Beim lieben Vieh.

[291] Allmählich aber hub eine andere Zeit an, und ich sag' ja immer, man sollte die liebe Jugend nicht zum lieben Vieh stellen. Das liebe Vieh wird allzu gescheit. Erzählen wir was davon.

An einem Samstag war's, im Hochsommer, so in den Nachmittagsstunden, da hob der Herrgott die Rute und peitschte uns Alpelbauern tüchtig durch. Ein scharfer Hagel kam und vernichtete das reifende Korn und den grünen Kohl bei Putz und Stingel. Es war ein harter Schlag und nur jene Glücklichen, die unter der Erde ruhten, hatten ihn nicht gefühlt – die Erdäpfel.

Mein Vater hatte sieben Kinder, worunter ich dasjenige, welches am meisten brauchte, weil ich das größte war. – Arme Leute haben auch ihre Lieb' zu den Kindern im Herzen, aber die Sorge legt sich darüber und erstickt sie schier, und nur selten bäumt sie – die ja stark ist wie der Tod – sich empor und schreit mit einer alles übertönenden Stimme nach dem Kinde. Mein Vater hatte manchen Versuch gemacht, sich meiner zu entäußern, auf ein Jährchen oder zwei, bis ich selbst die Kraft hätte, auf heimatlichem Grunde mein Brot zu graben. Aber es nahm mich niemand, nur daß mich die Nachbarn zuweilen als Botengeher zum Krämer, zum Arzt, zum Amtmann benützten und mich dafür denselbigen Tag verköstigten.[292]

Als nun an jenem Tage plötzlich die Hungersnot da war, sah der Vater seine Sieben mit nassen Augen an und lachte dabei. Sein Gelächter war derart, daß ihm die Mutter in den Arm fiel und rief: »Mußt nit so, Mann, mußt nit so! Kommt's darauf an, so hab' ich dir übermorgen alle Kinder weg; nicht eins siehst mehr im Haus.«

Und am zweiten Tag zum Abend kam die Mutter müd' und matt nach Hause. Sie machte gar ein heiteres Gesicht – und das war mir heute bei ihr nicht in Richtigkeit.

»So,« sagte sie, als sie auf der Stubentürschwelle saß, die wir, wenn die Tür just zu war, gern als Lehnstuhl benützten, »so, Schüsseln sind gefunden, Kinder; sie stehen mitten auf dem Fremdleuttisch, jetzt müßt's halt lange Arm machen, daß ihr was mögt derlangen. Du, Peterl, gehst in den Hefelrainhof zum Vieh, wo du schon einmal auf Aushilf' bist gewesen. Kennst dich ja aus beim Vieh. Morgen früh kommt der Postl und nimmt dich mit. Dich, Jackerl, braucht der Grabelbauer zum Schafhalten. Kannst gleich morgen anheben. Die Plonerl brauchen sie beim Riegelberger fürs jung' Kind; den Polderl –«

»Jegerl, Jegerl, aber Bäurin!« unterbrach der Vater die Mutter, »hörst nit bald auf! Willst mirs denn alle verhausen?«

»So!« sagte die Mutter, »dir ist's nit recht! Ja meinst; es geschieht mir leicht?«

Die vier Kleineren blieben daheim bei den Erdäpfeln, wir drei Größeren gingen »in Dienst«. Wie es dem Jackerl beim Schafhalten und der Plonerl beim Kinderwiegen ergangen, das mögen sie selber dartun, oder die Wißbegierigen müssen warten bis auf den Tag, wo alles offenbar wird.

Ich ging in den Hefelrainhof zum Vieh. – Hätte ich[293] damals schon den schönen Namen Stallwart erfunden gehabt, ich hätte mein Geschick viel leichter ertragen als so, da mich jeder im Hause den Ochsenbuben hieß und auch danach behandelte. Für den Ochsenbuben ist alles gut, insonderheit wenn er noch so klein und untüchtig ist, als ich es war. Ich war auf mich selbst gestellt, konnte mich, den unter den Fittichen der Mutter vier Schuh hoch Gewordenen, zu den barschen fremden Leuten nicht schicken und sah es bald ein, daß ich in dem ganzen großen Hefelrainhof nur zwei Freunde hatte – meine steten Begleiter bei Tag, meine Stubengenossen bei Nacht – die Pöll Foich.

