Zweiter Auftritt.

[87] Jon, Xuthus.


XUTHUS.

Mit Ungeduld erwart' ich, wem ich jetzt

Zuerst begegnen soll. Seh' ich hier niemand?

O holder Jüngling, laß mich dich umarmen!

JON.

Du unterbrichst die schöne Hymne mir:

Die Leier ist aus meiner Hand gefallen.

XUTHUS.

Zum Jubel wollen wir sie neu besaiten,

Denn uns zum großen Glücke treff' ich dich.

Kind, reiß' dich nicht aus meinen Armen los![87]

JON.

Was willst du, Fremdling? Es geziemt mir nicht,

Dem Jüngling der ein heilig Amt verwaltet,

Sich der Vertraulichkeit so hinzugeben.

XUTHUS.

Niemand ist minder fremd sich, als wir beide:

Du bist mein Sohn, sieh' deinen Vater hier.

JON.

Tratst du vielleicht zu nah des Schlundes Mündung,

Der wahrhaft nur die Priesterin begeistert,

Und hat der Dunst, der aufsteigt, dir das Haupt verwirrt?

Wie, oder schwärmst du in des Bacchus Taumel?

XUTHUS.

Der Freude Taumel reißt allein mich hin;

Begeistert hat mich, doch nicht lügenhaft,

Das Wort der hohen Pythia vom Dreifuß.

JON.

Wie lautet es? sag' an!

XUTHUS.

Sie gab dich mir.

JON.

Zu welchem Ende?

XUTHUS.

Um mein Sohn zu sein.

JON.

So hat sie dir mit Namen mich genannt?[88]

XUTHUS.

Das nicht, und dennoch kann ich hier nicht irren.

Vernimm den Hergang, daß du überzeugt,

Vom ersten Staunen wieder zu dir kommend,

Dich meiner Freude willig überlassest.

Ich nahte dem Orakel, um zu fragen,

Wie die Verheißung sich erfüllen möchte,

Die es vor manchen Jahren mir gewährt:

Daß mein Geschlecht in zweien Söhnen blühen

Und großen Völkern Namen geben solle.

Ich hört' als Antwort aus dem Mund der Pythia:

Tritt, Anführer Athens, hinaus vor die Hallen des Tempels:

Wem du zuerst da begegnest, den heiß' ich als Sohn dich erkennen,

Dankbar ehren fortan, von wem dir das holde Geschenk ward.

Kaum daß mein Fuß die Schwelle nun berührt,

Und rings umher mein Blick verlangend spähte,

So fielen mir die Weisen deiner Leier,

Wie einer guten Vorbedeutung Laut,

Ins Ohr, und deine liebliche Gestalt

Ins Auge, daß ich froh entzückt hinzulief,

Die erste Vaterfreude zu genießen.

JON.

Verzeih', daß ich die Liebkosung mißkannt,

Die du so gütig mir entgegentrugst,

Noch kann ich nicht mein neues Los begreifen,

Es ist zu herrlich und zu wunderbar;

Hier übt' ich eben Hymnen auf der Leier,

Ob sie des Musenführers Ohr gewönnen,

Und sehnte mich, statt aller Erdengüter,

Ihn einmal nur von Angesicht zu schaun,

Indes gedacht' er mein im Heiligtum,[89]

Und sendet dich, den reichbegabten Herrscher,

Den ruhmgepries'nen königlichen Helden,

Zu väterlicher Sorge mir heraus.

Wie bin ich unbemerkter Knab' es wert?

XUTHUS.

Auch mich hat er zu stetem Dank verpflichtet,

Und sich freigebig wie ein Gott bewährt.

Nicht Aussicht in die Zukunft gab er mir,

Wie man des Mahners Ungestüm vertröstet:

Nein, die Erfüllung stand vor seinen Toren,

Und kam mir rasch entgegen. Kinderlos

War ich, und habe jetzo dich zum Sohn,

Der blühend schon zur Jugend aufgewachsen,

Nicht der mühsel'gen Pflege mehr bedarf,

Die an der schwachen, zweifelhaften Kindheit

Oft nicht gedeiht. Gleich einem schönen Traum,

Der sich verkörpert hätte, stehst du vor mir.

Verdienst so ganz an Bildung, holdem Wesen

Und edlem Mut Urenkel Zeus zu sein,

Daß Kön'ge mich um dich beneiden werden.

