Eulenspiegels guter Rat

[324] 1806


Ihr lieben Leute jetz'ger Art,

Ihr seid auf rechter Spur und Fahrt,

Und falls ihr's fürder noch so treibt,

Sicher der Segen aus nicht bleibt.

So laßt uns denn in ein'gen Lehren

Unsr' eigne Weisheit noch vermehren,

Auf daß im Spruch ihr deutlich seht,

Wie schön es euch von statten geht,

Zu leben, wie man leben soll.

Wer anders denkt, ist sicher toll,

Oder glaubt selbst nicht, was er spricht,

Will sich absondern, der Bösewicht.

Ich fange gleich mit dem Anfang an,

So ist's am besten auf der Lebensbahn.

Den Kindlein also soll vor allen

Man tun ihres Herzens Wohlgefallen,

Frühzeitig auch in Gesellschaft treiben,

Daß sich die Sitten an'nander reiben;

So werden sie schön zu den Alten treten,

Sie fein belehren mit klugen Reden.

Ist so ein Knabe dann vollendet,

Werd' er zur hohen Schule gesendet.

Da lernt er spielen, stechen, saufen,

Beineben sich in Weisheit taufen,

Kauft sich eine Portion Absolutes,

Und hat er's, kann er dreisten Mutes

Jedwedem lachen ins Gesicht,[324]

Dem's an der Redensart noch gebricht;

Die Ware ist nicht teuer eben,

Für 'nen Gulden wird sie jeder geben.

Dies sind die Haupterziehungsregeln;

Ein guter Wind macht fröhlich segeln,

Nicht alle können von Renten leben,

Drum muß es Ständ' im Staate geben.

Unter all den Ständen dieser Welt

Keiner mir wie der Kaufmann gefällt;

Der sitzt ruhig an seinem Tisch,

Läßt die andern angeln und ackern frisch.

Wer dreschen mag, der kann auch fasten;

Dem Klugen fließt es so in Kasten.

Zwar manchen viele bankerott,

Doch leiden sie darum nicht Not,

Leben oftmals nur desto besser;

Und wucherst du glücklich, wer ist größer?

Der Kaufmann lebt wie ein kleiner König,

Dünkt sich in seinem Hause nicht wenig;

Da kann er nach Lust die Künste beschützen,

Merkwürd'gen Fremden vielmals nützen.

Vielerlei Volk zusammen er bittet,

Sein' eigne Frau in der Mitte sitzet,

Wird ihr manch Kompliment gemacht,

Daß sie's in allem so weit gebracht.

Denn das ist nun vor allen notwendig,

Sie sei es oder sei nicht verständig,

Daß sie von allem zu sprechen weiß,

Wird ihr dabei weder kalt noch heiß.

Die feinste Gesellschaft dieser Art

Ist, wo viel Weiber jung und zart

Uns ihre Reize eben zeigen,

Ohne darum von der Tugend zu weichen,

Holdselig jeden Fremden anlachen,

Das sollt' einem wohl Gedanken machen,

Bloß weil's die Mode so mit sich führt,

Daß man halbnackend im Winde spaziert.

Wenn sie sich lang genug besehn,

Nüchtern alle nach Hause gehn.

So nennt der Kaufmann alles sein,

Mag er Christ oder Jude sein.[325]

Schlimmer schon ist der Soldat geschoren,

Ihn trösten jedoch die verguld'ten Sporen,

Viele Schulden und ein wenig Mut,

Vor allem aber der große Hut.

Stets soll der Rechtsgelehrte schreiben,

Und schreibend so das Recht umtreiben;

Je höher wächst der Schriften Menge,

So mehr der Bürger kommt in die Enge.

Der Arzt hängt sich ans neu'ste System,

Ist er berühmt, so wird er bequem.

Gelahrtheit ist 'ne schlimme Profession,

Wer grob nicht ist, der bleibe davon;

Lügen und Stehlen sind hier am Ort,

So geht man mit der Wissenschaft fort.

Schimpft nur auf die, so ihr bestehlt,

Noch manchen gibt's, der sich redlich quält.

Der Geistliche wird gering geachtet,

Oftmals sein Gut sogar verpachtet,

Er selbst von Haus und Hof gejagt;

So flieht des Aberglaubens Nacht.

Wer Gottes Wort von Herzen achtet,

Wird billig von der Welt verachtet.

Der Landmann soll in Städten leben,

Die Äcker mögen verderben eben.

Der Bürger wohn' in blüh'ndem Garten,

Der Kunden mag ein andrer warten.

So leben die Fürsten in Freuden und Ehren,

Denn lange kann es so nicht währen.

Kein Fürst sei je des andern Freund,

Viel lieber halt' er's mit dem Feind,

Der manchem schon ließ Leut' und Land,

Der sich ergab in seine Hand;

Zuvor gemindert doch das Gut,

Daß sie nun leben mit leichterm Blut.

Wenn ihr die Lehren treu bewahrt.

Gewißlich ihr zum Teufel fahrt.

Doch dieses hoff' ich, glaubt ihr nicht,

Weil es der Eulenspiegel spricht.


Quelle:
Friedrich von Schlegel: Dichtungen, München u.a. 1962, S. 324-326.
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