Das 80. Capitel.
Wenn man den Storch siehet kommen / und bewillkommet ihn / so thut einem kein Zahn wehe.

[415] Ich möchte gern den Reverence u. das Compliment sehen, das einem ankommenden Storche gemacht wird, und hinwieder des Storchs seine Gegen-Complimenten, und wundert mich, daß solche nicht längst sind in Kupffer gestochen, und die Worte / die beiderseits dabey gefallen, darzu gedruckt worden? welche ohngefehr also lauten würden:


Willkommen, werther Freund! aus weit entfernten Landen,

Du kanst zwar klappern noch, ich aber muß mit Schanden

Das Maul verbunden habn, weil mich die Zähne plagen,

Drum muß ich diese Noth dir ietzt mit Sckmertzen klagen.

Wilt du nun helffen mir, so thus ie eh'r, ie lieber,

Die Schmertzen sind sehr groß, drum hilff! ich sterb sonst drüber.
[415]

Des Storchs Antwort:


Daß ich dich so malad ietzt, da ich komme, finde,

Ist mir zwar hertzlich leid, doch helffich dir geschwinde,

Nimm du von meinem Koth, weil er noch weich, ins Maul,

Kau ihn, und beiß ihn tödt thus bald, und sey nicht faul!

Alsdenn so klappre mir fein nach mit deinen Zähnen,

So darffstu dich hinfort nach dieser Cur nicht sehnen.


Daß nun solch thöricht Compliment und Bewillkommung soll vor die Zahn-Schmertzen praeserviren, laufft wider die gesunde Vernunfft, und wird auch schwerlich ein Mensch, der nicht im Haupte verwirret ist, solche Stockfisch-Possen vornehmen. Und kömmt mir ein solcher Ertz-Narr nicht anders für, als wie jener junge Maul-Aff, der sein Lebtage nicht weiter gekomen war, als etliche Schritte von seiner Mutter Brodt-Schranck. Dahero seine Eltern / als vermögende Leute, ihm ein Stück Geld gaben, daß er sich in die Fremde begeben, und in der Welt ein wenig umsehen möchte. Der gute Mensch kömmt 6. Meilen von seinem Vater-Lande in eine Stadt, und vermeynet, das sey Nova Zembla, oder gar der Welt Ende, sitzt dannenhero im Gast-Hofe, und schwatzet ohn Unterlaß von seiner sehr weiten und gefährlichen Reise, und giebt zu verstehen, daß er solche wolle in Druck ausgehen lassen. Wie der Wirth solche Thorheit mercket, gehet er zu seinem Nachbar, der ein spaßhaffter, lustiger Mann gewesen, und erzehlet ihm, was er vor einen närrischen Gast hätte.[416] Der Nachbar ersinnet stracks einen artigen Possen mit diesem Ausländer zu spielen, und bittet ihn zu sich zu Gaste. Der fremde Jüngling erscheinet, iedoch mit gröster Verwunderung, daß ihn in so fremden Landen iemand zu Gaste ladete, der ihn doch unmöglich kennen könte, macht bey seiner Erscheinung viel Complimenten. Der Freund aber, der ihn zu Gäste geladen, giebt weiter keine andere Antwort, als daß er bey des Gasts seinen Eltern sein Lebtage auch viel Guts genossen hätte / welches sich der Gast aber unmöglich einbilden kan, sprechend, wie das seyn könte, sintemahl aus seinem Lande in dieses, oder aus diesem in jenes, wohl sein Lebtage noch niemand kommen wäre? Der Gutthäter aber, als der gewust hatte, daß auf seines Gasts seiner Eltern Hause ein Storch-Nest wäre, darinnen alle Sommer die Störche ihre Jungen ausheckten / nimmt seinen Gast auf die Seite, sagt ihm in ein Ohr, als etwas gantz geheimes, daß dieses das Land wäre, wohin im Winter die Störche zögen, weiset darauf auf seine in der Stube herumgehenden Kinder, und spricht: Mein lieber Freund! warum solte ich ihm nicht alle ersinnliche Ehre anthun? alle diese meine Kinder, die sind auf seines Vaters Hause ausgeheckt. Der Gast verwundert sich hierüber sehr, und bittet, ihm zu erzehlen, wie solches möglich wäre? Hierauf spricht der Wirth: Mein HErr! ich sage ihm in höchstem Vertrauen, daß ich und mein Weib alle Jahr im Frühlinge zu Störchen werden und fliegen in Teutschland, da wir eben auf seines[417] Herrn Vaters Hause unser Nest so viel Jahr geruhig besessen haben, und unsere Kinder alle dort ausgeheckt, als junge Störche; im August Monat wandern wir dort wieder weg, und in dieses Land, da sind wir so lange Menschen, biß wieder nach Ostern. Der Gast erstaunet über diesem Wunder, gedencket darnehen, er habe nun gnug erfahren, macht sich dannenhero des andern Tages wieder zu seiner Heimreise fertig, und erzehlet seinen Eltern, nebst Uberbringung eines Grusses von seinem Storch, wie weit er gewesen sey. Wie aber im Früh Jahre der Storch ankömmt, läuffter alsbald zu seiner Mutter, und spricht, sie möchte doch etwas zu essen machen, es sey ein fremder Gast ankommen / der ihn auf seiner Reise auch, nebst Bezeugung aller Ehre, gastiret hätte, den wolte er zu Gaste bitten. Die Mutter vermeynet, es sey alles gut, und macht sich mit dem Essen auf einen vornehmen Gast parat, unterdessen gehet der Herr Sohn in den Hof, siehet auf die Fäuermäuer nachdem Storche, ziehet seinen Hut tieff ab, und bittet diesen Mittag sein Gast zu seyn, und seine Frau Liebste mitzubringen; der Storch, als der zuweilen den Kopff und Schnabel in die Höhe geworffen, und geklappert, hatte ihm aber nicht nach Willen geantwortet; wie aber der Tisch gedeckt, und das Essen aufgetragen worden, fragen die Eltern, wo denn der Gast wäre? (denn der Sohn hatte Vorgegeben, er sey schon zugegen,) da lauffet der Herr Sohn aber mahl in den Hof und zunöthigt und zubittet sich an dem Mons. Storch, daß er[418] sich doch einstellen möchte / ehe das Essen kalt würde, daß er wohl, ich weiß nicht, wen? mit solchen guten Worten hätte bereden sollen, aber alles vergebens. Dannenhero er zum Vater kömmt / und spricht: Er solte doch hinaus gehen, und versuchen, ob er den Gast könte bereden / zu Tisch zu kommen, er wüste nicht, warum er nicht kommen wolte? ob ihm irgend die Frau gestorben, oder auf der Reise krank worden sey? denn er wäre allein auf dem Neste, und plapperte das hunderte ins tausende, daß er nicht verstehen könte, was er redete. Da hatten die Eltern erst die Thorheit des Sohnes gemercket, und ihn alsdenn noch ferner um die Sache gefragt, woher er auf die närrischen Gedancken kommen sey, hatten es ihm aber doch kaum wieder ausreden können. Eben nun, wie dieser ietzt beschriebene Ertznarr gewesen / so sind alle die, welche nach vorgesetztem Punct sich für Zahnweh praeserviren wollen.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 415-419.
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