Erster Auftritt.


[241] Frau Sylvesterinn. Fortunat.


SYLVESTERINN. Bist du denn wieder da, Fortunat? Nun! bist du denn Secretär?

FORTUNAT. Ist es wahr, Mama? Bin ichs.

SYLVESTERINN. Ich glaube gar, du fragest mich erst. Weist du denn noch nicht, ob du es bist?

FORTUNAT. Nun! wenn ichs bin; so ist es gut. Behüte Gott, wo wollte ich es wissen? Bey dem Goldschmiede habe ich nichts davon gehört. Mama, haben sie die Schnallen?

SYLVESTERINN. Ja. Wenn du mir nur nicht so viel Angst gemacht hättest! Ich bin unterdessen bald gestorben.

FORTUNAT. Worüber haben sie sich den geängstiget? Ich gieng bey dem Goldschmiede vorbey: so fiel mirs ein, und auf den Augenblick könnt ich ja leichtlich zu ihm gehen. Bey dem Herrn, dessen seinen Lackey ich herschickte, habe ich auch nichts gehört, ob ich Secretär bin. Aber warum schickten sie mir die Stiefel nicht?

SYLVESTERINN. Ey! ich hätte dir die Stiefel schicken können! daß du mir den Minister verritten hättest![241]

FORTUNAT. Haben sie einen Fächer ausgelesen? Mama? Ich wollte ihn Jungfer Lieschen schenken.

SYLVESTERINN. Bist du der Jemand gewesen, der mir den Mann über den Hals geschicket hat? Warum hast du es nicht besser ausrichten lassen? Ich wußte viel, für wen er seyn sollte.

FORTUNAT. Es ist gut, Mama. Ich habe mich unterweges anders besonnen. Ich will selber einen malen. Es läßt verbindlicher, wenn er von meiner eignen Hand gemalet ist. In dem Laden habe ich auch nichts gehöret, wo ich die Farben kaufte. Sie haben doch die Farben?

SYLVESTERINN. Ja, die habe ich. Hast du Stroms seiner Sache wegen jemanden um Rath gefragt?

FORTUNAT. Der Henker hole mich, Mama! Das habe ich vergessen. Auf dem Rückwege dachte ich wohl dran, da ich bald zu Hause war. Aber da war mir es zu verdrießlich, noch zu jemanden zu gehen, und ich war müde. Ich habe aber selber nachgedacht. Und ich will dem Kläger schon Ausflüchte genug machen. Exceptionem fori, exceptionem non praestitae cautionis, exceptionem inepte formati libelli, exceptionem illegitimationis, inhabilitatis, non competentis actionis: ein ganz Register voll exceptiones dilatorias will ich ihm entgegen setzen.

SYLVESTERINN. Was war das? Wie hieß es excex – – – –

FORTUNAT. Exceptiones dilatorias.

SYLVESTERINN. Was sind denn das für Sachen?

FORTUNAT. Das sind Ausflüchte, die die Sache verschieben, aber nicht gewinnen.

SYLVESTERINN. Ey! Strom wird dich führen, wenn du ihm die Sache verschieben, aber nicht gewinnen willst.

FORTUNAT. Das ist auch nur ein Bißchen zum Behelfe. Wir Advocaten nehmen alles mit, wenn es gleich nicht viel hilft.

SYLVESTERINN. Wir Advocaten! Zumal dich mitgerechnet.

FORTUNAT. Aber das ist noch nicht die Hauptsache, Mama. Verlassen sie sich auf mich. Der Proceß ist gewonnen. Ich sage es ihnen, daß er gewonnen ist. Es ist mir eingefallen: ich habe auch exceptionem plus petitionis.

SYLVESTERINN. Du weist ja, daß ich kein Lateinisch verstehe. Du mußt mir es erklären.

FORTUNAT. Mama, sie wollen auch gar zu viel wissen. Sie hätten mich nicht examiniren dürfen: ich wüßte nicht, wie ich bestanden wäre.

SYLVESTERINN. Je nun! lieber Fortunat. Ich habe meine Freude dran, wenn ich sehe, daß du was weist, das ich nicht weis.

FORTUNAT. Ich will es ihnen sagen, Mama, was es deutsch heißt. Es[242] will zwar nicht recht klappen: Exceptio plus petitionis heißt ungefähr, die Ausflucht des Mehrbittens.

SYLVESTERINN. Ja, du gutes Kind, wenn das deutsch ist, so bin ich keine Deutsche.

FORTUNAT. Nun, Mama. Ich will mein äußerstes thun; ich will es ihnen erklären. Strom wendet gegen seinen Kläger ein, daß der Kläger mehr von ihm haben will, als er ihm versprochen hat, und zu geben schuldig ist.

SYLVESTERINN. Höre, Fortunat. Wenn du dich nur darauf besonnen hättest: so hättest du nicht weglaufen, und deiner Mutter so viel Angst machen dürfen.

FORTUNAT. Ja, freylich. Wenn ich mich darauf besonnen hätte. Aber man kann sich ja nicht eher worauf besinnen, als bis es einem einfällt.

SYLVESTERINN. Warum ist dir es aber nicht vorhin eingefallen?

FORTUNAT. Weil ich nicht daran gedacht habe.

SYLVESTERINN. Aber, warum hast du nicht dran gedacht?

FORTUNAT. Kann man denn an was sogleich denken, wenn man will?

