An den Ufern des Mains

[382] Hier, wo um weinbekränzte Hügel

Der Strom sich schlingt,

Sanft gleitend, wie des Schwanes Flügel,

Erfrischend durch die Wiesen dringt,

Des Schiffleins stille Bahn gezogen

Auf schlangengleich gewundnen Wogen

Sich um die Berge schwingt;


Hier, wo im fruchtbegabten Tale

Der Rebe Kraft,

Genährt vom starken Sonnenstrahle,

So goldnen Weines Trank erschafft,

Der einst die Enkel noch erheitert,

Zu Liedern ihre Brust erweitert,

Den Mut der Sorg' entrafft;


Wo froh gesinnt die deutschen Franken,

Voll Kraft und Lust,

Am schwachen Trübsinn nie erkranken,

Fröhlich des freien Muts bewußt;[382]

Wie einz'le Blumen auf den Fluren,

Zeigend der alten Sitte Spuren,

Der alten Deutschen Lust;


Hier rührten mutig linde Lieder

Mir an das Herz,

Die alten Ströme brachen wieder

Hervor, und es verschwand der Schmerz.

Was sanft im Lied ergossen weinet,

Starrt schweigend innen sonst versteinet,

Wie kaltes grauses Erz.


Doch, gleitend auf des Liedes Wellen,

Wird alles mild.

Oft spiegelt sich in diesen Quellen

Die Sonne und der Sterne Bild;

Fort wie des Lebens Schiff gezogen

Ist auch des Unglücks Sturm entflogen,

Und keine Zeit mehr wild.


Wohl muß ein ew'ger Frühling grünen

Dem sel'gen Mann,

Der seines Herzens nur erkühnen

Und sich den Freund verbünden kann.

Euch Wellen grüß' ich drum des Maines,

Gar oft gedenkend des Vereines,

Der schöner dort begann.


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 382-383.
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