25.

[463] Ich kenne dich in jedem Pochen

Des Herzens, das an meines schlug,

In jedem Wort, das du gesprochen,

In jedem Blick, in jedem Zug.


Die Stirn, der Hals, drum leichten Falles

Sich schlingt das schwarze Lockenhaar,

Allgegenwärtig lebt das alles

Vor meiner Seele immerdar.


Und doch bei jedem Wiedersehen

Befällt mich wunderbare Scheu;

Ich kann nicht fassen, nicht verstehen,

Daß du so fremd mir scheinst, so neu.


Durch Züge, die ich sonst nicht schaute,

Durch Töne, nie gehört vom Ohr,

Wird mählich dann das Altvertraute

Mir lieblicher noch als zuvor.


So bringt der Frühling seine Lieder

Und Blüten uns erst nach und nach,

Und schöner jeden Morgen wieder

Sehn wir ihn als am frühern Tag.

Quelle:
Adolf Friedrich von Schack: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 2, Stuttgart 31897, S. 463-464.
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