SYLVESTERINN. Nun, es ist wohl wahr, du lieber Fortunat Aber höre, du hast die Sache auch nicht recht gewußt Strom sagte, es wäre falsch.

FORTUNAT. Sie haben mir es ja gesagt, Mama.

SYLVESTERINN. Das weis ich wohl.

FORTUNAT. Warum haben sie sich aber nicht vorhin besonnen?

SYLVESTERINN. Je nun! es war mir nicht recht eingefallen. Du sprichst ja: man könnte nicht gleich an was denken, wenn man wollte. Ich will dir sagen, wie es war. Es waren vier Kisten, die der Kläger gehandelt hatte. Hernach sind ihrer nur drey gekommen. Und der Kläger will sie alle viere haben.

FORTUNAT. Ja so! So ist der Proceß noch nicht gewonnen, Mama. Ach! hätten sie sich doch vorhin besonnen. So hätte ich mich auch nun besonnen, was ich machen sollte.

SYLVESTERINN. Wer hat es denn merken sollen? Ich, oder du?

FORTUNAT. Wenn ich alles merkte, was ich nicht merke: so müßte ich viel merken.

SYLVESTERINN. Was werden wir denn nun mit deiner Ausflucht des Mehrbittens machen?

FORTUNAT. Nun! hören sie nur! Wenn der Kläger vier Kisten haben will, und Strom will ihm nur drey geben: so denkt ja Strom auch, jener will mehr haben, als er ihm geben darf. Weil ich nun Stroms sein Advocat bin: so muß ich denken wie Strom, also behalte ich meine Ausflucht des Mehrbittens; es mag werden, wie es will.[243]

SYLVESTERINN. Höre, mein Sohn, wenn Strom und du das denken: so dächte ich, ihr dächtet alle beyde nicht recht. Denn, wenn der Kläger vier Kisten gehandelt hat, und fordert auch die; so fordert er ja, was ihm Strom versprochen hat, und was er ihm schuldig ist: und also fordert er nicht mehr.

FORTUNAT. Das läßt sich hören, Mama: das sage ich ihnen. Ich habe einmal ein Bißchen davon gehört, daß die Frauenspersonen deswegen keinen Schaden litten, wenn sie gleich von Rechtssachen nichts wüßten. Aber ich schwöre es ihnen; wenn ich einmal Gesetze geben sollte: so sollten ihnen zu Ehren die Frauenspersonen doppelt gestraft werden, wenn sie was von dergleichen Sachen nicht wüßten.

SYLVESTERINN. Gott behüte mich! Du gottloses böses Kind: wolltest du deine Mutter doppelt strafen?

FORTUNAT. Das wäre ja ihnen zu Ehren, Mama. Das wäre ein Zeichen, daß sie doppelt klug wären.

SYLVESTERINN. Ja, Fortunat. Du hast mir ja noch nichts vom Minister gesagt. Wie war er denn? Was sagte er denn? Wie that er denn gegen dich?

FORTUNAT. Sie fragen auch noch immer, was der Minister vor vier Wochen gesagt hat? Ich habe es ihnen doch alle Tage erzählen müssen.

SYLVESTERINN. Ich will wissen, was er heute gesagt hat.

FORTUNAT. Heute? Noch kein Wort. Wenn hätte ich denn heute mit ihm geredet?

SYLVESTERINN. Nach zweyen, da du hingegangen bist.

FORTUNAT. Wenn wäre ich denn hingegangen?

SYLVESTERINN. Ach! der lüderliche Mensch ist noch nicht bey dem Minister gewesen. Ach! nun wirst du nicht Secretär! Nun kriegest du Jungfer Lieschen nicht! Nun muß ich dich dein Lebtage ernähren! Fiekchen, Fiekchen, ungrisch Wasser! Ach! du nachläßiges, sorgenloses, leichtfertiges Kind! Geschwinde geh zum Minister! Geh, geh! es ist schon versäumt!

FORTUNAT. Nun, Mama. So geben sie mir nur die silbernen Schuhschnallen, daß ich sie einmachen kann.

SYLVESTERINN. So geh doch! und laß dich nicht wieder sehen, wenn du nicht bey ihm gewesen bist.

FORTUNAT. Geben sie mir nur die schönen silbernen Schnallen.

SYLVESTERINN. Der Minister giebt Achtung, ob du zu rechter Zeit kömmst, und nicht, ob du schöne Schnallen trägst.

FORTUNAT. Wenn ich so lange gewartet habe: so kann ich die Minute auch noch warten.

SYLVESTERINN. Nein! ich gebe dir nicht einen Augenblick Zeit.[244]

FORTUNAT. So will ich mich nur auskämmen.

SYLVESTERINN. Du sollst gar nicht warten.

FORTUNAT. Ich sehe aber zu lüderlich.

SYLVESTERINN. Geh fort!

FORTUNAT. Ich habe zu Pferde gesessen. Ich muß mich wieder zu rechte machen.

SYLVESTERINN. Du sollst gehen, sage ich; oder ich will dich in meinem Leben nicht wieder sehen! Geh doch, geh!

FORTUNAT. Nun! wenn sie es so haben wollen: so mag ich aussehen wie ich will. Ich will gehen; ich gehe ja schon.


Quelle:
Johann Elias Schlegel: Ausgewählte Werke. Weimar 1963, S. 241-245.
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