JON.

Du siehst mich schon mit Vateraugen an.

Doch sag', wie legst du das Orakel aus?

Meint es, du mögest nur den Elternlosen

An Sohnes Statt aufnehmen? oder soll

Dein wahres Blut in meinen Adern fließen?

XUTHUS.

Kennst du nicht deine Herkunft, teurer Knabe?

JON.

Man fand mich hier am Tempel ausgesetzt,

Seitdem hat niemand sich zu mir bekannt.[90]

XUTHUS.

So bist du sicher meines Leibes Sohn.

JON.

Ich hörte doch Kreusen erst beteuern,

Daß ihr bisher noch ohne Kinder bliebt.

XUTHUS.

Kreusa freilich. Welches ist dein Alter?

JON.

Mir wurden heute sechzehn voll.

XUTHUS.

Die Zeit trifft überein. Es fehlen noch

Drei Monden ungefähr an siebzehn Jahren,

Seit ich zum ersten diesen Sitz besucht,

Da bei den pyth'schen Spielen Cirrhas Eb'ne

Laut wiederhallend mich als Sieger ausrief.

Was soll ich jugendlichen Übermutes

Mich schämen, nun er einen Lohn mir schafft,

Den Maß und Weisheit und ein stolzes Eh'bett,

Erworben durch Verdienst, mich ließ entbehren?

Beim Schmaus, der festlich meinen Sieg beging,

(Jetzt lebt es wieder im Gedächtnis mir)

Hat mich der Freude Taumel und des Weins

Mit einer der Bacchanten hier verbunden,

Die des Parnassus Klüfte wild durchstreifen,

Und hochgeschwungen, weinumrankt, ein Thyrsus,

Statt Hochzeitfackel uns vorangewinkt.

Aus diesem Rausch mußt du entsprungen sein.

Mich kümmerte, nach rascher Jugend Art,

Das Weib nicht ferner, noch der Tat Erfolg,

Und bald verließ ich diese Fluren. Jene,[91]

Da sich in ihr des Gottes Glut ernüchtert,

Und mit der Tage Lauf, der Monden Wechsel,

Ihr Schoß ein vaterloses Kind gebar,

Hat sie, so läßt es leichthin sich erraten,

Die ihr allein zurückgelaßne Sorge

Abwerfend, hier den Göttern dich vertraut,

Die durch des Festes übermächt'ge Lust

Ins Leben dich gerufen. Und so hast du

Durch meine Schuld die reiche Pfleg' entbehrt,

Da Mitleid nur den Findling auferzogen.

Jetzt aber will ich dir's vergelten, Sohn,

Es soll mein stetes Sinnen einzig sein,

Dir Glück und frohe Tage zu bereiten.

JON.

Ich kann nicht länger zweifeln: ja, du bist's,

Du bist mein Vater. Laß es mich umschlingen,

Dein würd'ges Haupt, das teure, längstbegehrte;

Laß meine Lippen sich auf deine Stirn

Und beide Augen drücken. Dank, ihr Götter!

Apollo, du vor allen, habe Dank!

Mein unsichtbarer und olymp'scher Vater,

Das bleibst du dennoch, ob du schon mir sichtbar

Den sterblichen Erzeuger zugewiesen.

Du Schöpfer meiner Sohnespflicht und Freuden,

Wie sollt' ich dein darüber je vergessen?

O teurer Vater, ich gelobe dir,

Ich will durch all mein Streben und mein Tun

Dem Geber und Empfänger Ehre bringen.

Umarme denn mich wieder! segne mich!

Sieh, meine Wonne fließt in milden Tränen:

Zu glücklich bin ich, aber eins doch fehlt.

XUTHUS.

Was ist es? steht's in meiner Macht zu schaffen?[92]

JON.

Daß meine Mutter uns nicht mit umarmt;

So schlängen dreifach sich der Liebe Ketten.

XUTHUS.

Mit Recht bedenkst du sie, mein Sohn. Die dich

Geboren, ist ein wert zu achtend Weib.

Ich war ihr unbekannt, so wie sie mir,

Und viel geschehner Dinge Spur verlöscht

Die lange Zeit: doch wollen wir nicht ruhn,

Bis wir sie wiederfinden, und auf Kundschaft

Von ihrem Aufenthalt und Namen senden,

Erst hier umher, dann in ganz Griechenland.

