Als die hellen Nächte waren.

[268] Ein anderes Mal kam es größer.

Der Der Sommer war heiß gewesen. Das Moos des Waldbodens war fahl und spröde geworden und zwischen den Halmgerippen der Gräser sah man auf den grauen Erdboden. Neben den dürren Nadeln des Waldbodens lagen tote Ameisen und Käfer. Die Steine in den Betten der Bäche waren trocken und weiß wie Elfenbein. Wo dazwischen noch ein Tümplein stand, da starb darin eine Forelle oder ein anderes Tier des Wassers.

Die Luft war dicht und die Berge & #x2014 auch die nahen & #x2014 waren blaß. Die Sonne war des Morgens rot wie das verdorrte Blatt einer Buche, dann blaß und glanzlos, so daß man ihr ins Gesicht sehen konnte. Matt kroch sie hin über die graue Wüste des Himmels, als wäre sie erschöpft vor Durst. Gegen Abend stiegen häufig scharfgeränderte, glänzende Wolken auf; die Leute singen zu hoffen an, aber es kam ein Luftzug und am anderen Morgen waren die Wolken vergangen und der nächtliche Tau aufgesogen.

Draußen im Dorfe wurde ein Bittag um Regen angeordnet. Da strömten aus unserem Walde die Leute davon, nur der alte Knecht Markus und ich blieben im einsamen Hause, und der Knecht sagte zu mir: »Wenn das schön' Wetter gar ist, wird's regnen, was hilft der Bittag! Wenn uns ein Herrgott hergesetzt hat, so wird er keinen schwachen Kopf haben und unser vergessen. Und hat er keinen Kopf, so daß er die Welt nur mit den Händen zusammenstellt[269] und mit den Füßen auseinandertritt, nun, so hat er auch keine Ohren. Wofür hernach das Geschrei! Sagst du's nicht auch, Bübel?«

Leute, was läßt sich drauf sagen! »Der Knecht Markus ist ein alter Spintisierer« – das läßt sich drauf sagen.

Jetzt sprang der Riegelberger Halter zur Tür herein. Er war vor Aufregung sprachlos, durch das Fenster wies er mit beiden Zeigefingern auf den Rücken des Filnbaumwaldes hin. Der Knecht sah es und schlug die Hände zusammen.

Dort hinter dem Waldrücken stieg ein ungeheurer Wirbel von rotem Rauch auf und verfinsterte den Himmel.

»Das kann ein Unglück geben!« rief der Markus, langte nach einer Axt und eilte davon.

Der Rauch flutete immer heftiger auf und wurde immer breiter und dichter. Ich sing doch das Geschrei an, dem der Knecht keine Bedeutung beilegen wollte. Es hatte auch keine, wie sich's wies.

An den sonnigen Lehnen des Filnbaumschlages war's gewesen, wo das dürre Gestrüppe lag. Nahe wo der halbverdorrte Lärchenanwachs begann, war die Flamme entstanden, kein Mensch wußte wie. Zuerst mochte sie leicht hingehüpft sein von Reisig zu Reisig, dann empor von Ast zu Ast mit flatternden Flügeln. Sachte entfaltet das Element seine wilde Gewalt, seine roten, siegreichen Fahnen. Der Wald wird höher und dichter, an dem Geäste hängen lange Moosflechten nieder und die vor wenigen Jahren von einem schweren Hagelschlage geschädigten Stämme sind harzig bis hinauf zu den Wipfeln. Hei, wie die feurigen Zungen lechzen und emporlodern! Und in den Gründen züngeln sie wie ein Schlangengezücht und allerseits beginnt sich ein fürchterliches Leben zu entwickeln.[270]

Die wenigen Holzhauer rennen in Verwirrung herum und fluchen und rufen nach Hilfe. Aber der Wald und seine Hütten sind menschenleer, alles ist bei der Bittprozession. Bis sie nach Stunden endlich kommen, ist der Hochwald im Brande. Das ist ein Fiebern und Zittern in der Luft, ein Krachen und Prasseln weithin; Äste stürzen nieder, Stämme brechen zusammen und sprühen noch einmal auf in den wogenden Rauch. Neu und frisch blasen glühende Luftströme durch das Gehölz; die Flammen erzeugen sich selbst den Sturm, auf dem sie fahren. O gewaltiges, nimmersattes Element! Es zehrt, so lange es lebt, und lebt, so lange es zehrt, es verzehrt die Welt, und wenn sie erreichbar, tausend Welten, und hat nimmer genug. Keine Macht kann so ins Unendliche wachsen wie das Feuer, darum stellt es der Seher als den letzten Sieger über alles dar, als den Herrscher in Ewigkeit.

Die Menschen arbeiteten und arbeiteten; manchen trugen sie halb verbrannt von dannen. Der Knecht Markus sah die Folgen, aber er jammerte nicht und er verzagte nicht, er war die stille, die ruhige Tat. Schon begannen seine harzigen Kleider Feuer zu fangen, da eilte er hinab zum Bachbett und wälzte sich im Sand, bis sich dieser an alle Teile seines klebrigen Anzugs gelegt hatte. Nun war er gepanzert. Äste haute er ab, Bäume hieb er um & #x2014 o Gott, das schlug nicht an. Der glühende Strom brauste weiter; die kahlen Äste in der Runde, die rotnadeligen Zweige harrten schon der nahenden Flammenbraut und huben noch früher zu brennen an, als sie der erste Kuß erreichte.

Nun suchten die Arbeiter, die von allen Seiten herbeigekommen waren, den Flammen einen Vorsprung abzugewinnen und ihnen durch breite Abstockungen eine Grenze zu setzen, aber es teilte sich der Brand in Arme nach verschiedenen[271] Himmelsgegenden. Zur Abendstunde erhob sich ein Wind und zerzauste die mächtigen Feuerfahnen in tausend Fetzen und vervielfältigte überall das Element. Das war ein unheimliches Dröhnen in den Lüften und ein wunderlich Leuchten hin über das weite Waldland.

