An A.W. Schlegel

[312] Wohl mancher leuchtende Frühling grünte,

Und mancher Sturmwind hat getobt,

Seit jugendlich sich der Mut erkühnte,

Und wir den hohen Bund gelobt;

Es brach die Welt, sich wandelnd, schwankte,

Daß irrend alles abwärts wankte,

Doch unsre Freundschaft blieb erprobt.


Es rührt erquickend die Liebesfreude

Im Sturm des Lebens an die Brust,[312]

Ja hier ist vor des Geschickes Neide

Die schönste Freistatt uns bewußt.

Nur ist das holde Glück vergänglich,

Die ird'sche Blüte zart und kränklich,

Ein Hauch ertötet ihre Lust.


So wandelt alles, was blüht und schwindet,

Nur eines steht unwandelbar.

Wie sich die brausende Woge windet,

Der Himmel wölbt sich fest und klar;

So strahlt in uns die starke Treue,

Frei von Begier und frei von Reue,

Durch allen Wandel hell und wahr.


Laß Wellen denn über Wellen fliehen,

Wir haben's höher wohl gemeint;

Laß wilder den Sturm zusammenziehen,

Wir bleiben Eines Ziels vereint.

Wenn wir den Mut nicht sinken lassen,

So dürfen wir den Glauben fassen,

Daß noch ein heller Stern uns scheint.


So wie zwei Kämpfer, die heimlich steigen

Zu Nacht die Felsenkluft empor,

Den Waffenbrüdern den Weg zu zeigen,

Und zu erspähn das stille Tor;

Wenn sie dann endlich durchgedrungen,

Des Sieges Fahne hoch geschwungen,

Da strahlt die Sonne licht hervor.


So wandelten wir dem Ziel entgegen

Wohl einsam auf dem steilen Pfad;

Nun laß sich freudig den Mut bewegen,

Und herrlich blühn die volle Saat.

Der Schätze sind noch viel verborgen,

Wie sollten wir noch ängstlich sorgen,

Da der Erfüllung Stunde naht!


Wie sollte der Unmut sich dein bemeistern

Ob eitler Knaben schnödem Spiel,

Ob einer auch von den bessern Geistern

In Knechtes Wahn erniedert fiel?

Laß unverzagt uns vorwärts schreiten;[313]

Dir schlummern in den goldnen Saiten

Noch unbekannter Kräfte viel.


So wie der Gießbach über die Klippen

Mit wildem Strom zur Tiefe flieht,

So braust begeistert mir von den Lippen,

Ein ungeregelt Heldenlied;

Weil dir der Dichtkunst Füll' entfaltet,

Dem Auge rein und klar gestaltet,

Die Seelen magisch an sich zieht.


Laß nicht die Schwermut den Geist bezwingen,

Weil noch der Himmel donnernd droht;

Auf sah man herrlicher stets sich schwingen

Den deutschen Geist aus Sturmesnot:

Wie nach des Blitzes Flammenschlägen

Der Erd' entquillt der vollste Segen,

Ein neuer Frühling aus dem Tod.


Laß denn hervor die Taten wallen

Der alten und der neuen Zeit,

Und frei den vollen Gesang erschallen,

Zu unsers Volkes Ruhm geweiht!

Die Vorwelt sei der Zukunft Spiegel,

Die Zeit empfängt in diesem Siegel

Die Weihe der Unsterblichkeit.


Ein jedes freue sich seiner Stelle,

Der Zeiten Streit verwirrt uns nicht;

Ein jeder labe sich an der Quelle

Und hell sei jedes Angesicht;

Dort, wo sich alle Zweifel lösen,

Trennt sich das Gute von dem Bösen

Im ewig heitern klaren Licht.

Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 312-314.
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