Die halb rosdeck

[138] Es ligt ein stat im Niderlant,

dieselbig ist Antorf genant,

darin ein reicher kaufman saß,

het ein handel groß übermaß,

der het einen einigen sun,

und als der kam zu jaren nun,[138]

er im eins burgers tochter gab

und darzu groß reichtum und hab.

der sun der trib auch kaufmanshandel

und fürt gar ein prechtigen wandel;

bei dem vatter anhielt dermaßen,

er solt von seinem handel laßen,

wan er wer nun ein verlebt man,

der iezt billich sein ru solt han,

solt schaffen im ein herrenleben,

solt hab und gut im übergeben;

er wolt in halten wol und erlich

sein leben lang reichlich und herlich,

in seinem haus zu bet und tisch

möcht leben er frölich und frisch,

gen kirchen gen und dienen got,

und sich so gut und wol erbot,

das im der vatter übergab

sein handel, reichtum, gut und hab

und kam zu dem sun in das haus.

der hielt in erlich überaus

erstlichen auf ein ganzes jar,

und wenn der sun ausreisen war,

gab er dem vatter in die hent

mitler zeit das hausregiment.

so tet der alt denn treulich schauen

auf die schnur, seines sunes frauen,

tet sie was, sprach er: tochter mein,

sollichs und sollichs sol nicht sein,

so und so muß man halten haus.

sollichs verdroß sie überaus;

dergleich schaut er auf meit und knecht,

und wo ir eines tet unrecht,

straft ers mit worten scharpf und hart.

das hausgsint im abgünstig wart,

und wart im als neidig und gram

und setzt im zu on alle scham;

also der alt gehaßet wur

von dem hausgsint und von der schnur.[139]

als etlich zeit verloffen war,

kam er auf das siebenzigst jar,

derhalb gar an dem leib abnam,

an gsicht und gehör allensam,

auch wart er hustent und ser kretzig;

erst wurdens im alle aufsetzig

und hofften allein auf sein tot,

da hub sich an sein angst und not.

des sunes jung und stolze frauen

wart gar ser ob dem alten grauen,

klagt, er erleidet ir am tisch

gemüs, wiltpret, vögel und fisch,

richt beim sun an so vil zu letzt,

das man in zun ehalten setzt.

das tet heimlich gar we dem alten,

das er mußt eßn mit den ehalten,

iedoch so dorft er nichtsen jehen;

er het die schanz vor übersehen.

entlich klagt knecht und meit, wie er

so rotzig und unlüstig wer,

wenn er mit in zu tisch wer gseßen,

wolten auch nit mer mit im eßen.

der sun war auch ein stolzer man,

nam sich seins vatters nit ser an,

weil er im leben wolt zu lang,

wie er im verhieß im anfang,

und leget sein vatter allein

undert stieg in ein kemmerlein,

darin er tag und nacht must bleibn,

sein zeit armutselig vertreibn.

da wart es im ser gnau gemeßen

mit ligerstat, trinken und eßen;

schickt gleich der sun was guts dem altn,

so warts gefreßn von den ehaltn;

da wart er ellent und veracht.

erst der alt im herzen betracht[140]

sein einfeltig große torheit,

das er sein groß gut vor der zeit

seim sun so gar het übergeben,

und er müst iezt so ermlich leben,

sam ob er wer der ermest man.

den dingen kunt er nimmer tan

und trug solliches mit gedult,

dacht im, er het es auch verschult,

das von im wer im handel worn

auch manchem man zu gnau geschorn,

het auch sunst laster und untugent

etwan verbracht in seiner jugent.

nun, sich begab in winters zeit,

das es war kalt und het geschneit,

da tet der frost dem alten we,

er het kein kraft noch werme me;

da bat er eins tags seinen sun,

das er im doch solt geben tun

ein pelz oder ein alte schaubn

und auch ein alte rauche haubn,

darmit des frosts sich zu erwern.

der sun, vergeßen aller ern,

kintlicher treu und aller zucht,

unverstanden, verstockt, verrucht,

der gieng hinab in den rosstal,

aus dem trug er nauf in den sal

ein rosdeck und berufet dar

ein sünlein, das war alt fünf jar,

demselben er die rosdeck gab

und sprach zu im: so trag hinab

deinem anherren die rosdecken,

das er sich tu darunder strecken

und wickel sich genau darein,

vor kelt wirt er wol sicher sein.

