Abschied von Olevano

[84] Trauernd tief stand Sir Juseppe

In dem Saal der Casa Baldi,

Wohl war keiner je so traurig.

Traurig packt er seine Koffer,

Packt die Studien in die Mappen,

Zahlt die lange Wirtshausrechnung,

Zahlt den Schwarm der Ragazzini,

Buben, Träger, Maultiertreiber,

Zahlt acht Paul auch für den Schuster,

Jenen gottverfluchten Zögling

Macchiavellis, der die Stiefel

So heimtückisch weiß zu sohlen,

Daß nach vierundzwanzig Stunden

Sie von neuem ruiniert sind.


Leer war Portemonnaie und Börse,

Auch in seinem Skizzenbuch lag

Kein Papiergeld mehr verborgen,

Und die Westentasch', wo fröhlich

Der Bajokk' sonst vorgeklimpert,

Klang jetzt hohl – doch war's nicht dieses,

Was ihm seine Stirne furchte.

Nein, die Stunde war gekommen,

Wo der Mensch zur Abfahrt rüstet,

Wo selbst rauhgebeizte Maler

Dem Novemberwind sich beugen[84]

Und gen Genazzano schreiben,

Daß der schnöde Raganelli

Sie nach Rom zurückbefördre.


Abschied – Abschied! bittre Stunde!

Darum brannt' er sich wehmütig

Einen Scelto an und dampfend,

Während schwerer Sturm und Regen

An die mürben Fenster prasselt,

Sprach er solches:


»Wohl in manche gute Herberg'

Kam ich schon auf meinen Fahrten,

Hab' an manchem guten Tropfen

Da und dort schon mich geletzet,

Stahl mir auch von schönem Mund schon

Manchen Kuß als Gotteslohn.

Aber nirgend war's so wohl, so

Waldursprünglich grundbehaglich

Wie allhier in Casa Baldi

Ob der Stadt Olevano.


Hochgesegnet sei der Biedre,

Der auf steilen Sandsteinhügel

Hier sich einst die Villa baute,

Wo der Kardinal Borghese

In dem samtgeschmückten Armstuhl

Einstmals seines Rundbauchs pflegte

Und – zwar schweiget die Geschichte,

Doch dem Dichter ziemt Vermutung –

Die schwarzbraunen Römerdamen,

Deren Kontrafei noch jetzo

Im Salon so herrlich pranget,

Kirchenväterlich und würdig

In die Wangen einstens kniff.

Hochgesegnet sei der andre,

Der die wirkliche Bestimmung

Dieser Villa tief erfühlend,[85]

Strengerem Privatbesitze

Sie entzog und menschenfreundlich

Sie zur Malerherberg' umschuf.

Denn nur Maler und wem sonst noch

Künstlerische Adern pulsen,

Wissen ihren Wert zu schätzen,

Mehr als Scipio Borghese,

Kardinal und Arciprete.


Hier im Zentrum der Gebirge

Lauschet Tag für Tag dem stillen

Ewig jungen Herzensschlage

Der Natur der Eingeweihte,

Und es kreisen die Gedanken,

Wie die Geier bei San Sisto,

In des Äthers reinen Höhen.

Unter uns, in fernem Nebel,

Liegt der ganze Menschenkehricht,

Und aus Fels, aus Baum, aus Fernen

Lesen wir die alte Keilschrift,

Die der Haufe nie verstehn mag,

Das Gesetz des ewig Schönen.


Wannen werd' ich diese Pfade

Wieder klimmen, wo aus grünen

Schattigen Kastanienwäldern

Der Serrone stolz emporsteigt;

Wo auf altkyklopischer Mauer

Jetzt die Sau von Civitella

Grunzend ihre Eicheln frißt,

Und die Hüterin der Schweine,

Die blauäugige Salomea,

Fruchtlos den Bajokko bettelt?

Wannen werd' ich bei den alten

Eichen in der Serpentara

Wieder Mittagmahlzeit halten,[86]

Wo gelockt vom Duft der Schüsseln

Züngelnd uns die Schlange naht?

Wannen endlich – denn dem Schönen

Eng verbunden ist das Gute –

Werd' ich wieder hier am Tische

Solche Makkaroni kosten?

Solche Hühner – solche Tauben?

Solche Fritti – solche Trauben?

Und dazu auf Diskretion das

Indiskrete Quantum tilgen

Dieses rot samnitischen Landweins?