Pöll Foich, so hieß das vierjährige Zugochsenpaar meines Dienstherrn, das ich zu füttern und zu pflegen und bei den Fuhrwerken auf Weg und Feld zu leiten hatte. Mein Bett hatte ich im Stall über ihrer Krippe hängen, ihr gegenseitiges Lecken, ihr Reiben an der Krippenecke und ihr gemütliches Wiederkäuen war mir das Traulichste, was ich außer dem Essensruf auf dem Hefelrainhofe zu hören bekam, und ihre natürliche Wärme ersetzte mir in den Winternächten vollauf den Ofen.

Bei solch engem Umgange mit den beiden Recken konnte es nicht fehlen, daß ich allmählich ihre Charaktere durch und durch kennen lernte.

Der Pöll war eine schöne kräftige Gestalt. Er war lichtgrau von Farbe, hatte große, pechschwarze Augen und um dieselben einen ziemlich breiten, gelblichen Rand, dann eine Schnauze, auf welcher, gute Gesundheit deutend, stets Tröpfchen standen, und auf dem Oberkiefer zwei breite Zähne, welche seine Mannbarkeit ankündeten. Seine Mannbarkeit! Mein Himmel, welche Ironie des Schicksals! Die Hörner des Pöll waren dick und etwas nach vor- und aufwärts gebogen, grau und rauh an der Wurzel und schwarz[294] und glatt an den Spitzen, die sehr scharf ins Weite standen. Der Pöll trug sie gern hoch, er wußte, was er an seinen Hörnern besaß. Er war aus dem Dorfe gebürtig; seine erste Kindheit lebte er am Busen der Mutter, von welchem er aber schon in der fünften Woche seines Lebens gerissen wurde. Seinen Vater hatte er nie gekannt; derselbe, ein rüder, wüster Geselle, soll – so sagt man – zahllose Weiber betrogen haben und der Ahne einer weitverzweigten Sippe geworden sein.

Von der Mutter weg kam der Pöll, ganz wie ich, auf den Hefelrainhof, wo er seine Erziehung genoß. Ein aufgeweckter Junge, trieb er's lustig mit den Kälbern und Füllen auf der Weide, und kaum noch die ersten Stummel seiner Hörner hervorguckten, versuchte er sich schon im Rennen und Gaukeln und stieß manchen älteren Genossen in die Flucht. Sonst aber war er ein sanfter Charakter und hatte ein gutes Herz; jedesmal, wenn er glaubte, einem Kameraden wehgetan zu haben, ging er freundlich auf ihn zu, beleckte ihn an den Ohren, unter den Hörnern, am Halse und überall, wo jener selber sich nicht lecken konnte. Jedem sah er fröhlich ins Auge und jeder hatte ihn lieb. Und die Kalben blickten verschämt durch die Zäune auf den Jüngling und senkten züchtig ihre Häupter und fraßen taunasses Gras – da ihnen so warm ums Herz war.

In seiner Kindheit war der Pöll semmelfalb gewesen und alle hatten ihn das Falcherl, den Falben, genannt. Mit den Jünglingsjahren aber wurde seine Farbe dunkler und fast grauschwarz bis auf den weißen Streifen, der wie Reif längs seines Rücken lag. Sehr kräftig und schön entwickelte sich der Nacken, und die Hörner wuchsen immer kühner und freier aus ihrem Grunde. Der Hefelrainhofer tätschelte den Jungen gern mit der Hand, schob ihm Heu[295] in die Schnauze und sah dabei nach, wie es mit den Zähnen stünde, die er sich für eine gewisse Angelegenheit zur Richtschnur sein ließ, und nannte ihn sein »braves Pöllerl«.

Da war's zur selben Zeit, an einem wohligen Juliabende, daß der Pöll an der Zaunschranke stand, als hinter derselben in ehrsamem Schritte die Rinderschar des Ziselhofes vorüberzog. Voran ging im Bewußtsein ihrer Würde die braune schwerbeeuterte Glockenträgerin, wohlgesättigt von der Halde. Als sie den jungen Pöll am Zaune stehen sah, hielt sie ihren Schritt an und blickte zu ihm hinüber. Sie erkannte den Sohn und eine Herzensfreudigkeit wurde in ihr lebendig darüber, daß der Junge noch am Leben war und so wohl aussah, während manches ihrer Kinder mit großen, wütigen Hunden von ihr fortgehetzt worden.

Aber der Pöll hatte kein Auge für seine Mutter. Ein anderes war es, was heute sein volles Interesse in Anspruch nahm. Etwa die dritte oder vierte in der Reihe, schritt in jungfräulicher Züchtigkeit eine Kalbin heran, die nur einmal ihren Kopf nach ihm wendete, dann sich mit dem Schweif eine Bremse vom Rücken schlug und gleich den anderen von hinnen wandelte.

