Elegie auf den Tod eines Jünglings

[44] Banges Stöhnen, wie vorm nahen Sturme,

Hallet her vom öden Trauerhaus,

Totentöne fallen von des Münsters Turme,

Einen Jüngling trägt man hier heraus:

Einen Jüngling – noch nicht reif zum Sarge,

In des Lebens Mai gepflückt,

Pochend mit der Jugend Nervenmarke,[44]


Mit der Flamme, die im Auge zückt;

Einen Sohn, die Wonne seiner Mutter

(O das lehrt ihr jammernd Ach),

Meinen Busenfreund, ach! meinen Bruder –

Auf! was Mensch heißt, folge nach!


Prahlt ihr Fichten, die ihr hoch veraltet

Stürmen stehet und den Donner neckt?

Und ihr Berge, die ihr Himmel haltet,

Und ihr Himmel, die ihr Sonnen hegt?

Prahlt der Greis noch, der auf stolzen Werken

Wie auf Wogen zur Vollendung steigt?

Prahlt der Held noch, der auf aufgewälzten Tatenbergen

In des Nachruhms Sonnentempel fleugt?

Wenn der Wurm schon naget in den Blüten:

Wer ist Tor, zu wähnen, daß er nie verdirbt?

Wer dort oben hofft noch und hienieden

Auszudauren – wenn der Jüngling stirbt?


Lieblich hüpften, voll der Jugendfreude,

Seine Tage hin im Rosenkleide,

Und die Welt, die Welt war ihm so süß –

Und so freundlich, so bezaubernd winkte

Ihm die Zukunft, und so golden blinkte

Ihm des Lebens Paradies;

Noch, als schon das Mutterauge tränte,

Unter ihm das Totenreich schon gähnte,

Über ihm der Parzen Faden riß,

Erd und Himmel seinem Blick entsanken,

Floh er ängstlich vor dem Grabgedanken –

Ach, die Welt ist Sterbenden so süß.


Stumm und taub ists in dem engen Hause,

Tief der Schlummer der Begrabenen;

Bruder! ach, in ewig tiefer Pause

Feiern alle deine Hoffnungen;[45]

Oft erwärmt die Sonne deinen Hügel,

Ihre Glut empfindest du nicht mehr;

Seine Blumen wiegt des Westwinds Flügel,

Sein Gelispel hörest du nicht mehr;

Liebe wird dein Auge nie vergolden,

Nie umhalsen deine Braut wirst du,

Nie, wenn unsre Tränen stromweis rollten, –

Ewig, ewig sinkt dein Auge zu.


Aber wohl dir! – köstlich ist dein Schlummer,

Ruhig schläft sichs in dem engen Haus;

Mit der Freude stirbt hier auch der Kummer,

Röcheln auch der Menschen Qualen aus.

Über dir mag die Verleumdung geifern,

Die Verführung ihre Gifte spein,

Über dich der Pharisäer eifern,

Fromme Mordsucht dich der Hölle weihn,

Gauner durch Apostelmasken schielen,

Und die Bastardtochter der Gerechtigkeit

Wie mit Würfeln so mit Menschen spielen,

Und so fort bis hin zur Ewigkeit.


Über dir mag auch Fortuna gaukeln,

Blind herum nach ihren Buhlen spähn,

Menschen bald auf schwanken Thronen schaukeln,

Bald herum in wüsten Pfützen drehn –

Wohl dir, wohl in deiner schmalen Zelle;

Diesem komischtragischen Gewühl,

Dieser ungestümen Glückeswelle,

Diesem possenhaften Lottospiel,

Diesem faulen fleißigen Gewimmel,

Dieser arbeitsvollen Ruh,

Bruder! – diesem teufelvollen Himmel

Schloß dein Auge sich auf ewig zu.


Fahr dann wohl, du Trauter unsrer Seele,

Eingewiegt von unsern Segnungen,[46]

Schlummre ruhig in der Grabeshöhle,

Schlummre ruhig bis auf Wiedersehn!

Bis auf diesen leichenvollen Hügeln

Die allmächtige Posaune klingt

Und nach aufgerißnen Todesriegeln

Gottes Sturmwind diese Leichen in Bewegung schwingt –

Bis, befruchtet von Jehovas Hauche,

Gräber kreißen – auf sein mächtig Dräun

In zerschmelzender Planeten Rauche

Ihren Raub die Grüfte wiederkäun –


Nicht in Welten, wie die Weisen träumen,

Auch nicht in des Pöbels Paradies,

Nicht in Himmeln, wie die Dichter reimen, –

Aber wir ereilen dich gewiß.

Daß es wahr sei, was den Pilger freute?

Daß noch jenseits ein Gedanke sei?

Daß die Tugend übers Grab geleite?

Daß es mehr denn eitle Phantasei? – –

Schon enthüllt sind dir die Rätsel alle!

Wahrheit schlirft dein hochentzückter Geist,

Wahrheit, die in tausendfachem Strahle

Von des großen Vaters Kelche fleußt. –


Zieht dann hin, ihr schwarzen stummen Träger!

Tischt auch den dem großen Würger auf!

Höret auf, geheulergoßne Kläger!

Türmet auf ihm Staub auf Staub zuhauf!

Wo der Mensch, der Gottes Ratschluß prüfte?

Wo das Aug, den Abgrund durchzuschaun?

Heilig! Heilig! Heilig! bist du, Gott der Grüfte,

Wir verehren dich mit Graun!

Erde mag zurück in Erde stäuben,

Fliegt der Geist doch aus dem morschen Haus!

Seine Asche mag der Sturmwind treiben,

Seine Liebe dauert ewig aus!


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 44-47.
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