Triolette

[162] 1.

Wie sie dort auf dem Altane steht,

Leis' umwebt vom zarten Mondenschimmer!

Ach, so schön erblickt' ich sie noch nimmer,

Wie sie dort auf dem Altane steht.

Weh mir, sie bemerkt mich, ach, sie geht,

Und doch sieht mein Auge sie noch immer

Wie sie dort auf dem Altane steht,

Leis' umwebt vom zarten Mondenschimmer.


2.

Liebst du mich, so eil' es mir zu sagen,

Denn den Zweifel trag' ich länger nicht;

Brich dein Schweigen, fördre mein Gericht,

Liebst du mich, so eil es mir zu sagen,

Ach, wie wird mein Herz die Wonne tragen,

Wenn du schweigst, und nur dein Auge spricht:

Liebst du mich so eil' es mir zu sagen,

Denn den Zweifel trag' ich länger nicht.


3.

Willst du den losen Amor fangen,

So werde keck und wild wie er;

Kein Wagestück sey dir zu schwer,

Willst du den losen Amor fangen,

Denn stille Treu und leises Bangen

Die reitzen jetzt den Schalk nicht mehr.

Willst du den losen Amor fangen,

So werde keck und wild wie er.
[163]

4.

O wie süß ist ein geraubter Kuß,

Wenn das Mädchen keusche Lieb' empfindet,

Und ihr Auge leise nur verkündet:

O wie süß ist ein geraubter Kuß!

Glaube nicht, sie thu' es aus Verdruß,

Wenn sie dann sich deinem Arm entwindet;

Nein, zu süß ist ein geraubter Kuß,

Wenn das Mädchen keusche Lieb' empfindet.


5.

Geh nur, ich kann dich nimmer lieben,

So riefst du, und ich bebte nicht.

Das Wort scheint manchem von Gewicht:

Geh nur, ich kann dich nimmer lieben!

Doch wird es mich nicht leicht betrüben;

Der Haß ist stumm, die Liebe spricht:

Geh nur, ich kann dich nimmer lieben!

So riefst du, und ich bebte nicht.

Quelle:
Ernst Schulze: Sämmtliche poetische Schriften, Band 4, Leipzig 1819–1820, S. 162-164.
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