Der Pöll ging seinerseits den Zaun entlang und ließ die holde Erscheinung nicht aus den Augen. Ein bisher ungekanntes Gefühl wurde in seinem Herzen wach. Er brüllte dumpf, eine Träne rann aus seinem Auge, und es mag ihm in diesem Momente wohl zumute gewesen sein, wie einem Menschenjüngling, der ein lyrisches Gedicht macht. Plötzlich jedoch sah er etwas, wovor seine ahnungslose Seele erbebte. Durch die Herde heran drängte sich der Grull, ein schwarzer Geselle mit sehr dickem Halse. In männlicher Stolzheit nahte er sich der schönen Kalbin. – Der Pöll kannte ihn wohl, den Grull; die beiden waren einige[296] Zeit Kameraden gewesen auf dem Hefelrainhofe, hatten in einem und demselben Stalle gewohnt und waren sogar Freunde geworden. Der Grull war ein Jahr älter als der Pöll, aber um vieles unternehmender und leidenschaftlicher. Er war Realist vom Heu bis zum Stroh, während in Pöll bisweilen doch auch die zarten Saiten des Ideals erklangen. Der Pöll träumte zuzeiten von sprossenden Kohlgärten und Blumenbeeten, von peitschenloser Freiheit auf ungemähten Wiesen und Kleefeldern und mancherlei Dingen, die dem irdischen Vieh zumeist wohl unerreichbar sind, während sich der Grull nur an das hielt, was ihm augenblicklich nahe lag und er hierin auch voll zu genießen verstand.

Da hatte eines Tages der Nachbar Ziselhofer an dem stämmigen und praktischen Burschen Gefallen gefunden, denselben gegen ein fettes Schlagrind eingetauscht und zu seiner Herde heimgeführt, die an dem neuen Genossen sehr viel Freude fand.

Und wie mußten sich die beiden Freunde wiedersehen! Der Grull ging gerade auf die anmutsreiche Kalbin – Morlo, rief sie der Hirt – zu, und diese blieb stehen und wartete auf ihn. Er gaukelte einmal mit den Hörnern, dann beleckte er ihre Wange – Menschen würden sagen, er küßte sie – und legte sein dickes Haupt auf ihren Nacken. – Da wurde es dem armen Pöll grau vor den Augen, heiße Glut, wilde Eifersucht tobte in seiner Brust, er rannte mit den Hörnern gegen den Zaun und suchte die Stangen zu durchbrechen, um das holde Wesen vor dem Lüstling zu schützen. Jetzt stand der Hirt da und ein Peitschenriemen, der noch erklecklich viele Knoten haben mußte, pfiff dem Pöll wie eine giftige Schlange um die Ohren, daß er erschreckt zurückwich.

Als er sein Haupt wieder wendete, war der Zug vorüber;[297] die Glocke hörte er noch schellen von weitem; er aber stand auf der Heide, einsam und allein.

Jedoch – was ein finster Geschick ihm versagte, das schien ein freundlicher Zufall zu gewähren. Sein Herr, der Hefelrainhofer, kaufte eines schönen Tages die Kalbin Morlo an. Auf der freien Weide wurde sie zur Herde des Hefelrainhofers gelassen. Sie war schüchtern und etwas verzagt; der weibliche Teil der Herde schien sie zu meiden, zu höhnen oder gar mit den Hörnern zu verfolgen; der männliche Teil machte sich neugierig und übermütig an sie heran. Der gute Pöll hielt sich stets etwas abseits, tat als grase er unbekümmert auf seinem Fleck – doch sein ganzes Denken und Fühlen war sie. Er sann nach, ob es nicht möglich wäre, in der Abenddämmerung den Bretterzaun des Gemüsegartens der Bäuerin zu durchbrechen, die Morlo mit in denselben zu locken, unbeirrt von allen anderen mitten unter köstlichen Kräutern und Blumen ihr seine Liebe zu gestehen und so den verhaßten schwarzen Buhlen für immer aus dem Felde zu schlagen.

Langsam und auf Umwegen nahte er sich nun der braunen Kalbin. Herangereift zur vollen Weiblichkeit, war sie weder kokett noch affektiert, in reizender Naivität hob sie ihr Haupt, wendete es dem Jüngling zu und sie blickten sich ins Auge. Sie fanden sich und sollten nun zusammen sein alltäglich auf der blumigen Flur und in der schattenkühlen Halde. Dann wollte er sie umfangen mit seinen Armen, auf denen er sonst – unter dem Fluche des Geschlechts – zu Vieren durchs Leben schreiten mußte.