Mir angehören genüge dir indes.

JON.

Wer weiß, ob sie der Tod nicht schon entraffte,

Und alles Forschens Mühe stumm betrügt!

XUTHUS.

Vermeide Worte schlimmer Vorbedeutung.

Du blühst so frisch: wie sollte sie nicht leben,

Die mit gesunder Kraft dich ausgestattet?

Allein, wenn sie uns auch verborgen bliebe:

Mein Haus nimmt dich als Eingebogen auf,

Was es vermag, das wird auch dein; Kreusa

Wird deiner Mutter Stelle dir vertreten.

JON.

Ach! andre Kümmernis berührst du da:

Ich sorge, deiner Gattin zu mißfallen.

XUTHUS.

So fürchtest du stiefmütterlichen Haß?[93]

JON.

Es möchte mir das Härtste doch begegnen,

Wenn sie nur glücklich und zufrieden wär'.

Ich sah dein edles Weib hier bei der Ankunft,

Und wie ihr Herz, beklemmt von Mutterliebe,

Die keinen Ausweg weiß, noch Gegenstand,

Wehmütig hoffte, stolz verzweifelte,

Hat sie mir innig das Gemüt bewegt.

XUTHUS.

Bald wird sie nun, was uns gewährt ist, sehn,

Und ruhiger daran sich genügen lassen.

JON.

Ungleich hat das Orakel euch bedacht.

Dir gab es heimzuführen deinen Sohn,

Der nicht der ihre ist, und nötigt sie,

Den Fremden, Unbekannten, den Erzeugten

Aus einem Bett, von keinem Recht geweiht,

In ihrer Väter Hallen aufzunehmen.

Es wird sie immerfort mein Anblick mahnen,

Beglückter sei ein andres Weib gewesen,

Die dir ein rascher Augenblick verband,

Als sie, die seit so vielen Jahren dir

Der Gattin Liebe, Sorg' und Treu gewidmet.

Nun wird sie erst sich doppelt einsam fühlen,

Da du fortan die Kinderlosigkeit

Nicht mit ihr teilest, wie bisher. Mich jammert's,

Daß sie so arm an Freuden altern soll.

XUTHUS.

Noch bleibt ihr mit der Jugend Hoffnung übrig.

Den frühern Ausspruch des Apoll, der mir

Verhieß, zwiefacher Ahnherr griech'scher Stämme[94]

Durch zweier Söhne Füll' und Kraft zu werden,

Hat nach so vielen Jahren der Erfolg

Nur halb noch eingeholt. Du bist der eine;

Den andern Sohn erwart' ich bald von ihr.

Der unfruchtbare Fluch wird jetzt sich lösen:

Denn oftmals zögert die beginnende

Erfüllung, eh' sie durch die dichten Wolken

Der Hindernisse bricht; allein so bald sie

Erscheint, zieht ihre Schwester, die Vollendung,

Ihr durch das lichte Tor frohlockend nach.

Doch dieses können ferner wir besprechen

Zu andrer Zeit. Sag' an, wie heißest du?

JON.

Die Pythia hat Jon mich benannt.

XUTHUS.

Jon, mein teurer Sohn! O schöner Name,

Wie wirst du in der Nachwelt Ohren tönen,

Wenn Städte, Völkerschaften, Reiche blüh'n

Auf lebensvollen Fluren, Küsten, Inseln,

Wenn Helden kämpfen, Dichter sie besingen,

Und, nach der Sprach' und Sitten Eigenschaft,

Jonisch alles preisend wird genannt!

Gewöhne denn dich nun, stets zu bedenken,

Wie du den Namen glorreich führen willst,

Dem das bestimmt ward; sieh von heute dich

Als einen Fürstensohn und Herrscher an.

Mein königliches Zepter erbt auf dich,

Du mußt dich zeitig, es zu führen, üben.

JON.

Wie anders doch von fern die Ding' erscheinen,

Als wenn sie gegenwärtig vor uns stehn![95]

Ich konnte mir so Herrliches nicht träumen,

Als mir begegnet, und nun füllt mich Ahndung

Mit Bangigkeit vor dem schon, was bevorsteht.

