weile.« Worauf mein Meister sagte: »Da muß es schon etwas sehr Gutes sein, weil es ihm alleweil noch nicht einfällt.«

Plötzlich am zweiten Tage, so um die Jausenzeit herum, hatte ich was. Denselbigen Abend brachte ich in Nöten zu, aber am nächsten Tage war es so weit, daß wir den neuen Text nach der Melodie des Pinzgauer Liedes einstudieren konnten. Toll ging es her und wir lachten uns fast krumm dabei.

Wir hielten einen Probezug. Der Steinbauer eröffnete als Brautführer den Zug, neben ihm als Braut ging die Haustochter. Als zweites Paar war die erste Kranzeldirn mit dem Bräutigam. Dann kamen wir Sänger! Mein Meister war Baß, ich Tenor. Hinter uns zog der Troß der Kranzeljungfern, Burschen und aller Hochzeitsleute. Die ganze Nachbarschaft war da. Der Ganssteinwald machte unser Singen nach und machte das Gelächter nach. Und der Steinbauer rief nach der Probe: »Das wird ein Hauptspaß für die Wiener; so was haben sie noch nicht gehört.«

Ich konnte die nächste Nacht nicht mehr schlafen und hatte weitgehende Gedanken. – Zweimal sagen darf man's nicht, sie nehmen mich mit! Der Meister laßt mir in diesem Bett ohnehin keinen Platz. Wie er sich heut' wieder breit macht! Mehr als ein Fragezeichen hat in so einem Bett nicht Platz. Bin daneben nur wie ein kleiner Beistrich; nun, vielleicht ist's mit heute Punktum.[187]

Am nächsten Morgen war Sonntag und es kamen die Wiener. Ich hatte das Volk schon einmal gesehen – dazumal, bei der Kaiser-Josef-Reise. Schwarze, braune und graue, blasse und bärtige, tollustige, übermütige Leute, alle mit seinen Spazierstöcken, vornehmen Zigarrenspitzen, manche mit Glasscheiblein, die sie sich in die Augenhöhle zwickten und dabei das andere Auge zupreßten, weil solche Herren ja mit einem Auge mehr sehen, als andere mit zwei. Viele hatten auch seidene Kübelhüte auf den Köpfen, daß es schon eine Herrlichkeit war. Sie trieben im Walde und auf dem Anger allerlei Kurzweil und tranken Wein und ringsum das Steinbauernhaus war ein Lärm, wie »bei einem besoffenen Kirchtag«.

Jetzt rückten wir mit unserem Hochzeitszuge an. Mit roten Stangentüchern fuchtelten wir in der Luft herum, mit unseren Stimmen suchten wir den Lärm der Zechenden zu überschreien, was uns nicht recht gelingen wollte. Sie nahmen uns nicht wahr. Jetzt drangen wir mitten in den Baumgarten, wo die besetzten Tische standen, postierten uns dort und sangen – an zwanzig Stimmen stark, die aber voneinander nichts zu wissen schienen – mein »Gedichtet's« ab. Als wir damit fertig waren und das lustige Lärmen fortwährte, begannen wir es noch einmal zu wiederholen, und zwar noch toller und schriller als das erstemal. Jetzt sahen wir, daß wir Aufmerksamkeit erregten. Ein ganzer Tisch kam in Bewegung und ich sah, wie sie einen Abgeordneten wählten, der, sich durch die Menge drängend, eilig auf uns zukam. Meinem Meister streckte er die Hand hin und sprach: »Da habt's einen Kreuzer fürs[188] Singen und daß 's aufhören sollt's!« – Dann war er wieder davon.

Wir hörten freilich auf, weil uns die Stimmen im Munde stecken blieben. Wir blickten uns starr an. Alsdann schlichen wir einer nach dem anderen seitab. Ich irrte den übrigen Teil des Tages in den Wäldern umher, und als wir am Abende im Hause wieder zusammenkamen, wollte keiner dem anderen ins Gesicht schauen.

Da war es am nächsten Montagsmorgen, als das Arbeiten wieder anging, daß der Meister mir etwas über den flachen Tisch schob und sagte: »Das gehört dein.«

»Brauch's nit,« knurrte ich, denn es war der wienerische Kreuzer.

»So?« sagte der Meister, »hast dich mit deinem Gedichtet's so abgeplagt und willst die Belohnung nicht dafür nehmen?«.

Da hob ich die Hand und fuhr damit über den Tisch hin, daß der Kreuzer durch die Stube flog und nicht mehr gesehen wurde.

Von diesem Tage an war es mit meiner Poeterei auf eine Weile vorbei. Habe dem Lebzelter auch keine Lebkuchensprüche mehr geliefert, sie wären sicherlich zu wenig süß ausgefallen. Bald darauf zogen wir zwei Schneider uns wieder ins Gebirge zurück.

Seither sind viele Jahre vergangen. Als ich unlängst in die Gegend kam und auch meinen alten Steinbauer besuchte, habe ich die Frage nicht unterdrücken mögen, ob in der Leutstuben, wo wir einst gearbeitet hatten, nicht etwa einmal ein Kupferkreuzer gefunden worden wäre.[189]

Ja, da lachte er hellauf. Erst kurz zuvor hatte ihm eines seiner Enkelein einen über und über mit Grünspan verhüllten Kreuzer gebracht, den es in einer Fletzspalte der Stube gefunden haben wollte.

»Schau,« sagte der Steinbauer, »da ist er. Hat sich das Gesicht verdeckt, warum das weiß ich nicht.«

»Dieses Geld ist mein,« sagte ich, »will es aufbewahren. Der Poet hat Stunden, wo ihm Erinnerungen – wie diese an mein erstes Honorar – zunutze sind.«

Der Steinbauer schmunzelte und machte dabei gerade so ein Gesicht, als wüßte er wieder einen neuen Spaß. – Aber ich bin nicht mehr darauf eingegangen.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 3: Der Schneiderlehrling, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 16, Leipzig 1914, S. 182-190.
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