Hoffnung schwellte sein Herz. – Da war's an dem Tage, daß ein fahlbärtiger Mann in den Hefelrainhof kam; derselbe hatte eine übermäßig fettige Lederhose, ein narbiges Gesicht und zwei kleine, nebelgraue Äuglein, die nicht[298] viel Gutes ahnen ließen. Er trug einen Strickballen an den Hosenhäller geknüpft mit sich, ferner einen braunen Salbentiegel, einen Handblasebalg und einen zweischneidigen Eisenkolben, den er in der Küche des Hauses sogleich ins Feuer steckte.

Und zu gleicher Stunde kam der Hefelrainhofer auf die Weide, sah sich nach dem Pöllerl um und lockte ihn schmeichelnd mit einer Handvoll Hafer mit sich. Der Pöll freute sich über das Wohlwollen seines Herrn, und in der Meinung, daß ihm schon das Hochzeitsmahl gedeckt sei, trabte er dem Bauer nach.

Du armer, ahnungsloser Junge!

Kaum daß er in den Hof eintrat, wurde er von mehreren Knechten an den Hörnern gepackt, auf einen Strohbund hin zu Boden geworfen, an beiden Füßenpaaren mit Stricken gebunden – und er, ganz betäubt im ersten Schreck, erwartete nichts anderes als den Gnadenstoß ins Herz. Es kam schlimmer. Mit plötzlicher und schreckvoller Klarheit sah der Pöll die schändliche Verschwörung gegen ihn, hinter welcher sicherlich der falsche Grull steckte. Er brüllt wie ein Löwe, doch ergeben mußte er sich der brutalen Gewalt, es vergingen ihm die Sinne.

Als der Arme wieder zu sich kam, lag er in der Dunkelheit seines Stalles auf frischem Stroh. Er fühlte, sein Wesen war gebrochen, Lieb' und Leben ihm vergällt. Er knirschte mit den Zähnen, er stieß mit der Stirne an die Krippe, daß darunter die Mäuse aufschreckten – aber er war ohnmächtig.

Nach acht Tagen war der Pöll insoweit wieder geheilt, daß er auf eine Stunde ins Freie wanken konnte. Sonnig lagen die Gefilde vor ihm da, aber nicht erfreute ihn der Sang der Vögel, nicht der Duft der Blumen und nicht das[299] saftige Gras. Traurig blickte er hinüber auf die Au, wo die Herde fröhlich weidete und wo Morlo, die braune Kalbin, mit – dem schwarzen Grull koste und schäkerte.

Laut stöhnte er auf und wühlte mit seinem Vorderfuß in der Erde, als wollte er dem siegreichen Nebenbuhler das Grab graben, oder sich selbst in den kühlen Grund betten. Dann kam eine tiefe Abspannung und Gleichgültigkeit über ihn und weltverachtend legte er sich in die Sonne hin und schloß die Augen.

Zur selben Zeit war's, daß der unglückliche Pöll einen neuen Stallgenossen erhielt. Es war ein lichtsalber, gutmütiger Ochs, im gleichen Alter mit dem Pöll, und auch mit gleichem Geschicke. Sein Name war Foich (so viel als der Falbe, der Falche). Er war in der Wiesau geboren, kam frühzeitig unter fremdes Dach und überhaupt hatte seine Jugend große Ähnlichkeit mit der unseres Pöll. Nur war der Foich von glücklicherer Charakteranlage als jener; er war phlegmatischen Temperaments, genoß ruhig, was die Weide und der Trog ihm boten, hatte weiters keine Wünsche und Pläne und ließ sich von des Lebens Lust oder Not nicht eben sehr aufregen. Eine gelbgraue Kalbin, die mit ihm auf einem und demselben Hofe war, sah er nicht ungern, doch als er merkte, daß sein Kamerad, der Zingg, mit Leidenschaft ihr nachhing und darüber sehr mager wurde, verzichtete er willig. Trotzdem verfiel auch er dem bösen Fatum, dem kein Ochse hienieden entgeht, und mit gebrochener Manneskraft kam er auf den Hefelrainhof, wo er den trostlosen Schicksalsgenossen fand.