das kneblein nam die rosdeck an

und breit sie nider auf den plan

und dise rosdeck in der mit

in zwei teil von einander schnit[141]

und den halb teil von der rosdecken

tet es in ein winkel verstecken,

den andern teil nach disen dingen

wolt es nab seim anherren bringen.

sein vatter stunt und sach im zu

und sprach zum kneblein: was meinstu,

das du die rosdeck in der mitten

in zwei teil von einander gschnitten?

das kneblein sprach: den halben teil

den wil ich iezt bringen zu heil

hinab meinem anherrn, dem alten,

den andern teil hab ich behalten.

der vatter sprach: was wilt mit ton?

da fieng das kneblein wider on:

wenn du einmal wirst krank und alt,

das es auch schneiet und ist kalt,

dich freust, wie meinen anherrn eben,

so wil ich dir den halb teil geben,

das du dich auch darunder streckest,

dich darein wickelst und bedeckest,

wie du hast meim anherren tan.

der vatter diser red nach san

des jungen knaben, weis und klug,

und darvon in sich selber schlug,

dacht: wie ich hab meim vatter ton,

also wirts mir gleich eben gon

mit mein kinden, wenn ich werd alt;

und nam sein alten vatter balt,

an seinen tisch in wider setzt,

voriger hartsel in ergetzt

samt seinem weib spat und auch fru

und hielt auch sein hausgsint darzu,

so lang biß das der alt verschid

mit tot und ewig lebt im frid.


Der beschluß

Bei dieser selzamen geschicht

da werden beide underricht[142]

die elteren und auch die kint:

erstlich die eltern leren sint,

das sie sollen bei irem leben

ir gut den kindn nit übergeben,

sonder in irer hant behalten,

wan man balt urdrüz wirt der alten;

wo sie kein nutz mer von in haben,

woltens, sie weren schon begraben,

müßn bei in eßn hartselig brot,

leiden trübsal, stichred und spot

von schnur, eiden und den ehalten,

das stichet alles auf die alten,

müßen sich erst hartselig schmigen,

iederman undern füßen ligen;

ir straf und red aus treuem mut

helt in doch gar niemant für gut;

nur ungunst darmit auf sich laden,

zu vorkommen sollichen schaden,

bhaltens in irer hant das schwert,

wie das denn doctor Freidank lert.

zum andern sollen hie die kinder

leren und merken nit destminder,

das sie ir eltern halten schon,

von den sie gut und ere hon,

die sie auch mit mü und arbeit

erzogen haben lange zeit;

des sollens widerumb die alten

erlichen, wol und freuntlich halten

mit alle dem, das sie vermügen,

in hantreich und narung zufügen.

darfür hat got verheißen eben

den kinden im lant langes leben,

wo aber die kinder die alten

verechtlich und unerlich halten,

bricht in got ab ir junges leben,

tut weder glück noch heil in geben[143]

und gibet kein gedeihen nicht.

Thales, der weise heide, spricht:

wie wir unsr eltern ghalten hon,

so wern uns unsre kinder thon;

hab wirs gehaltn in treuem mut,

so haltn uns auch unsr kint für gut,

habn wir abr treu an in vergeßen,

so wirt uns auch also gemeßen.

also wert wir bei unsren kinden

ein gleiche widergeltung finden.

das kintlich treu grün, blü und wachs

gegen den eltern, wünscht Hans Sachs.


Anno salutis 1557. am 20. tage Augusti.


Quelle:
Hans Sachs: Dichtungen. Zweiter Theil: Spruchgedichte, Leipzig 1885, S. 138-144.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Spruchgedichte (Auswahl)
Meisterlieder, Spruchgedichte, Fastnachtsspiele
Spruchgedichte: Auswahl

Buchempfehlung

Hume, David

Dialoge über die natürliche Religion

Dialoge über die natürliche Religion

Demea, ein orthodox Gläubiger, der Skeptiker Philo und der Deist Cleanthes diskutieren den physiko-teleologischen Gottesbeweis, also die Frage, ob aus der Existenz von Ordnung und Zweck in der Welt auf einen intelligenten Schöpfer oder Baumeister zu schließen ist.

88 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon