Vierter Auftritt

[621] Die Vorigen. Elisabeth. Graf Leicester. Gefolge.


ELISABETH zu Leicester.

Wie heißt der Landsitz?

LEICESTER.

Fotheringhayschloß.

ELISABETH zu Shrewsbury.

Schickt unser Jagdgefolg voraus nach London,

Das Volk drängt allzuheftig in den Straßen,

Wir suchen Schutz in diesem stillen Park.


Talbot entfernt das Gefolge. Sie fixiert mit den Augen die Maria, indem sie zu Paulet weiterspricht.


Mein gutes Volk liebt mich zu sehr. Unmäßig,

Abgöttisch sind die Zeichen seiner Freude,

So ehrt man einen Gott, nicht einen Menschen.

MARIA welche diese Zeit über halb ohnmächtig auf die Amme gelehnt war, erhebt sich jetzt und ihr Auge begegnet dem gespannten Blick der Elisabeth. Sie schaudert zusammen und wirft sich wieder an der Amme Brust.

O Gott, aus diesen Zügen spricht kein Herz!

ELISABETH.

Wer ist die Lady?


Ein allgemeines Schweigen.


LEICESTER.

– Du bist zu Fotheringhay, Königin.

ELISABETH stellt sich überrascht und erstaunt, einen finstern Blick auf Leicester richtend.

Wer hat mir das getan? Lord Leicester!

LEICESTER.

Es ist geschehen, Königin – Und nun[621]

Der Himmel deinen Schritt hieher gelenkt,

So laß die Großmut und das Mitleid siegen.

SHREWSBURY.

Laß dich erbitten, königliche Frau,

Dein Aug auf die Unglückliche zu richten,

Die hier vergeht vor deinem Anblick.


Maria rafft sich zusammen und will auf die Elisabeth zugehen, steht aber auf halbem Weg schaudernd still, ihre Gebärden drücken den heftigsten Kampf aus.


ELISABETH.

Wie, Mylords?

Wer war es denn, der eine Tiefgebeugte

Mir angekündigt? Eine Stolze find ich,

Vom Unglück keineswegs geschmeidigt.

MARIA.

Seis!

Ich will mich auch noch diesem unterwerfen.

Fahr hin, ohnmächtger Stolz der edeln Seele!

Ich will vergessen, wer ich bin, und was

Ich litt, ich will vor ihr mich niederwerfen,

Die mich in diese Schmach herunterstieß.


Sie wendet sich gegen die Königin.


Der Himmel hat für Euch entschieden, Schwester!

Gekrönt vom Sieg ist Euer glücklich Haupt,

Die Gottheit bet ich an, die Euch erhöhte!


Sie fällt vor ihr nieder.


Doch seid auch Ihr nun edelmütig, Schwester!

Laßt mich nicht schmachvoll liegen, Eure Hand

Streckt aus, reicht mir die königliche Rechte,

Mich zu erheben von dem tiefen Fall.

ELISABETH zurücktretend.

Ihr seid an Eurem Platz, Lady Maria!

Und dankend preis ich meines Gottes Gnade,

Der nicht gewollt, daß ich zu Euren Füßen

So liegen sollte, wie Ihr jetzt zu meinen.

MARIA mit steigendem Affekt.

Denkt an den Wechsel alles Menschlichen!

Es leben Götter, die den Hochmut rächen!

Verehret, fürchtet sie, die schrecklichen,

Die mich zu Euren Füßen niederstürzen –[622]

Um dieser fremden Zeugen willen, ehrt

In mir Euch selbst, entweihet, schändet nicht

Das Blut der Tudor, das in meinen Adern

Wie in den Euren fließt – O Gott im Himmel!

Steht nicht da, schroff und unzugänglich, wie

Die Felsenklippe, die der Strandende

Vergeblich ringend zu erfassen strebt.

Mein Alles hängt, mein Leben, mein Geschick,

An meiner Worte, meiner Tränen Kraft,

Löst mir das Herz, daß ich das Eure rühre!

Wenn Ihr mich anschaut mit dem Eisesblick,

Schließt sich das Herz mir schaudernd zu, der Strom

Der Tränen stockt, und kaltes Grausen fesselt

Die Flehensworte mir im Busen an.

ELISABETH kalt und streng.

Was habt Ihr mir zu sagen, Lady Stuart?

Ihr habt mich sprechen wollen. Ich vergesse

Die Königin, die schwerbeleidigte,

Die fromme Pflicht der Schwester zu erfüllen,

Und meines Anblicks Trost gewähr ich Euch.

Dem Trieb der Großmut folg ich, setze mich

Gerechtem Tadel aus, daß ich so weit

Heruntersteige – denn Ihr wißt,

Daß Ihr mich habt ermorden lassen wollen.

MARIA.

Womit soll ich den Anfang machen, wie

Die Worte klüglich stellen, daß sie Euch

Das Herz ergreifen, aber nicht verletzen!

O Gott, gib meiner Rede Kraft, und nimm

Ihr jeden Stachel, der verwunden könnte!

Kann ich doch für mich selbst nicht sprechen, ohne Euch

Schwer zu verklagen, und das will ich nicht.

– Ihr habt an mir gehandelt, wie nicht recht ist,

Denn ich bin eine Königin wie Ihr,

Und Ihr habt als Gefangne mich gehalten,

Ich kam zu Euch als eine Bittende,

Und Ihr, des Gastrechts heilige Gesetze,[623]

Der Völker heilig Recht in mir verhöhnend,

Schloßt mich in Kerkermauern ein, die Freunde,

Die Diener werden grausam mir entrissen,

Unwürdgem Mangel werd ich preisgegeben,

Man stellt mich vor ein schimpfliches Gericht –

Nichts mehr davon! Ein ewiges Vergessen

Bedecke, was ich Grausames erlitt.

– Seht! Ich will alles eine Schickung nennen,

Ihr seid nicht schuldig, ich bin auch nicht schuldig,

Ein böser Geist stieg aus dem Abgrund auf,

Den Haß in unsern Herzen zu entzünden,

Der unsre zarte Jugend schon entzweit.

Er wuchs mit uns, und böse Menschen fachten

Der unglückselgen Flamme Atem zu.

Wahnsinnge Eiferer bewaffneten

Mit Schwert und Dolch die unberufne Hand –

Das ist das Fluchgeschick der Könige,

Daß sie, entzweit, die Welt in Haß zerreißen,

Und jeder Zwietracht Furien entfesseln.

– Jetzt ist kein fremder Mund mehr zwischen uns,


Nähert sich ihr zutraulich und mit schmeichelndem Ton.


Wir stehn einander selbst nun gegenüber.

Jetzt, Schwester, redet! Nennt mir meine Schuld,

Ich will Euch völliges Genügen leisten.

Ach, daß Ihr damals mir Gehör geschenkt,

Als ich so dringend Euer Auge suchte!

Es wäre nie so weit gekommen, nicht

An diesem traurgen Ort geschähe jetzt

Die unglückselig traurige Begegnung.

ELISABETH.

Mein guter Stern bewahrte mich davor,

Die Natter an den Busen mir zu legen.

– Nicht die Geschicke, Euer schwarzes Herz

Klagt an, die wilde Ehrsucht Eures Hauses.

Nichts Feindliches war zwischen uns geschehn,

Da kündigte mir Euer Ohm, der stolze,

Herrschwütge Priester, der die freche Hand[624]

Nach allen Kronen streckt, die Fehde an,

Betörte Euch, mein Wappen anzunehmen,

Euch meine Königstitel zuzueignen,

Auf Tod und Leben in den Kampf mit mir

Zu gehn – Wen rief er gegen mich nicht auf?

Der Priester Zungen und der Völker Schwert,

Des frommen Wahnsinns fürchterliche Waffen,

Hier selbst, im Friedenssitze meines Reichs,

Blies er mir der Empörung Flammen an –

Doch Gott ist mit mir, und der stolze Priester

Behält das Feld nicht – Meinem Haupte war

Der Streich gedrohet, und das Eure fällt!

MARIA.

Ich steh in Gottes Hand. Ihr werdet Euch

So blutig Eurer Macht nicht überheben –

ELISABETH.

Wer soll mich hindern? Euer Oheim gab

Das Beispiel allen Königen der Welt,

Wie man mit seinen Feinden Frieden macht,

Die Sankt Barthelemi sei meine Schule!

Was ist mir Blutsverwandtschaft, Völkerrecht?

Die Kirche trennet aller Pflichten Band,

Den Treubruch heiligt sie, den Königsmord,

Ich übe nur, was Eure Priester lehren.

Sagt! Welches Pfand gewährte mir für Euch,

Wenn ich großmütig Eure Bande löste?

Mit welchem Schloß verwahr ich Eure Treue,

Das nicht Sankt Peters Schlüssel öffnen kann?

Gewalt nur ist die einzge Sicherheit,

Kein Bündnis ist mit dem Gezücht der Schlangen.

MARIA.

O das ist Euer traurig finstrer Argwohn!

Ihr habt mich stets als eine Feindin nur

Und Fremdlingin betrachtet. Hättet Ihr

Zu Eurer Erbin mich erklärt, wie mir

Gebührt, so hätten Dankbarkeit und Liebe

Euch eine treue Freundin und Verwandte

In mir erhalten.

ELISABETH.

Draußen, Lady Stuart,[625]

Ist Eure Freundschaft, Euer Haus das Papsttum,

Der Mönch ist Euer Bruder – Euch, zur Erbin

Erklären! Der verräterische Fallstrick!

Daß Ihr bei meinem Leben noch mein Volk

Verführtet, eine listige Armida

Die edle Jugend meines Königreichs

In Eurem Buhlernetze schlau verstricktet –

Daß alles sich der neuaufgehnden Sonne

Zuwendete, und ich –

MARIA.

Regiert in Frieden!

Jedwedem Anspruch auf dies Reich entsag ich.

Ach, meines Geistes Schwingen sind gelähmt,

Nicht Größe lockt mich mehr – Ihr habts erreicht,

Ich bin nur noch der Schatten der Maria.

Gebrochen ist in langer Kerkerschmach

Der edle Mut – Ihr habt das Äußerste an mir

Getan, habt mich zerstört in meiner Blüte!

– Jetzt macht ein Ende, Schwester. Sprecht es aus,

Das Wort, um dessentwillen Ihr gekommen,

Denn nimmer will ich glauben, daß Ihr kamt,

Um Euer Opfer grausam zu verhöhnen.

Sprecht dieses Wort aus. Sagt mir: »Ihr seid frei,

Maria! Meine Macht habt Ihr gefühlt,

Jetzt lernet meinen Edelmut verehren.«

Sagts, und ich will mein Leben, meine Freiheit

Als ein Geschenk aus Euter Hand empfangen.

– Ein Wort macht alles ungeschehn. Ich warte

Darauf. O laßt michs nicht zu lang erharren!

Weh Euch, wenn Ihr mit diesem Wort nicht endet!

Denn wenn Ihr jetzt nicht segenbringend, herrlich,

Wie eine Gottheit von mir scheidet – Schwester!

Nicht um dies ganze reiche Eiland, nicht

Um alle Länder, die das Meer umfaßt,

Möcht ich vor Euch so stehn, wie Ihr vor mir!

ELISABETH.

Bekennt Ihr endlich Euch für überwunden?

Ists aus mit Euren Ränken? Ist kein Mörder[626]

Mehr unterweges? Will kein Abenteurer

Für Euch die traurge Ritterschaft mehr wagen?

– Ja, es ist aus, Lady Maria. Ihr verführt

Mir keinen mehr. Die Welt hat andre Sorgen.

Es lüstet keinen, Euer – vierter Mann

Zu werden, denn Ihr tötet Eure Freier

Wie Eure Männer!

MARIA auffahrend.

Schwester! Schwester!

O Gott! Gott! Gib mir Mäßigung!

ELISABETH sieht sie lange mit einem Blick stolzer Verachtung an.

Das also sind die Reizungen, Lord Leicester,

Die ungestraft kein Mann erblickt, daneben

Kein andres Weib sich wagen darf zu stellen!

Fürwahr! Der Ruhm war wohlfeil zu erlangen,

Es kostet nichts, die allgemeine Schönheit

Zu sein, als die gemeine sein für alle!

MARIA.

Das ist zuviel!

ELISABETH höhnisch lachend.

Jetzt zeigt Ihr Euer wahres

Gesicht, bis jetzt wars nur die Larve.

MARIA vor Zorn glühend, doch mit einer edeln Würde.

Ich habe menschlich, jugendlich gefehlt,

Die Macht verführte mich, ich hab es nicht

Verheimlicht und verborgen, falschen Schein

Hab ich verschmäht, mit königlichem Freimut.

Das Ärgste weiß die Welt von mir und ich

Kann sagen, ich bin besser als mein Ruf.

Weh Euch, wenn sie von Euren Taten einst

Den Ehrenmantel zieht, womit Ihr gleißend

Die wilde Glut verstohlner Lüste deckt.

Nicht Ehrbarkeit habt Ihr von Eurer Mutter

Geerbt, man weiß, um welcher Tugend willen

Anna von Boleyn das Schafott bestiegen.

SHREWSBURY tritt zwischen beide Königinnen.

O Gott des Himmels! Muß es dahin kommen!

Ist das die Mäßigung, die Unterwerfung,

Lady Maria?[627]

MARIA.

Mäßigung! Ich habe

Ertragen, was ein Mensch ertragen kann.

Fahr hin, lammherzige Gelassenheit,

Zum Himmel fliehe, leidende Geduld,

Spreng endlich deine Bande, tritt hervor

Aus deiner Höhle, langverhaltner Groll –

Und du, der dem gereizten Basilisk

Den Mordblick gab, leg auf die Zunge mir

Den giftgen Pfeil –

SHREWSBURY.

O sie ist außer sich!

Verzeih der Rasenden, der schwer Gereizten!


Elisabeth, für Zorn sprachlos, schießt wütende Blicke auf Marien.


LEICESTER in der heftigsten Unruhe, sucht die Elisabeth hinwegzuführen.

Höre

Die Wütende nicht an! Hinweg, hinweg

Von diesem unglückselgen Ort!

MARIA.

Der Thron von England ist durch einen Bastard

Entweiht, der Briten edelherzig Volk

Durch eine listge Gauklerin betrogen.

– Regierte Recht, so läget Ihr vor mir

Im Staube jetzt, denn ich bin Euer König.


Elisabeth geht schnell ab, die Lords folgen ihr in der höchsten Bestürzung.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 621-628.
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