Der Pöll kehrte sich anfangs nicht an den neuen Kameraden – er grollte allen Wesen und zumeist denen, die sich, wie der Foich, mit gleichgültigem Behagen der Niedertracht der Welt ergaben. Doch ging allmählich, wie an[300] seiner äußeren Hautfarbe, die seit der Katastrophe lichte grau und endlich völlig weiß wurde, auch in seinem Innern eine Änderung vor, er zog sich von der Welt zurück, begann sich mehr und mehr dem Foich anzuschließen. Die beiden wurden sich an Gestalt immer ähnlicher, nur daß der Foich sehr glatte und weiße Hörner hatte, welche etwas nach rückwärts standen, während jene des Pöll, trotz alles Feilens und Schabens des Oberstallknechtes, grau und rauh blieben und immer mehr und kecker nach vorn wuchsen. So waren beim Foich auch die Augenringe und der Rand um die Schnauze herum schneeweiß, was stets auf Gutmütigkeit und Befähigung zur Fettleibigkeit weist, während die gelblichen Augenränder des Pöll auf Trotz und Tücke schließen ließen.

Als die beiden vollständig genesen waren, kam eine neue Prüfung. Der Altknecht und der Feldbub führten sie eines Morgens aus dem Stall und legten auf ihre Nacken ein schweres Holzjoch, welches sie so stramm zusammenhielt, daß keiner sein Haupt weder nach links noch nach rechts zu wenden vermochte. Der Foich hielt ruhig still; der Pöll hingegen war empört über diese neue Grausamkeit und bäumte seinen Nacken, daß das Joch ächzte und dem armen Foich fast die Hörner abgedreht wurden. Das brachte dem Widerspenstigen einen Schlag mit dem Peitschenstab ein, worauf er noch unsteter wurde, mit den Hörnern gegen die Unterjocher dreinzufahren suchte, mit den Nasennüstern heftig schnaubte und schäumte. Ein zweiter Schlag über die Stirne, da tat der Pöll einen Ruck, krachend brach das Joch, und, das eine Stück noch an die Hörner gebunden, rannte er wild schnaubend und mit hochgeschwungenem Schweife davon.

Der Foich stand da und sah verwundert dem so wütend[301] gewordenen Kameraden nach. Dieser wurde mit vieler Mühe eingefangen, hart geschlagen und endlich durch vier handfeste Knechte in ein neues Joch gespannt. Dann wurden beide förmlich davon geschoben; der Pöll wollte nicht gehen und der Foich konnte nicht, weil er ja an den anderen geschmiedet war; manchen Hieb mußte der gute Foich sich gefallen lassen, den gewiß nur der widerspenstige Pöll verdiente, der das eine Mal sich fest wie eingewurzelt gegen das Vorwärtsgehen einstemmte, das andere Mal wieder in wilden Sprüngen voranschoß, den armen Foich zurückdrängend oder mit sich fortreißend.

So kamen sie hinaus auf das Feld und dort wurden sie an den Pflug gespannt. Jetzt war an ein rasendes Vorwärtsspringen nicht mehr zu denken, denn der Pflug schnitt tief und schwer die Furche und hielt das ungefüge Paar in gutem Zaum. Nach mancherlei Befreiungsversuchen und trotzigen Gesten sah es endlich der Pöll ein, daß es am wenigsten Schläge und andere Beschwerden gab, sobald er ruhig und gleichmäßig in der Furche dahinschritt.

Und so wurden die Pöll Foich ein paar gute Arbeiter auf dem Felde des Hefelrainhofers. –

So standen die Dinge, als ich, von dem Hagelschlag aus der Heimat vertrieben, in den großen Bauernhof kam. Durch näheren Umgang mit den beiden und durch freundschaftliches Interesse, welches wir uns gegenseitig zuwendeten, war ich der erste und vielleicht der einzige, welcher die Pöll Foich in ihrer ganzen seelischen Bedeutung würdigte. Ich striegelte ihnen täglich die Streukrümchen und die ausgehenden Haare vom Leibe, ich beschnitt allmonatlich ihre Klauen und Hörner und stutzte die langen Haarbüschel ihrer Schweife.

In Kostsachen mußten sie mit Heu und Stroh und dem[302] Hausbrunnen vorlieb nehmen, nur des Abends bekamen sie die »Lecken«, einen aus kleinen Futterabfällen und Heugesäme bereiteten Brei, in den ich jedesmal erklecklich viel Salz streute, wofür mir die beiden Pfleglinge stets sehr dankbar waren. Mir gegenüber ließ der Pöll von seiner Verbissenheit nichts spüren, gerade als hätte er's gewußt, daß auch ich einer der Übervorteilten war – nicht in allen Dingen, so wie er, jedenfalls aber in dem, was das Joch betraf. – Die Pöll Foich hatten sich nun recht aneinander gewöhnt, und zur Winterszeit oder an Feiertagen, wenn die Last der Pflichten nicht gar zu sehr auf sie drückte, waren sie sogar aufgeweckt und streichelten einander sehr oft mit der Zunge.