Der schnellen Glückserhöhung geht zur Seite

Der Übermut, und Neid folgt hintennach.

Zu der Athener auserkornem Volk

Komm' ich an zwei Gebrechen krankend: erst

Ausländisch, und dann unecht von Geburt.

Mit welchem Auge werden über sich

Sie den gestellt sehn, der zum Dienen aufwuchs?

Wen Menschen gern gebieten lassen sollen,

Muß von Beginn vor ihnen ausgesondert sein;

Mich achten sie nicht einmal gleich geboren.

Auf ihr feindselig und verachtend Streben

Wird Argwohn lauern müssen, und so drängt

Mich fremde Tücke, die Umstricker selbst

Mit gleicher Schling' und Listen zu verstricken,

Wo nicht, mit trotzender Gewalt zugleich

Das Recht und ihr Gewebe zu durchreißen,

Daß Tyrannei den Purpur blutig färbt.

Hier war ein mäßig Teil und Ruh' und Stille

Mein süßes Los, und die willkommnen Schranken

Der Lehre, der Gewöhnung und des Orts

Bewahrten mich vor ungerechtem Tun.

Viel Fremde kamen wechselnd hier und gingen,

Die ich willkommen heißend und geleitend

Stets neu den Neuen wohlgefällig blieb.

Nicht den Erwerb vergänglichen Besitzes

Galt mein Verkehr mit ihnen: immer nur

Zu festlicher Bereitung, Heiligung,

Behilflich war ich ihnen, und mein Dienst

Hob über den Verkehr mit Menschen mich.

O warum kann ich nicht, jetzt da wir uns

Erkannt, als Sohn dir genügen, und dabei

Fortwandeln die geliebte Lebensbahn![96]

XUTHUS.

Das sind nicht fürstliche Gedanken, Sohn!

Bewähre mir dein königliches Blut,

Und zage nicht vor deines Glückes Glanz.

Bedenke, daß dein Vater als ein Fremdling,

Von seiner Heimat ein Verbannter, auch

Sich auf den Thron der Erechthiden schwang

Durch kühne Tat. Ist dies dein Delphi doch,

Der Mittelpunkt der Erde, wie sie sagen,

Der einz'ge Ort nicht, noch die weite Welt.

Nicht Opfer, weiße Binden, Reinigungen,

Gebete, Weihrauch, Lorbeer, Festgesänge,

Sind dein Geschäft mehr; all dein Trachten muß

Nun Tag und Nacht auf nichts gerichtet sein

Als Krieg und Waffenübung, Roß und Mann,

Die vierbespannten Wagen, Türme, Mauern;

Dann auf Gesetz' und Rechte, die Versammlungen

Des Volks und Rates, und der Häupter Schmaus

In ihres Königs immer offnen Sälen.

Du mußt zum herrlichen Athen mir folgen,

Noch heut, wann wir das Fest, das ich bei deiner

Geburt versäumt, zuvor gefeiert haben.

JON.

So will ich denn zum Abschied mich bereiten.

Lebt wohl, geliebte Bäume! heim'sche Luft!

Ergieb'ger Boden, der mich mild genährt!

Doch du vor allen, hohes Tempeldach,

Worunter oft, auf der Altäre Stufen,

Bald am Gestell der Säulen meines Gottes

Mich süßer Schlaf umarmt, wie wohl der Landmann,

Der einen weit entlegenen Acker baut,

Aus Zweigen sich ein Hüttchen wölbt, da ruhiger

Des Mittags Glut verschläft, als wie zu Haus

Im weichen Bett, indem in seine Träume[97]

Der weite blaue Himmel niedersteigt.

Quellsprudelnder Parnassus! goldnes Delphi!

Ich gehe, doch es bleibt bei euch mein Herz.

Ja eines, Vater, mußt du mir geloben,

Daß ich die Heimat jährlich darf besuchen.

Als Mutter hat mich Pythia gepflegt,

Sie weiß noch nicht mein neues Glück, und wird

Mich ungern von sich lassen. Oft, recht oft

Muß ich sie kindlich wiedergrüßen: sie

Vergessen könnt' ich nimmer, härmte mich

Nur ab nach ihr, wenn du's nicht zugestündest.

XUTHUS.

Gern alles, lieber Sohn, was du begehrst.


Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Ausgewählte Werke. Berlin 1922, S. 87-98.
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