Die Schwaben im Winkel

[135] »Die süddeutschen Dichter, welche im schwäbischen Winkel sitzen.«

Deutscher Kritiker.


1837.


Kommt her, die ihr mit feinen Witzen,

Mit Nadelspitzen euch bewehrt!

Die Schwaben, »die im Winkel sitzen,«

Erwarten euch am frommen Herd!


Kennt ihr auch wohl den schnöden Winkel,

Das düstre Haus, das uns umzirkt? –

Smaragdnes Weinlaub, goldner Dinkel

Hat Wand und Estrich ihm durchwirkt.


Und wenn der Flocken trüb Gewimmel

Noch lang verfinstert eure Luft,

Spannt schon ein frühlingsblauer Himmel

Sein Dach aus über Blütenduft.
[135]

Die Donau spielt auf unsrer Schwelle,

Der Jüngling Rhein träumt schon vom Strand;

Der Dichtung volle Wunderquelle

Schießt auf und eilt in's deutsche Land.


Stromgötter tauchen aus den Fluten,

Der Sänger und der Seher naht,

Im Munde Klang, im Auge Gluten;

Nicht Winkelzüge sind sein Pfad:


Hier Schiller, mit der Donnerstirne,

Durch dessen Wort das Schicksal braust –

Er stieß das Puppenvolk am Zwirne

Von eurer Scene mit der Faust;


Dort Hölderlin – zu breiter Mündung

Er, Pindars Bruderstrom, entwallt;

Hier Schelling, dessen Lichtverkündung

Dem dunklen Ungrund gab Gestalt;


Dort Uhland – sein Gemüt versunken

In tiefer Zeiten heil'ges Lied –

Ein Schwan, deß Ton, gehöhnt von Unken,

Hoch über Land und Meere zieht.


Aus diesem Winkel schritt auch Hegel,

Verdeckter Blöße stolzer Schild,

Von dessen Blut manch dürft'ger Egel,

Für Augenblicke trunken, schwillt.


Nicht spotten sollt ihr unsres Strebens:

Auch unser Stral entsprang dem Quell,

Dem keuschen Born des Dichterlebens,

Und lauter will er bleiben, hell.


Den weiten Erdkreis füllt Gemeinheit,

Groß war sie, frech, zu jeder Zeit;

Das Gute bleibt an Zahl die Kleinheit,

Und ihr, ihr scheltet's »Kleinlichkeit?«
[136]

Heißt kleinlich der euch, der die Gruben

Unsaubern Lügentrödels scheut,

Nicht seine Hand dem Lotterbuben,

Dem feilen Museheuchler beut?


So mag, wer will, im Sumpfe spritzen

Bei aller Frösche grüner Brut;

Wir Schwaben, »die im Winkel sitzen,«

Wir tauchen uns in reine Flut;


Wir schwingen uns, wie unsre Seher,

Die Adler, auf zu Sonn' und Blitz;

Werft uns in's Blaue nach, ihr Schmäher,

Den Distelblumenstaub, als Witz!

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 135-137.
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