Erschöpft und ratlos ließen die Männer ihre Hände sinken, die Weiber räumten ihre Hütten aus und wußten mit der Habe nicht wohin.

In tiefen Tälern war es noch ruhig, da hörte man nichts als das leise Flüstern der hohen Tannen, aber der nächtliche Himmel war rosig und zuweilen flog hoch oben ein Feuerdrache dahin. Dann wieder kam eine zwitschernde Vogelschar und die heimatlosen Tierchen schossen planlos umher, und die Rehe und Hirsche kamen erschreckt heran zu den Menschenwohnungen.

»Wie diesen Tieren geht's uns allen!« klagte ein Weib, »keine Menschenmöglichkeit, daß der Wald gerettet wird & #x2014 alles brennt, alles brennt! O Christi Heiland & #x2014 es ist das Jüngste Gericht!«

Tagelang währte der Greuel.

Von unserem hochgelegenen Hause aus sahen wir aus den Wäldern des Filnbaum und der Fresenleiten die Flammen rot und langsam aufsteigen. Die ganze Gegend lag in einem Schleier und scharfer Brandgeruch stach in die Nasen. Unser Berg schien eingewölbt von Rauch, daß es oft schier dunkel war. Und da stand ein großes, trübrotes Rad über uns, das der Rauch umwirbelte, verdeckte und doch nicht ganz vertilgen konnte. Es war die Sonne. Wir sahen aber auch, wie das Feuer allmählich gegen uns heranrückte; es stieg über die Höhen her und es stieg in die Täler nieder, und es stieg endlich an unserem Berghange heran. Wir bedurften des Abends keines Kienspans[272] mehr in der Stube, wir hatten vollauf Licht, denn zehn Minuten weit vom Hause brannte der schöne Kienwald.

Das Vieh hatten wir längst auf die Almweide gejagt und die Einrichtungsstücke des Hause mitten auf das freie Feld hinausgeschleppt. Halb wahnsinnige Menschen kamen herbei. Der Vernünftigsten einer war der uralte Martin, dem die Hütte verbrannt war und der nun mitternächtig beim Scheine des Waldbrandes Preiselbeeren pflückte.

Mein Vater kletterte auf den Dächern unseres Gehöftes herum und mit einer langen Stange, an deren Ende er einen nassen Lappen gebunden hatte, schlug er die Funken tot, die herangeflogen kamen und sich auf das Dach gesetzt hatten.

In der fünften Nacht, als wir in einer Ecke unserer ausgeräumten Stube kauernd schliefen, wurden wir plötzlich von einem lauten Tosen geweckt, und der alte Markus, der auf dem Dache Nachtwache hatte, rief: »Das ist schon recht! Das ist schon recht!«

Ein Wettersturm hatte sich erhoben und wütete in dem brennenden Walde, daß es eine schreckbare Pracht war. Als ob ein wüstes Gewässer dahinbrauste zwischen den Stämmen, so toste und dröhnte es. Aber das Feuer wurde in die entgegengesetzte Richtung von unserem Hause geworfen, und das war es, was dem alten Markus so recht war. Die Flammen waren wie auf wilder Flucht; sie übersprangen ganze Waldpartien, zündeten an neuen, entlegenen Stellen.

Als sich der Orkan gelegt hatte, kam ein Regenguß. Der Regen währte tagelang und die Wolken stiegen träge auf und nieder. Lange noch mischte sich mit ihnen der Rauch der kohlenden Strünke & #x2014 endlich aber war alles Feuer ausgelöscht. Über alles legte sich der feuchte frostige Nebel & #x2014 es war die herbstliche Zeit.[273]

So ist die Begebenheit hier erzählt.

Doch endet der Wald mit seinem Untergange nicht, in ihm ist die Urkraft.

Der Nebel des Herbstes spann den Schnee; im Winter sahen wir von unseren Fenstern aus weit mehr weiße Flächen als sonst. Aber erst als der Lenz kam, sahen wir, was der Waldbrand angerichtet hatte. Überall verkohlter Grund, rostfarbige Steine, halbverbrannte Wurzeln, und darüber ragten die schwarzen Strünke einzelner Baumstämme. & #x2014 Nun kamen die Leute und reuteten. Sie stachen den schwarzen Rasen um, sie säeten Korn in das Erdreich; den Obdachlosen wurden neue Hütten gebaut. Und als der Frühherbst kam, war's eine Herrlichkeit. Kein Mensch in unserem Waldlande hatte je eine so große goldgelbe Pracht gesehen, als es das Kornfeld war, das sich über die Berge hinzog. Wir mußten alle zusammenhalten, die Flut der Halme, wovon einer sein schweres Haupt auf die Achsel des anderen legte, einzuheimen. Ich erinnere mich noch an das Wort, das bei dieser Gelegenheit der Pfarrer sprach: »Der Herr schlägt die Wunden, aber er spendet auch den Balsam, sein Name sei gelobt!« & #x2014 Am nächsten Tage schickte er seine Knechte, um von der reichen Ernte den Zehent zu holen, und er hat recht getan.

Gegen dreißig Jahre lang gab der Grund des verbrannten Waldes den Menschen Brot. Dann kam die Landflucht der Menschen und neuerdings sproßt auf den Berghöhen der junge, grüne Wald. Neues unendliches Leben webt darin & #x2014 eine üppige Pflanzenwelt, ein lustiges Tierreich, eine helle Gottesmorgenfreude.

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 2: Der Guckinsleben, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 13, Leipzig 1914, S. 268-274.
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