Mahomets Flucht

[304] Gen Medina floh Mahoma,

Schüttelt tief entbrannt von Zorne,

An des Mutterlandes Grenze,

Sich den Staub von seinen Sohlen.

»Undankbare Stammverwandte,

Wo des Neides Zahn nicht ruhte,

Bis ich fern von euch entflohen,

Gern entsagend meinem Blute,

Ja den Staub auch unsers Bodens,

Mich zu rein'gen, von mir werfe,

Fremden Schicksals Rufe folgend.

O, ihr trübgesinnten Herzen,

Anzufeinden stets das Hohe!

Welcher Geist hatt' euch verdunkelt,

Daß ihr mich nicht dulden wolltet!

War vom adlichsten der Stämme

Ich nicht ehrenvoll entsprossen?

Wem noch fließen von den Lippen

Des Gesanges Ströme goldner?

Sieben Dichterwerke strahlen

Auf den goldgewirkten Rollen;

Doch mit nichten darf ich scheuen,[304]

Kühn zu spannen gleichen Bogen,

Hoher Rede Kunstgewebe

Schmückend zu so edelm Lohne.

Denn nicht eilen von der Lippe

Flüchtig mir nur schöne Worte;

Die ich dichte, meine Rede

Quillt hervor aus dem Verborgnen,

Schwingt sich ruhig fort im Sturme,

Flammend steigt sie auf zur Sonne,

Und ich darf mich kühnlich stellen

Zu den Alten unsers Volkes.

Wer ist kundiger des Ruhmes,

Den die Väter einst erworben,

Jene Helden unsers Stammes,

Denen nicht die Enkel folgen?

Das ist Lug nur und Verleumdung,

Daß ich Neues stiften wollte,

Mich nur meinend, wie ihr sprachet,

Einzig dienen meinem Stolze.

Unsrer Väter alten Glauben,

Für den mancher Held gestorben,

Eh' die falschen Götzen kamen,

Hab' ich neu entzünden wollen;

Jenen hohen Feuerglauben,

Der dem Born des Lichts entflossen,

Aus des Lichtes Strahlen wollt' ich

Bilden Einer Wahrheit Sonne,

Und der neuen Götzen Schimmer

Niedersplittern auf den Boden.

Dunkel wogen nun die Winde,

Und ich sehe schon die Wolken,

Die mein Vaterland umkreisen,

Und die Donner die ihm drohen.

Wach geworden ist das Wilde,

Die Verwüstung braust im Strome;

Fluten wachsen über Fluten

Jenem Lande, dem entflohen

Noch mein Liebesblick gefesselt

Treulich anhängt, oft betrogen.

Traurend flieh' ich, schaue traurend

Rückwärts nach dem Mutterboden,

Einsam wandelnd durch die Wüste,

Als der letzte meines Volkes.


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 304-305.
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