Nimmer wahrlich soll verstummen

Der Gesang des Danks und Preises,

Und wenn der Serrone selber

Ganz mit Lorbeer wär' bewachsen:

Nicht genügt's, den Kranz zu flechten,

Der der Schöpferin des Guten,

Der der Schaffnerin der Küche,

Der der würdigen Regina

Um das Haupt zu winden wäre.

Wenn wir jetzt schon solches denken,

Wie wird erst zu Rom im Lepre

Und im schäbigen Fiano,

Wenn der magre Tag beginnet,

Die Erinn'rung sich vergrößern?

Unerreichbar, duftig, glanzreich,

Stillverklärt wie erste Liebe,

Fern wie alte Heldensage

Wird der Mythus von Reginas

Feiner Küche vor uns stehn:

Von den Fritti – von den Trauben –

Von den Hühnern – von den Tauben

Einstmals in Olevano.

O Regina, stolzes, dunkles

Kleinod der Sabinerberge,

Warum lebten wir nicht beide[87]

In der Zeit des Frauenraubens

Unter König Romulus?


Bei dem Lob der kunstverständigen

Meisterin sei nicht vergessen

Sie, die in bescheidner Sphäre

Reinlich kaum, doch nützlich wirket,

Sie, der nächtlich der Capraro

Scheußlich monotone Weisen

An das Kammerfenster krächzt,

Die dem fremden Gast so gern ihr

Unerhörtes, sprachgewalt'ges

'rella mi!... entgegenjohlt.

Geltru – Geltru! nimmer wird zwar

Dieser Sang dein Ohr berücken

Wie die Lieder des Capraro,

Dennoch ruft er dir: ›Addio,

Ziegenhirtlich rauh geliebte,

Ritornellbesungne, kluge

Walterin des Hofs und Stalles,

Braune Tochter Samniums!‹

Oft noch wecke dich im Schlafe

Deines Landsmanns Klaggeheul:

›Avete l'occhio nero e il ciglio biondo,

Denti d'avojo e labbra di corallo,

Siete la maraviglia del mondo.‹


... Selbst das Kind, die pockennarbige

Lala mit der rauhen Stimme,

Die so ganz unsalonmäßig

Sich uns oft entgegentummelt,

Hat auf einen Platz in unserm

Herzen einen vollen Anspruch.

Denn sie trug so manchen großen

Ungemischten Krug vom Keller,[88]

Und sie lachte mit dem ganzen

Elfenbein der weißen Zähne:

›Trinkaswein alla tedesca!‹


Wannen endlich werd' ich wieder

Solch ein Häuflein treuer, biedrer

Farbenkundiger deutscher Meister,

Wie allhier, beisammen finden?

Deutschen Fleiß und deutsches Streben,

Deutsche Kunst im welschen Bergland!

Manchen seh' ich, der die Träne

Einst im Aug' zerdrücken wird,

Wenn er, rostend in der Heimat,

Seine Mappen wieder öffnet

Und die Bilder dieses Herbstes

Farbreich vor ihm auferstehn:

Der Mamellen feine Ründung,

Civitellas Kalkfelskämme,

San Francescos Klostertälchen;

Pagliano, Volskerberge,

Die Kastanien von Rojate

Und der Serpentara kühne,

Immergrüne Eichwaldpracht!


... Lebt nun wohl! Die Zithern schweigen,

Nimmer lockt des Tamburin Schlag

Uns zum kecken Saltarello;

Einmal nur wird unser Lied noch

Im Olivenhain erklingen,

Aber klagend, denn der Text heißt:

›Muß i denn zum Städtle 'naus!‹

Und dieweil ein deutsch Gemüte

Innersten Gedankens Ausdruck

Gern im Weine sucht und findet,

Füll' ich mir zum letztenmal das

Glas mit diesem dunkelroten:

›Dir gilt's, Hochland der Sabiner!

Dir gilt's, wackere Regina,

Dir, Bergnest Olevano!‹«[89]

Also klagte Sir Juseppe

In dem Saal der Casa Baldi,

Kummer furchte seine Stirne,

Keinen Tropfen trank er weiter,

Und als Denkmal schweren Abschieds

Schrieb er's in das Hausbuch ein.

Quelle:
Joseph Viktor von Scheffel: Kritische Ausgabe in 4 Bänden, Band 1, Leipzig/ Wien 1917, S. 84-90.
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