Als dem kleinen Maxel das Haus niederbrannte.

[262] Ich erinnere mich noch gar gut an jene Nacht.

Ein Knall, als wenn die Tür des Schüttbodens zugeworfen worden wäre, weckte mich auf. Und dann klopfte jemand am Fenster und rief in die Stube herein: wer des Kleinmaxel Haus brennen sehen wolle, der möge aufstehen und schauen gehen.

Mein Vater sprang aus dem Bette, ich erhob ein Jammergeschrei und dachte fürs nächste daran, meine Kaninchen zu retten. Wenn bei besonderen Ereignissen wir anderen über und über aus Rand und Band gerieten, so war es allemal die blinde Jula, die uns beruhigte. So sagte sie auch jetzt, daß ja nicht unser Haus im Feuer stehe, daß das Kleinmaxelhaus eine halbe Stunde weit von uns weg wäre; daß es auch nicht sicher sei, ob das Kleinmaxelhaus brenne, daß ein Spaßvogel vorbeigegangen sein könne, der uns die Lug zum Fenster hereingeworfen und daß es möglich sei, daß gar niemand hereingeschrien hätte, sondern es uns nur so im Traume vorgekommen wäre.

Dabei streifte sie mir das Höselein und die Schuhe an und wir eilten vor das Haus, um zu sehen.

»Auweh!« rief mein Vater, »'s ist schon alles hin.«

Über den Waldrücken herüber, der sich in einem weitgebogenen Sattel durch die Gegend legt und das Ober- und Mittelland voneinander scheidet, strebte still und hell[263] die Flamme auf. Man hörte kein Knistern und Knattern, das schöne neue Haus, welches erst vor einigen Wochen fertig geworden war, brannte wie Öl. Die Luft war feucht, die Sterne des Himmels waren verdeckt; es murrte zuweilen ein Donner, aber das Gewitter zog sich sachte hinaus in die Gegenden von Birkfeld und Weiz.

Ein Blitz – so erzählte nun der Mann, der uns geweckt hatte, der Schafgiftel war's – wäre etlichemal hin- und hergezuckt, hätte ein Drudenkreuz an den Himmel geschrieben und wäre dann niederwärts gefahren. Er wäre aber nicht mehr ausgeloschen, der lichte Punkt an seinem unteren Ende wäre geblieben und rasch gewachsen und da hätte sich er, der Schafgiftel, gedacht: Schau du, jetzt hat's den klein' Maxel troffen.

»Wir müssen doch schauen gehen, daß wir was helfen mögen,« sagte mein Vater.

»Helfen willst da?« sprach der andere, »wo der Donnerkeil dreinfahrt, da rühr' ich keine Hand mehr. Der Mensch soll unserm Herrgott nicht entgegenarbeiten, und wenn der einmal einen Himmletzer (Blitz) aufs Haus wirft, so wird er auch wollen, daß es brennen soll. Hernachen mußt wissen, ist so ein Einschlagets auch gar nicht zu löschen.«

»Deine Dummheit auch nicht,« rief mein Vater.

Ließ ihn stehen und führte mich an seiner Hand rasch davon. Wir stiegen ins Engtal hinab und gingen am Fresenbach entlang, wo wir das Feuer nicht mehr sehen konnten, sondern nur die Röte in den Wolken. Mein Vater trug einen Wasserzuber bei sich und ich riet, daß er denselben gleich an der Fresen füllen solle. Mein Vater hörte gar nicht drauf, sondern sagte mehrmals vor sich hin: »Maxel, aber daß dich jetzt so was treffen muß?!«

Ich kannte den kleinen Maxel recht gut. Es war[264] ein behendes, heiteres Männlein, etwa in den Vierzigern; sein Gesicht war voll Blatternarben und seine Hände waren braun und rauh wie die Rinden der Waldbäume. Er war seit meinem Gedenken Holzhauer in Waldenbach.

»Wenn einem anderen das Haus niederbrennt,« sagte mein Vater, »na, so brennt ihm halt das Haus nieder.«

»Ist's beim klein' Maxel nicht so?« fragte ich.

»Dem brennt alles nieder. Alles, was er gestern gehabt hat und heut' hat und morgen hätt' haben können.«

»So hat der Blitz den Maxel leicht selber erschlagen?«

»Das wär' 's best', Bub. Ich vergunn' ihm das Leben, Gottseid', ich vergunn' ihm's – aber, wenn er eh'vor hätt' beichten mögen und in keiner Todsünd' wär' gewesen, wollt' richtig gleich sagen, das allerbest', wenn's ihn auch selber troffen hätt'.«

»Da wär' er jetzt schon im Himmel oben,« sagte ich.

»Watsch' nur nicht so ins nasse Gras hinein. Geh' gleim (nahe) hinter mir und halt' dich beim Jankerzipf an. Vom Maxel, von dem will ich dir jetzt was sagen.«

Der Weg ging sanft berganwärts. Mein Vater erzählte.

»Jetzt kann's dreißig Jahr aus sein – ist der Maxel ins Land kommen. Armer Leute Kind. Die erst' Zeit hat er bei den Bauern herum einen Halterbuben gemacht, nachher, wie er sich ausgewachsen hat, ist er in den Holzschlag 'gangen. Ein rechtschaffener Arbeiter und allerweil fleißig und sparsam. Wie er Vorarbeiter ist worden, hat er sich vom Waldherrn ausgebeten, daß er das Sauerwiesel auf der Gfarerhöh' ausreuten und für sein Lebtag behalten dürfe, weil er so viel gern eigen Grund und Boden hätte. Ist ihm gern zugesagt worden, und so ist der Maxel alle Tag, wenn sie im Holzschlag Feierabend gemacht haben, auf sein Sauerwiesel 'gangen, hat den Strupp weggeschlagen,[265] hat Gräben gemacht, hat Steine ausgegraben, hat die Wurzeln des Unkrautes verbrannt & #x2014 und in zwei Jahren ist das ganze Sauerwiesel trocken gelegt und es wachst gutes Gras drauf, und gar ein Fleckel Brandkorn hat er anbaut. Wie es so weit kommen, daß er's auch mit Kohlkraut hat probiert, und gesehen, wie gut es den Hafen schmeckt, ist er um Waldbäume einkommen. Die können sie ihm nicht schenken, wie das Sauerwiesel, die muß er abdienen. So hat er Arbeitslohn dafür eingelassen, und die Bäume hat er umgehauen und viereckig gehackt und abgeschnitten zu Zimmerholz & #x2014 alles in den Feierabenden, wenn die anderen Holzknechte lang' schon gut auf dem Bauch sind gelegen und ihre Pfeifen Tabak haben geraucht. Hätt' selber auch gern geraucht, das ist seine Passion gewest; aber eh'vor er fertig ist mit seiner Wirtschaft, tut er's nit. Und jetzt hat er angehebt, an solchen Feierabenden andere Holzhauer zu verzahlen, daß sie ihm bei Arbeiten helfen, die ein einziger Mensch nicht dermachen kann, und so hat er auf dem Sauerwiesel sein Haus gebaut. Fünf Jahr' lang hat er daran gearbeitet, aber nachher & #x2014 du weißt ja selber, wie es dagestanden ist mit den guldroten Wänden, mit den hellen Fenstern und der Zierat auf dem Dach herum & #x2014 schier vornehm anzuschauen. Ein sein Gütel ist worden auf der Sauerwiese, und wie lang' wird's denn her sein, daß uns unser Pfarrer bei der Christenlehr' den klein' Maxel als ein Beispiel des Fleißes und der Arbeitsamkeit hat aufgestellt? Nächst Monat hat er heiraten wollen, und daß er heraufgestiegen ist vom Waiselbuben bis zum braven Hausbesitzer und Hausvater – Bub, da ruck' dein Hütel! & #x2014 Und jetzt ist auf einmal alles hin Der ganze Fleiß und alle Arbeit die vielen Jahr' her ist umsonst. Der Maxel steht wieder auf demselben Fleck, wie voreh'.«[266]

Ich habe dazumal meine Frömmigkeit noch aus der Bibel gezogen, und so entgegnete ich auf des Vaters Erzählung: »Der Himmelvater hat den Maxel halt gestraft, daß er so aufs Zeitliche ist gegangen wie die Heiden, und der Maxel hat sich 'leicht ums Ewige zu wenig gesorgt. Sehet die Vöglein in den Lüften, sie säen nicht, sie ernten nicht & #x2014«

»Und sie schwatzen nicht!« unterbrach mich der Vater. »Ich kenn' mich nimmer aus, und das sag' ich, wenn's & #x2014«

Er unterbrach sich. Wir standen auf der Anhöhe und vor uns loderte die Wirtschaft des Kleinmaxel und das Haus brach eben in seinen Flammen zusammen. Mehrere Leute waren da mit Hacken und Wassereimern, aber es war nichts anderes zu machen, als da zu stehen und zuzuschauen, wie die letzten Kohlenbrände in sich einstürzten. Das Feuer war nicht wütend, es brüllte nicht, es krachte nicht, es fuhr nicht wild in der Luft herum; das ganze Haus war eine Flamme, und die qualmte heiß und weich zum Himmel auf, von wannen sie gekommen.

Eine kleine Strecke vom Brande war der Steinhaufen, auf welchen der Maxel die Steine der Sauerwiese zusammengetragen hatte. An demselben saß er nun, der kleine, braune, blatternarbige Maxel, und sah auf die Glut hin, deren Hitze auf ihn herströmte. Er war halb angekleidet, hatte seinen schwarzen Sonntagsmantel, den er gerettet, über sich gehüllt. Die Leute traten nicht zu ihm; mein Vater wollte ihm gern ein Wort der Teilnahme und des Trostes sagen, aber er getraute sich auch nicht zu ihm. Der Maxel lehnte so da, daß wir meinten, jetzt und jetzt müsse er aufspringen und einen schreckbaren Fluch zum Himmel stoßen und sich dann in die Flammen stürzen.

Und endlich, als das Feuer nur mehr auf dem Erdengrund[267] herum leckte und aus den Aschen die kahle Mauer des Herdes aufstarrte, erhob sich der Maxel. Er schritt zur Glut hin, hob eine Kohle auf und & #x2014 zündete sich die Pfeife an.

Als ich in der Morgendämmerung den klein' Maxel vor seiner Brandstätte stehen sah, und wie er den blauen Rauch aus der Pfeife sog und von sich blies, da war mir in meiner Brust heiß. Als ob ich es fühlte, wie mächtig der Mensch ist, um wie viel größer als sein Schicksal, und es für das Verhängnis keinen größeren Schimpf gibt, als wenn man ihm in aller Seelenruhe Tabakrauch in die Larve bläst.

Später hat der klein' Maxel die Asche seines Hauses durchwühlt und aus derselben sein Schlagbeil her vorgezogen. Er schaftete einen neuen Stiel an, er machte es an einem Schleifsteine der Nachbarschaft wieder scharf. »Wenn ich noch einmal baue,« sprach er vor sich hin, »so mach' ich's besser. Das obere Stübel ist eh nicht sauber gewesen.« Seither sind viele Jahre vorbei: Um die Sauerwiese liegen heute schöne Felder, und auf der Brandstätte steht ein neugegründeter Hof. Junges Volk belebt ihn und der Hausvater, der Alte, der klein' Maxel, lehrt seinen Söhnen das Arbeiten, erlaubt ihnen aber auch das Tabakrauchen. Nicht zu viel & #x2014 aber ein Pfeiflein zu rechter Zeit.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 2: Der Guckinsleben, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 13, Leipzig 1914, S. 262-268.
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