Als jedoch wieder das Frühjahr kam, ging von neuem die Plage an. Der Pöll zog seinen Pflug, aber ungern, und zuweilen blickte er knirschend hinüber auf die nahe Au, wo Kühe und Kalben in idyllischer Freiheit herumgingen, lagen, standen und hüpften, und wo die längst zur Kuh gewordene Morlo mit dem Grull ein beschaulich Eheleben führte.

Doch schien auch das Leben des schwarzen Buhlen nicht geradezu kampflos abzugehen. Eines seiner Hörner war gebrochen. Der Grull war ein leidenschaftlicher Ringer und Raufer geworden. Jeden harmlosen vierfüßigen Gesellen, den er auf der Weide traf, er mochte vom Ziselhofe sein oder vom Nachbarhofe kommen, oder von weiter her, stänkerte er an, begann Händel, hub in die Erde zu graben, mit den Hörnern zu gaukeln und zu drohen und arg zu brüllen an und ruhte nicht eher, als bis einer oder der andere ächzend auf dem Boden lag. Zumeist waren es Liebes- und Eifersuchtshändel mit solchen, die sich der Morlo zu nähern suchten, oder mit solchen, denen er selbst ins[303] Gäu ging, denn er war ein durchaus lockerer Geselle, der Grull, und huldigte dem Prinzipe der Vielweiberei – aber nur für sich allein.

So hatte er bei einem letzten Ringen sein linkes Horn eingebüßt und nun sah er recht abenteuerlich aus und verwahrlost, aber bei dem schönen Geschlechte hatte er immer noch Glück.

Der Pöll, wenn er manchmal auf die Weide geführt wurde, ging mit einem dumpfen Gebrumme an dem Grull vorüber, ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, wie sehr der andere auch bestrebt war, mit ihm anzubinden. Der Pöll hielt sich überhaupt nicht gern unter der Herde auf; er suchte sein grünes Gras abseits und ging seine besonderen Wege. Doch mußte der Hirt gerade auf ihn am meisten acht haben, denn er durchbrach, wo er sich unbeachtet wußte, die Zäune und ließ es sich auf einem nachbarlichen Kornfeld wohl sein, oder er hub mit den langen Hörnern geschickt die Wegschranken aus und wanderte davon und wäre sicherlich längst in die Fremde gezogen, wenn man den paßlosen Vierfüßler nicht allemal noch irgendwo aufgehalten und zurückgeliefert hätte. So hatte sich der Pöll befreit von dem Vorurteile seiner Standesgenossen, als könne der kräftige Ochs einen Stangenzaun nicht mit Leichtigkeit niederwerfen, und so gab es für ihn auf räumlichem Gebiete keine Weg- und Grenzschranken mehr. Arg war es besonders des schlechten Beispiels wegen. Er hieß niemals einen mit sich, war's zufrieden, wenn er allein gehen konnte, aber die Herde ahnte seine Wege und folgte ihm nach durch die niedergerannten Zaunschranken aufs Korn- oder Kleefeld oder auf die ungemähte Wiese des Nachbars.

Klagen liefen ein über den bösen Pöll und seine Verwüstungen,[304] und weil es für solche Übeltäter in unserem Staate noch kein Gericht gibt, so wurde nicht der Pöll, sondern der Hefelrainhofer mit Strafen bedroht, insofern er den Bösewicht nicht unschädlich mache.

Jetzt band der Bauer dem Pöll eine Stange so über die Hörner, daß sie zum Aufbrechen von Zäunen ungeeignet werden sollten, und ließ ihn nachher auf die Weide. Allein das war dem Gemaßregelten gerade recht, jetzt verrichtete er die Sprengwerke mit der Stange und schonte dabei die Hörner. – Versuchte es der Hefelrainhofer noch einmal, es dem Ochsen an Intelligenz zuvorzutun, und schnallte ihm ein Brett vor die Augen, so daß der Pöll gar nicht vor sich hinsehen konnte, sondern nur hart an den Boden nieder, wo das schlechte Gras wuchs. Der Pöll sah's ein, das war ein großer Nachteil. Zuerst stand er da und ging nicht einen Schritt vom Fleck. Als es ihn zu hungern begann, suchte er sich etwas Gras und stieß dabei an einen Baum. Der Baum war ihm willkommen, denn an diesem suchte er sich nun der fatalen Augenblende zu entledigen; da ihm das aber nicht gelang, so wollte er mit seinem Kameraden, dem Foich, ein Kopfrennen anfangen, um das Brett auf solche Weise zu zertrümmern. Doch der Foich verstand ihn nicht und hub an, den Kampflustigen begütigend zu lecken.

