Die Macht des Blicks

[157] An L. von ***.


Du wähnst des Dichters Phantasie

Begnüg', um lodernd zu entbrennen,

Mit einem bloßen Blick sich nie?

Ach, du mußt deinen Blick nicht kennen!


Sind Lieb' und Lieder nicht verwandt?

Apollo, den wir Vater nennen,

Geht mit der Anmuth Hand in Hand,

Wie sollt' er deinen Blick nicht kennen?


Das Band das sich um Beide schlingt

Ein kaltes Herz nur kann es trennen;

Wer liebt und nicht von Liebe singt,

Ach, der muß deinen Blick nicht kennen!


Die Liebe naht so süß und still,

Wer wollt' ihr nicht ein Plätzchen gönnen?

Doch wer sie nie behausen will,

Ach, der muß deinen Blick nicht kennen!

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 4, Leipzig 1819–1820, S. 157-158.
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