Dritter Auftritt.

[68] Die Vorigen, Phorbas mit Gefolge von Sklaven, die kostbare Gefäße, Teppiche usw. tragen.


PHORBAS.

Seh' ich allhier die delphische Prophetin?

PYTHIA.

So ist es. Was von ihr begehrend kommst du?

PHORBAS.

Zuvörderst Heil dem Gott, der dich begeistert,

Dann ehrerbiet'ger Gruß dir, große Pythia!

Mich sandten die Gebieter mit Geschenken

Voraus, ob Phöbus günstig sie empfinge.

Denn ihn um Rat zu fragen, machten sie

Sich auf den Weg, um Dinge von Gewicht.

PYTHIA.

Nach dieser Zeug' und edlen Erzes Pracht

Muß deine Herrschaft hochbegütert sein.

Sag' ihre Heimat an, und ihren Namen.

PHORBAS.

Ihr Wohnsitz prangt im herrlichen Athen.

Kreusa, Erichthonius' Enkelin,

Ist meine Fürstin; Xuthus, ihr Gemahl,

Führt jetzo dort das königliche Szepter.[68]

PYTHIA.

Nicht unbekannt ist Xuthus' Name mir,

Wenn du vom Sohne des thessal'schen Hellen,

Und Äolus' und Dorus' Bruder sprichst.

PHORBAS.

Derselbe ist's.

PYTHIA.

Er kam vor manchen Jahren,

Von seinen Brüdern ausgetrieben, her,

Und trug hier in den pyth'schen Wettespielen

Den Preis davon. Froh des errungnen Siegs

Befragt' er den Apoll um sein Geschlecht.

Ihm ward zur Antwort: wie sein Vater Hellen

Auf das gesamte Volk der Griechen, und

Auf einen Stamm der Brüder jeder künftig

Den eignen Namen übertragen werde,

So sei für sein verlornes Erbteil ihm

Beschieden zum Ersatz, in zweien Söhnen

Als Ahnherr zweier Stämme fortzuleben.

PHORBAS.

Oft ward der Götterspruch von ihm gerühmt,

Allein bis jetzt blieb die Erfüllung fern.

PYTHIA.

Wie kam es, daß der Pallas heilig Volk

Den Fremdling sich zum Oberhaupt erkor?

PHORBAS.

Weil uns im schweren Kriege mit Euböa

Sein Arm und seine Scharen beigestanden,

Ward er gewürdigt, mit Kreusens Hand

Des alten Cekrops Szepter zu empfangen.[69]

PYTHIA.

Grünt außer ihr denn sonst kein andrer Zweig

Von Erichthonius erdentsproßnem Stamm?

PHORBAS.

Sie ist allein noch übrig in Athen.

Ach, deine Worte mahnen, Priesterin,

Mich an die Unglücksfälle dieses Hauses,

Dem ich ein langes Leben treulich diente.

Voll Hoffnung fängt die Jugend strebend an,

Und der Bemühung Früchte winken ihr

In goldnem Glanz; doch immer weicht das Ziel:

So schleicht das Alter unerfreulich näher,

Und ganz zum Nachteil wenden sich die Zeiten,

Daß wir, je mehr sich die Erfahrung häuft,

Je minder stets erlebt zu haben wünschen.

In bessern rüst'gen Tagen pflegt' ich einst

Die Kindheit des Erechtheus, dessen Vater

Minervas vielgeliebter Zögling war.

Er wuchs heran zu reifer Männlichkeit,

Und wie in Heldenkämpfen seine Kraft,

So blühte seine Lust in vielen Kindern,

Der Thrazier Eumolpus überzog

Furchtbar Athen mit Krieg; mein frommer König,

Nicht der Gewalt des Arms allein vertrauend,

Begehrte Rat der Seher, wie er sicher

Des Sieges könnte sein. Ein streng Orakel

Ward ihm, das seine erstgeborne Tochter

Als Opfer für die Unterird'schen forderte.

Da offenbarte sich der freie Mut,

Dem mehr das Vaterland als alles gilt:

Nicht die Erwählte bloß verschmähte Zwang,

Die Schwestern wollten sie nicht überleben,

Und gaben sich freiwill'gem Tode hin.

Unmündig noch blieb nur Kreusa übrig,[70]

Und ward durch ihrer Mutter Tod, die Trauer

Dahinriß, bald verwaist. Erechtheus schlug

Im Kampf den riesenhaften Sohn Neptuns;

Allein Eumolpus Vater, ihn zu rächen,

Stieß mit dem Dreizack an die Felsenküste,

Und nächtlich grause Tiefe, gähnend, schlang

Den Sieger ein. O wär' ich ihm gefolgt!

Denn seine Söhne konnten um die Herrschaft

Nicht einig werden, daß die Ält'sten und

Das Volk, aus Furcht, es möchte die Parteiung

Ausbrechen in der Bürger Wechselmord,

Sie sämtlich bannten aus Athens Gebiet.

Als nun der Krieg von den Euböern drohte,

Verhießen sie dem, der den Feind zu dämpfen

Durch List und Tapferkeit am meisten hülfe,

Kreusen zur Gemahlin und das Szepter,

Was Xuthus, wie du schon vernahmst, erwarb.

PYTHIA.

Und segnet Fruchtbarkeit und Friede nicht

Das Land bei dieser Eh' und seinem Reich?

PHORBAS.

Schon mancher Ernten reiche Frucht gedieh,

Seit ein gemeinsam Lager unsre Fürstin

Mit dem erwählten König hat verbunden,

Und immer sah'n wir keine schöne Saat

Von Kindern noch aus seinem Boden keimen.

Das Volk verlangt mit trüber Ungeduld

Nach einem Erben seines Königshauses,

In dessen wunderbarem Ursprung es

Sein uranfänglich Recht an Attika

Und seiner heimischen Erzeugung Bild

Erblickt, und darum auch in dessen Fall

Den eignen Untergang voraus sich deutet.[71]

Die öde Kinderlosigkeit erscheint

Den Murrenden ein Fluch der Pallas, weil

Die hohe Stadtbeschirmerin unwillig

Auf Cekrops Stuhl den Fremdling sitzen sehe.

Voll Zuversicht bot Xuthus oft schon an,

In Delphis Gott zu dringen, wie sich ihm

Der herrlichen Nachkommenschaft Verheißung

Erfüllen möchte, die der längst erteilt.

Mit ungestümem Eifer stimmte dann

Kreusa bei und trieb auf das Vollbringen.

Doch, wenn es nahte, schien ein seltsam Zagen

Sie zu befallen, und es unterblieb.

Nun hat sie endlich den Entschluß behauptet,

Und beide nah'n verlangend dem Orakel.

Mir folget auf dem Fuß die Königin,

Und Xuthus weilt nur unterwegs noch eben

Bei des Trophonius Höhle, jenem dunkeln

Wahrsager Lösungen und Gegenmittel

Der unfruchtbaren Abgestorbenheit,

Wie hier dem lichten Phöbus, abzufragen.

Du weißt nun alles.

PYTHIA.

Mein Gemüt bewahrt es.

Sie mögen kommen; denn es ist der Tag

Der unbegabten keiner, wo ich nicht

Mich auf den weisen Dreifuß setzen darf:

Ich gehe, seine Bräuche zu bereiten.

Du, guter Greis, wirst nach der Reise Ruh'

Bedürfen, und Erquickung: tritt herein.

Dich, Jon, lass' ich hier, mit reinem Gruß

Die königlichen Gäste zu empfangen.


Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Ausgewählte Werke. Berlin 1922, S. 68-72.
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