Der kolb

[283] In des Römers gesangweis.


1.

In Engellant zu Lunden saß ein reicher man,

der het drei töchter, adelich und wolgetan,

die er all drei verheirat nach einander.

Er aber war ein witwer und hielt einig haus,

ging also oft zu seinen töchtern ein und aus.

eins tages baten sie in alle sander,

Das er in übergeb sein gut,

bei lebending leib, auf das ir drei mender

handlen möchten aus freiem mut

mit kaufmanschafte aus in weite lender,

so woltens in mit speis und trank

und mit kleidung sein lebenlang versorgen,

das er mit ru möcht, got zu dank,

int kirchen gen den abend und den morgen.

der gute man in ganz und gar

all sein gut übergabe;

töchter und eiden freuntlich war

fast auf ein jar,

teten im alle gütlich zwar

von seiner großen habe.


2.

Des andern jares wurden sie sein gar urdrütz,

weil er war alt und gar zu keiner arbeit nütz,

und sahen alle sauer an den alten;

Und so er kaum ein monat lang was bei ir eim,

so schickten sie in einem andern wider heim,

und wurd unerlich und unwert gehalten.[284]

Der alt man sich des hart beschwert,

das er sein gut in übergeben hate

und bei den kinden ward unwert,

klagt das seim freunt, der gab im treuen rate.

nach dem der alte füllet vol

einen kasten mit sand und kieselsteine,

ließ in tragen, versperret wol,

in das haus heimlich in sein kemerleine,

als ob man im ein schatz het bracht;

entlenet auf den tage

ein wag und klenget die ganz nacht

ein gulden acht,

ließ ein des morgens, wol bedacht,

ligen auf der goltwage.


3.

Frü sprach er: »ir töchter, ich hab noch etlich gut,

und welche mich am freuntlichesten halten tut,

der wil ich schaffen disen vollen kasten.«

Erst rißen sie sich all drei um den alten man,

ein iede tochter wolt den vatter bei ir han,

ein iede speist in nach dem aller basten.

Also der alt gut tag erwarb

durch disen list, und hielten in kostfreie.

als balt nun der alt man gestarb,

öfneten sie den kasten alle dreie.

darin funden sie stein und sant

und ein kolben, dran stunt geschriben hinden:

»welch vatter geit aus seiner hant

vor seinem tot das gut den seinen kinden,

denselben man zu tode schlag

mit dem kolben ellende.«

derhalb ist war des sprichworts sag:

du alter trag

behalt mit fleiß deine lebtag

das schwert in deiner hende.

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 283-285.
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