Der Köhler

[229] Es blüht ein schlesisch Haus

In Föhren kühl und still,

Das warnt der Tod mit Graus,

Wenn er drin würgen will.


Er schleicht durch Schloß und Wald

Als ruß'ger Köhlerknecht.

Da zittert Jung und Alt

Im adligen Geschlecht.


Froh bleibt nur Ein's vom Stamm,

Den Schwarzen sieht es nicht;

Das ist das Opferlamm,

Das durch das Herz er sticht. –


Im Schloß tönt Sang und Klang;

Doch, der die Saiten greift,

Der Harfner stocket bang:

Vorbei der Köhler streift.


Vom Tanz läßt Paar um Paar,

Der Bräutigam wird bleich,

Zerstoben ist die Schaar.

Die Braut glüht Rosen gleich.


Ihr ungesehen schwebt

Der schwarze Geist fernab;

Und übermorgen gräbt

Man an des Mägdleins Grab. –


Im Schloß ist Feiermahl,

Es hebt der feste Greis

Recht mutig den Pokal

Und fühlt sich jugendheiß.
[229]

»Ei, sitzet nicht so stumm!

Wollt ihr nicht fröhlich sein?

Was sehet ihr euch um?

Wir zechen ganz allein!«


Doch an der Pforte stand

Der ungeladne Gast;

Und Mitternacht schon fand

Den Greis im Stuhl erblaßt. –


Im Schloß rauscht Kinderlust,

Die holden Enkel drückt

Ein Wittib an die Brust,

Und dünkt sich jungbeglückt.


Sie hüllt der jüngste Knab'

In blonde Locken ein:

»Was wendest du dich ab

So blaß, lieb Mütterlein?«


Sein blühend Angesicht

Drückt er in ihren Schoos;

Er sah den Köhler nicht,

Der in den Arm ihn schloß.


So geht's von Jahr zu Jahr,

Noch lebt's und webt's im Saal;

Der Schatten unsichtbar

Naht Jedem doch einmal.


Und endlich wird es leer,

Und alles ward sein Raub.

Durch Föhren wandelt er

Hoch über Kohl' und Staub.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 229-230.
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