|
[183] Estrithe, Canut, Godewin.
ESTRITHE.
Mein König, deine Huld, die du mir wiedergiebst,
Beschämt mich, da sie mir bezeigt, wie du mich liebst.
CANUT.
Die Liebe, die du rühmst, braucht dich nicht zu beschämen,
Die geh ich dir nicht erst, nichts konnte dir sie nehmen.
ESTRITHE.
So sehr dich meine Flucht mit Recht erzürnen kann ...
CANUT.
Sie hat mich nicht erzürnt, sie hat mir wehgethan.
ESTRITHE.
So sehr auch mein Vergehn mich zu verklagen scheinet,
So glaub, ich hab es mehr, als du wohl denkst, beweinet.
Erlaube, daß ich dir den Grund verhehlen darf,
Warum ich aus dem Glück mich in dieß Unglück warf,
Ob Lieb, ob Raserey, ob Ehrsucht mich bewogen,
Daß ich mich deiner Gunst und meiner Pflicht entzogen.
Da du für mein Vergehn Vergebung mir gewährst,
Was braucht es, daß du noch was mich verführt, erfährst?
Wer kennet stets den Trieb, der ihn dahin gerissen?
Man irrt oft, ohne selbst, warum man irrt, zu wissen.
Nur sieh den Ulfo nicht als den Verbrecher an.
Glaub, alles was geschehn, hab ich allein gethan.
Ich, die du lebenslang mit Wohlthun überschüttet,
Ich bin es itzt allein, die um Vergebung bittet.
Du brauchest keinem sonst als mir nur zu verzeihn:
Sonst niemand hat gefehlt, und alle Schuld ist mein.
Mein war des Ulfo Flucht, von mir kam sein Empören,
Ich führte Krieg zur See, ich stand bey seinen Heeren.
Erstaunest du, daß ich so kühn zu der Gefahr,
Und mehr, als du geglaubt, zum Hassen fähig war?
Ich selbst verwundre mich, wie vieles ich verbrochen.
Doch, Herr, es ist geschehn, und ich bin losgesprochen.
Du fragst, um zu verzeyhn, nicht was begangen sey,
Den größten Fehler tilgt bey dir die kleinste Reu.
Gieb zu, daß diese Reu den Irrthum gantz durchstreiche,
Der nur so kurz gewährt, und da ich mir nicht gleiche.
Dein Auge, das mich sonst voll Lieb und Ehrfurcht fand,
Soll stets mich wiedersehn, wie es mich erst gekannt:
Bis endlich dieß mein Herz durchs künftige vertheidigt,
Dich überreden wird, als wärst du nie beleidigt.
CANUT.
Hierzu bedarf es nichts als deine Wiederkehr.
Von allem ist bey mir schon kein Gedächtniß mehr.
Estrithe, laß uns nichts von dem vergangnen sagen,
Mein Herz ist allzufroh, sich weiter zu beklagen.[184]
Es sey genug an dem, was mich bisher gekränkt,
Daß meiner Schwester Herz sich von mir abgelenkt,
Und alles mein Bemühn sich fruchtlos enden mußte,
Weil es mir dein Vertraun nicht zu erwerben wußte.
Was dir gewähret ist, hoff auch für den Gemahl:
War alles wider ihn, so schützt ihn deine Wahl.
Er darf nur ohne Furcht vor meinem Blick erscheinen,
Ich hab ihn nie gehaßt und lieb ihn als den Deinen.
Warum hast du zuvor dein Herz vor mir verhehlt?
Da du ihn dir ersehn, hätt ich ihn auch gewählt.
Die Herrschaft über dich ist dir stets frey gewesen.
Behalt sie, lieb ihn.
ESTRITHE.
Herr, du hast mir ihn erlesen.
CANUT.
Ich?
ESTRITHE.
Ja! du hast ihn selbst mir als Gemahl gesandt.
Er ward mir darum lieb. Er kam von deiner Hand.
Du schriebst mir, das zu thun, was er von mir begehrte.
Ich nahm ihn an, als den, der deinen Wink erklärte.
Er zeigte mir voll Dank und Liebe gegen dich,
Das, was er forderte und du ihm gäbst, sey ich.
Erwies mir dein Geboth: was braucht er mehr zu zeigen?
So war mein Herz erlangt, und sein Glück ward mein eigen.
So sorglos hab ich stets auf deine Huld gebaut,
Und deiner Führung bloß mein ganzes Glück vertraut.
Was du für gut geschätzt, für meine Pflicht geachtet,
Und was ich wünschen soll, allein durch dich betrachtet.
Sollt auch gleich diese Wahl dir itzt zuwider seyn:
So war es doch dein Werk, erkenn es noch als dein.
Und laß mich nur noch dieß von deiner Huld erlangen,
Zu glauben, was geschehn, hat Ulfo nicht begangen.
CANUT.
Itzt eben, da du mir von seiner Unschuld sagst,
So weißt du nicht, wie sehr du ihn vor mir verklagst.
ESTRITHE.
Ach! so ist mir für ihn zu sprechen nicht erlaubet?
CANUT.
So strafbar, als er ist, hätt ich ihn nicht geglaubet.
ESTRITHE.
Kann er noch strafbar seyn, da du ihm schon verziehn?
CANUT.
Doch, da ich ihm verzeyh, beschuldigest du ihn.
ESTRITHE.
Ich kann, was er gethan, und was du sagst, nicht fassen.
CANUT.
Dein Irrthum dienet dir, drum will ich dir ihn lassen.
Da du den Ulfo liebst: so hat er nichts gethan.
Dein Bruder sieht ihn bloß mit deinen Augen an.
Du weist nicht seine Schuld: ich will daran nicht denken,
Du nennst ihn mein Geschenk: wohl! ich will dir ihn schenken.
Buchempfehlung
Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica
746 Seiten, 24.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro