Drey und zwanzigster Auftritt.

[306] Jungwitz. Charlotte. Leonore, versteckt.


JUNGWITZ.

Sie nehmen mich sehr kalt und sehr verächtlich an.

Mich dünkt sie sind erzürnt.

CHARLOTTE.

So sind sie Schuld daran.

JUNGWITZ.

Ich wünsche nur zu sehn, daß ich gefehlet habe.

CHARLOTTE.

Die Gabe ... das ... zu sehn ... ist eine ... seltne Gabe.[306]

JUNGWITZ.

Recht artig! Doch vorhin da sprachen sie so nicht.

Wo war damals ihr Geist? ich sah nur ihr Gesicht.

CHARLOTTE.

Was sollte man ... sonst mehr ... den jungen Herren ... zeigen?

Sie reden ... gern ... allein ... drum braucht man nur ... Eclatanten.

JUNGWITZ.

Wie? Eclatanten? Was?

CHARLOTTE.

Man findet oft ... Verstand.

In Leuten ... die man erst ... gar nicht ... dafür ... erkannt.

JUNGWITZ.

Es klang, als hätt ich itzt zwo Stimmen sprechen hören.

Hier muß ein Echo seyn.

CHARLOTTE.

Es wird sie nur ... bethören.

JUNGWITZ.

Das Echo ...

CHARLOTTE.

Gehn sie doch! ... sie kommen mir zu nah.

JUNGWITZ.

Das Echo ist ganz neu, es spricht voran. Ha! ha!

Wer steckt hier? kommen sie! Das ist nicht zu verzeihen.


Leonore tritt hervor.


Sie haben viel Verstand: er ist gar zu verleyhen.


Zu Charlotten.


Und sie, ach! schämen sie sich nicht, mein schönes Kind.

Ich muß gestehn, daß sie ein artig Sprachrohr sind.

CHARLOTTE.

Ey! nicht doch!

LEONORE.

Ja! mein Herr, sie haben Recht zu spotten.

Wie schlecht entschuldigt mich die Freundschaft für Charlotten!

JUNGWITZ.

Wer hat die List erdacht? Gewiß! sie war recht fein.

LEONORE.

Weil sie nicht feiner ist, drum ist sie zu verzeyhn,

Da sie nicht Schaden thut, und doch sie überführet,

Daß man so einen Mann, wie sie, nicht gern verlieret.

JUNGWITZ.

Ich seh zum wenigsten so viel aus dieser List,

Daß die Betrügerey ihr Handwerk gar nicht ist.

Sie lassen, wie mich dünkt, sich viel geschickter sehen,

Sich zu entschuldigen, als mich zu hintergehen.

LEONORE.

Wer selbst sein Unrecht sieht, entschuldigt sich nur schlecht.

JUNGWITZ.

Ihr Unrecht? sagen sie. Sie haben allzurecht.

Sie konnten für sich selbst nichts vortheilhafters finden,

Und spielten diesen Streich bloß um mich zu entzünden.

LEONORE.

Gewiß! sie trauen mir sehr viel Erfindung zu.

Ich ziele nicht so weit in allem, was ich thu.

JUNGWITZ.

So geht die Wirkung doch viel weiter, als sie zielen.

LEONORE.

Mein Herr, die Roll ist aus, die ich hier sollte spielen.

Sie wissen, ich war nur um einzuhelffen hier.[307]

Hier ist die Hauptperson, drum sprechen sie mit ihr.

JUNGWITZ.

Ich bitte, bleiben sie. Mit ihnen muß ich sprechen.

Sie halfen zum Betrug, nun helffen sie mich rächen.

Nein! man soll mich gewiß umsonst nicht hintergehn.

Sie sollen für den Streich, auf den sie dachten, stehn.

Um den Verstand, den man mich hoffen ließ, zu finden:

So muß ich mich mit der, die ihn besitzt, verbinden.

LEONORE.

Sie glauben, hab ich sie zu hintergehn gedacht,

So ist dasselbe Recht, nun auch für sie gemacht:

Doch ihre Schmeicheley wird diesmal mich nicht fangen.

Dem traut man nicht so leicht, wen man erst hintergangen.


Quelle:
Johann Elias Schlegel: Ausgewählte Werke. Weimar 1963, S. 306-308.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die stumme Schönheit
Die stumme Schönheit

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Napoleon oder Die hundert Tage. Ein Drama in fünf Aufzügen

Napoleon oder Die hundert Tage. Ein Drama in fünf Aufzügen

In die Zeit zwischen dem ersten März 1815, als Napoleon aus Elba zurückkehrt, und der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni desselben Jahres konzentriert Grabbe das komplexe Wechselspiel zwischen Umbruch und Wiederherstellung, zwischen historischen Bedingungen und Konsequenzen. »Mit Napoleons Ende ward es mit der Welt, als wäre sie ein ausgelesenes Buch.« C.D.G.

138 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon