Die liebe gottes

[118] Im leitton Regenbogens.


12. april 1540.


1.

Johannes an dem ersten sein,

an dem vierten kapitel,

spricht: »ir lieben, got hat allein

geliebet uns on mittel,

das er sein sun uns hat gesant

zu versünung, einen heilant,

weil wir in sünden hart verwunt

als seine feinde lagen;

So sollen wir uns alle hie

lieben unter einander.

got hat niemants gesehen nie,

so wir uns allesander

freuntlich lieben nach seim gebot,

so bleibet in uns allen got

und sein lieb hat in uns ein grunt,

dran erkenn wir und sagen:

Das wir in im bleiben mit ger

und in uns er,

weil uns auch der

gabe von seinem geiste her,

das wir haben gsehen und

zeigen auch in den tagen,
[118]

2.

Das der vatter hat gsant den sun

der welt zu eim heilande;

und welicher erkennet nun

Jesum Cristum, gesande

ein sun gottes, nach seim gebot,

in dem bleibt got und er in got.

die lieb hab wir glaubt und erkent,

die got stets zu uns trage.

Got ist die lieb, und welicher

in der lieb bleibet gare,

der selbig bleibt in got vater

und got in im fürware;

des ist die lieb völlig bei uns,

das wir freidikeit durch des suns

gnad haben an der welte ent,

an des gerichtes tage.

Dan gleich wie er ist, also sint

wir seine kint;

in der welt lint

die liebe keiner forcht entpfint,

sunder die völlig lieb zertrent

ganz alle forcht und klage.


3.

Wan die forcht hat ir eigne pein,

wormit forcht wirt umtrieben;

hat nit genzlich die lieb allein,

darum laßt uns got lieben!

zuerst er uns geliebet hat,

weil wir lagen in übeltat;

so iemant spricht, er liebe got,

sein bruder haßt darneben,

Derselbig ist ein lügener,

kan nicht heilwertig werden;

dan wer nicht liebet sein bruder,

den er hie sicht auf erden,

wie kan der got lieben voran,

den er doch nit gesehen kan?

von im haben wir das gebot,[119]

das, wer got liebet eben,

Das er sein bruder auch lieb hab

in tröst und lab.

sent uns herab,

heiliger geist, dein milte gab,

das wir in neit nit sterben tot,

sunder in liebe leben!

Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Erster Theil: Geistliche und weltliche Lieder, Leipzig 1870, S. 118-120.
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