Zwei Wochen lang ging der Pöll mit der Blende auf die Weide; als wir ihn aber hierauf für ein Waldfuhrwerk einspannen wollten, sahen wir, wie sehr er abgemagert und entkräftet war, und der Bauer sagte: »Mit dem Augenband geht's auch nicht. Den muß man im Stall behalten oder ihm einen eigenen Wächter beigeben. Wär der Racker nur besser bei Fleisch, ich wollt' ihn am liebsten zum Fleischhauer führen.«[305]

So weit kam's mit dem Pöll, und wie einen von der Strafanstalt entlassenen Spitzbuben mußte man ihn bewachen, so oft er ins Freie kam. Berüchtigt war er in nah und fern, und wenn irgendwo auf ein Getreidefeld oder in einem Garten eingebrochen wurde, so mußte es der Pöll gewesen sein, und hielten wir ihn auch verschlossen hinter dreifachen Türen.

Im Spätherbst vor dem Einschneien konnten wir seinen Zwang etwas lockern. Da läßt man alle Herden auf die abgeweideten und abgeernteten Wiesen, Felder und Matten, und durcheinander mit den nachbarlichen Rindern, wie sie eben durcheinander wollen. Da konnte der Pöll nicht mehr viel Schaden tun, und so banden wir ihm weder Stange noch Blende an den Kopf.

Menschen und Tiere freuten sich der letzten sonnigen Tage und ich selbst war im Hefelrainhofe schon so angewöhnt, daß ich mich kaum mehr viel zurücksehnte in mein Vaterhaus, wo Vetter Schmalhans immer noch Küchenmeister war. Da wurden eines Tages die friedlichen Herbst tage schrecklich unterbrochen. Eine Botin vom Ziselhofe kam atemlos gelaufen – oben im Waldanger unter einem Raine liege der Stier, der Grull, tot in seinem Blute!

Wir alle eilten dem Waldanger zu. Es war so. Mit arg zerschürfter Haut, einem gebrochenen Vorderfuße und einer tiefen Wunde am Halse lag der Grull mit hervorgestreckter Zunge und verglasten Augen zwischen Binsengebüsch auf dem Moor. Ein Mord! Der Unglückliche mußte sich wacker gewehrt haben, oben auf dem Anger war streifenweise das Gras weggeschürft und lagen kleine Haarbüschel herum. Dann war er, wie die Blutspuren zeigten, über den steilen Rain geworfen worden.

Wer war der Mörder? Ein Racheakt mußte es gewesen[306] sein, des war alles einig, denn der Grull hatte unter dem männlichen Geschlechte seines Stammes viele Feinde gehabt. Aber welchem von ihnen konnte eine solch schreckliche Bluttat zugedacht werden? Wie man auch Umschau halten mochte in den Herden, alle – darunter auch die zahlreichen Witwen – glotzten harmlos drein, und waren kaum erschüttert von dem Ereignisse. Vor allem mußte der Tote fortgeschafft werden. Ein trauriges Begräbnis blieb erspart. Die Leute der Gegend hielten zu Ehren des Getöteten manch ein sattsam Mahl, zu dem er selbst den Braten lieferte.

Als wir an dem Abende des Unglückstages unsere Herde sonderten und in den Hof leiteten, war – der Pöll nicht darunter.

Sofort stieg Verdacht auf! Wo ist er? Weshalb kehrt er nicht heim? – Ach, es war im Grunde eigentlich nicht so auffällig, wenn man den Ausreißer kannte. Wir sollten bald Gewißheit haben. Noch in der Nacht brachte der Waldbachköhler den Pöll an einem Strick in den Hof und schrie, daß die Wände gellten und wir alle aus dem Schlafe fuhren: »Den Mörder haben wir da! Er hat wollen auf die Fischbacher Seite hinüber!«

Mit einer Spanlunte leuchteten wir dem Eingebrachten ins Gesicht; dieses sah erschreckt und unstet drein und die scharfen vorgebogenen Hörner waren blutig.

Es bedurfte weiters keiner Beweise mehr. Der Pöll wurde zum Foich und zu mir in den Stall getan, der Köhler bedankt, das Haus legte sich wieder zur Ruhe.

