Am 3ten Februar 1816

[131] 1.

Wie ohne Rast die Fluth der leichten Wogen

Sich zitternd regt in wandelbarem Schaum,

Wie ewig neu der Wolke zarter Flaum

Verschwebend wallt am blauen Himmelsbogen,

So werd' auch ich unruhig fortgezogen;

Bild folgt auf Bild, und Traum zerrinnt im Traum;

Im Frieden schon verstand mein Herz sich kaum,

Drum wird es jetzt im Kampfe ganz betrogen.

Nicht weiß ich mehr, was wahr, was eitel sey,

Ob Glaub', ob Furcht, ob Hoffnung in mir lebe,

Ob ich mich nun erfreue, nun betrübe;

Allein wie bunt in flücht'ger Gaukeley

Mein irrer Sinn auch hin und wieder schwebe,

Eins fühl' ich klar und ewig: daß ich liebe.
[132]

2.

O blute nur, du nie geschloßne Wunde,

Laß zögernd mich im langen Schmerz vergehn,

Bis sanftverhaucht des Lebens leises Wehn

Sich seufzend trennt von meinem bleichen Munde!

Und wenn dann erst in dunkler Schattenrunde

Um's Lager mir die Todesengel stehn,

Dann laß, o Gott, noch einmal sie mich sehn,

Die ich geliebt bis an die letzte Stunde!

Dann sinke sanft ihr Haupt zu mir hinab!

Der erste Kuß, den ich von ihr empfangen,

Er löse süß des Lebens Fäden ab!

Still riesle dann, wenn ich dahin gegangen,

Die erste Thrän' um mich von ihren Wangen

Und fall' umsonst, ach, auf mein stummes Grab!

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 3, Leipzig 1819–1820, S. 131-133.
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