Neunte Szene

[144] Die Volksmenge stürzt sich auf den Mann, Klotz, den Gouverneur und zerrt sie in ihre Mitte.


ANNA hervorbrechend. Wie sie geschlachtet werden! Ich ertrag es nicht länger, dieses Opfern! Ich bin bei euch. Ich will mit euch sterben!

DIE FRAU. Befreiung! Warum bleiben wir so still? Wir befreien sie!

ERSTER GEFANGENER. Wir sind zu wenige!

DIE FRAU. Dann sterben wir mit ihnen.

ANNA, DIE FRAU, DIE BEIDEN GEFANGENEN, DER OFFIZIER. Brüder, wir sterben mit euch!


Wollen zu den Gefangenen.


KLOTZ aus dem Haufen. Nein, bleibt! Ihr müßt leben! Dazu ist unser Opfer, daß ihr unter alles Volk der Erde geht und die Hingabe lehrt für die Menschheit!

JUNGER MENSCH. Oh, Strom in mir! Wußten wir das je? Durch uns rinnt Willen!

DER MANN zum Volk. Noch einen letzten Schritt, dann bin ich geworden wie ihr. Nun werdet ihr wie ich!

VOLK. Hohn! Er höhnt uns!


Dem Mann werden die Hände gebunden.


DER GOUVERNEUR zum Mann. Das ist deine Sünde, auch wenn du recht hast. Dein letzter Hochmut!

DER MANN mit gebundenen Händen. Ich habe Todesangst. Aber ich sterbe für euch. Aus Jahrtausenden fiel ein Funke in mich, ich warf ihn weiter – laßt ihn brennen in euch!

DAS VOLK plötzliche Angst. Kein Blut mehr, Brüder! Zu den Brüdern. Ein Wunder, tut doch ein Wunder mit eurem Willen!

DER GOUVERNEUR. Es muß sein. Das Wunder, Volk, und der Wille sind nicht mehr bei uns, jetzt sind sie bei euch.

GREIS. Bei uns ist das Wunder? Dann müssen wir nicht sterben, dann können wir leben?

DER MANN. Volk, du hast uns bezwungen, nun feire dein Fest.[144]

KLOTZ. Weltfeiertag! Volk, du bist frei. In allen Ländern ruht die Arbeit. Nun atme neue Kraft für morgen!

DER GOUVERNEUR. Weltfeiertag! Weltfreudentag! Unser Opfer – dein Spiel zum Fest! Jetzt spring und tanze! Über die Menge hin. Unser Opfer – darnach wachst du auf zur reinen Morgenkraft!

JUNGER MENSCH. Weltfeiertag!

VOLK in Bewegung. Weltruhetag!


Von hier an im Volk anschwellende Rauschbewegung.


JUNGER MENSCH in halbliegender Stellung auf dem Boden. Weltfeiertag! Ich feire! Weltruhetag! Meine Hände spielen. O wie lang war das nicht. Endlich seh ich wieder um mich die Halme wachsen; hoch über den weißen Wolken schwebt blauer Luftglanz! Weltfeiertag! O Freundschaft, Freundschaft zu allen Menschen!

VOLK. Weltfeiertag!


Es erhebt sich ein orgiastischer Taumel. Sie dringen immer wilder aufeinander ein, bedrohen sich, umhalsen sich, stoßen, schieben sich, fallen durcheinander.


NAUKE mitten anfeuernd zwischen dem immer toller bewegten Volk. Zu trinken!

GREIS. Es gibt nichts zu trinken!

NAUKE. Dann unser Vergnügen, dann unser Spiel! Die Opferung – ihr vergeßt! Die Opferung, sie haben es selbst gewollt! Die Opferung, es ist versprochen!

DER BUCKLIGE. Die Hinrichtung! Haben wir nichts zu essen – so wollen wir was zu schauen haben!

DAS VOLK die Orgie schwillt immer mehr an. Ja, ja! Die Hinrichtung!

KLOTZ. Volk, du erkennst deine Kraft!

DER MANN. Volk, dein neues Leben beginnt! Die letzte Gewalt gegen uns!

DER GOUVERNEUR. Volk, nun brauchst du nicht Führer mehr. Wir treten ab. Zum letztenmal von mir dieses Wort des Befehls: Zerstör und schaffe!

VOLK. Nieder mit den Führern! Wir haben selbst die Kraft!


Das ganze Volk stürzt sich auf die drei.
[145]


Quelle:
Ludwig Rubiner: Der Dichter greift in die Politik. Leipzig 1976, S. 144-146.
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