Am anderen Tage zahlte der Hefelrainhofer fünfundvierzig Gulden an den Ziselhof für den getöteten Grull, mit der Bedingung, daß ihm die Haut überlassen werde. Als er mit der geleerten Brieftasche heimkam, nahm er die schärfste Peitsche hervor, die in der Ochsenkammer aufzufinden[307] war, führte den Foich aus dem Stall und schloß sich selbst in denselben zum Pöll ein. Der Pöll stand ganz ruhig vor dem leeren Heutrog und wartete auf Futter, als wisse er nicht, daß heute strenger Fasttag sei. Der Bauer stand ruhig vor dem Pöll und machte sieben Knoten in seine Peitsche. Und als die Knoten fertig waren, ließ er sie niedersausen auf den Körper des Verbrechers. Da begann der Tanz um die Krippe, die mitten im Stalle stand. Mächtig pfiff die Peitsche, wüst fluchte der Bauer und der Pöll schoß polternd im dunkeln Stalle um, stieß an Wand und Barren und hub zu brüllen an. Gewehrt hat er sich glücklicherweise nicht.

Erschöpft hielt endlich der Bauer ein. Der Pöll stand an die Wand gedrückt und schnaufte.

»So, mein Pöllerl, und jetzt, daß du's weißt, du kommst dein Lebtag nicht mehr aus Tageslicht,« mit diesen Worten verließ der Hefelrainhofer den Stall und schlug die Tür hinter sich zu.

Lebenslängliche Haft! – mehr noch; der Pöll war zum Tode verurteilt!

Schon am nächsten Tage begannen wir, ihm Kräuter und Erdäpfeltränke, seines Heu ohne Stroh, Kleienlecken, Rübenspalten, gekochte Kohlstengel usw. zu füttern und für den Übeltäter begann ein Leben, wie er es selbst in seinen kühnsten Träumen sich nicht zu hoffen gewagt hatte. Andere wurden an den Pflug und an den Wagen gespannt, um all das herbeizuschaffen, was seinen Tisch so gut und teuer machte.

So ging es monatelang; aber selbst in der Gefangenschaft und im Wohlleben schien der Pöll seine Bosheit nicht ablegen zu wollen. Er wurde nicht fett. Er fraß und soff und lag auf der Haut und wurde nicht fett. Als ob[308] er's gewußt hätte, daß ihm seine Magerkeit allein noch das Leben eine Zeitlang erhalten konnte.

Ganz anders der Foich. Trotzdem er bisweilen noch mit einem fremden Genossen ins Joch mußte und durchaus keine besondere Köstigung genoß – er gedieh und wurde von Woche zu Woche beleibter. – Das macht das gute Gewissen. Und da der Bauer die gute Art des Falben sah, setzte er ihn in den wohlverdienten Ruhestand und begann ihn mit größerem Fleiße als bisher zu füttern.

Und als die älteste Tochter des Hauses heiratete, war es der gute, sanftmütige Foich, der es übernehmen mußte, den Festbraten zu stellen.

Der Pöll aber lebte noch lange fort, stets gefüttert und gepflegt, aber er blieb mager, so daß der Hefelrainhofer von neuem Lust bekam, das »zaundürre Rindvieh«, wie er sich in seinem Zynismus auszudrücken beliebte, noch einmal um die Krippe tanzen zu lassen und dazu mit der Peitsche den Tanz zu pfeifen.

Mittlerweile waren gesegnete Jahre gekommen und ich sollte wieder heim ins Vaterhaus. Was aus dem unglücklichen Pöll weiter geworden, ist mir nicht bekannt; nun wird er wohl schon längst gestorben sein.

Ich habe diese wahre Geschichte einmal einem Naturforscher erzählt, als neuen Beleg der Ähnlichkeit des Seelenlebens zwischen Menschen und Tieren. Und ich hatte noch die tiefsinnige Bemerkung beigefügt, wie es doch seltsam sei, daß, wie der Mensch, so auch das Tier hinausgestoßen werde in das Leben, um schuldig und unglücklich zu werden.

Hierauf gab mir der Naturforscher zur Antwort: »Lieber Freund, das Unglück Ihres Helden war, daß er für einen Ochsen zu gescheit gewesen ist.«

Quelle:
Peter Rosegger: Waldheimat. Band 2: Der Guckinsleben, Gesammelte Werke von Peter Rosegger, Band 13, Leipzig 1914, S. 291-309.
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