Die Engelskirche auf Anatolikon[208] 1

Es lacht ein Eiland Mit Feigenbäumen,

Mit Rosenlauben, Mit Rebenranken,

Wie sonst es schaffen Nur die Gedanken,

Wie man's nur schauet In Morgenträumen.


Es regt ein Volk sich Auf seinen Hügeln,

Das spricht die Sprache, Die alte, traute,

Die zu uns redet Mit Geisterlaute;

Und Freiheit deckt es Mit jungen Flügeln.


Es wohnt im Schutze Der heil'gen Engel,

Den Cherubinen Ist es vertrauet,

Von Marmor stehet Ihr Haus gebauet,

Im weißen Kleide, Rein, ohne Mängel.
[208]

Wohnt auch die Trauer In solchem Lande?

Warum verödet Die Rosenlauben?

Warum kein Liedchen Beim Saft der Trauben?

Kein Tausch der Waaren Am regen Strande?


Das macht, es wimmelt Dort auf den Wassern,

Und birgt sich hinter Den Felsenriffen:

Ein Heer von Masten, Von fremden Schiffen,

Ein grimmig Heer ist's Von Christenhassern!


Du Griechenvölkchen, Willst du verzagen?

Das Schwert der Väter, Hast's nicht geschwungen?

Hast mit der Freiheit Nicht Mut errungen? –

»Mut g'nug und Schwerter Sie zu erschlagen!


Doch sind's zu viele!« – Hast du nicht Mauern?

Hast du nicht Schanzen, Dich klug zu decken? –

»Ja, Thürm' und Wände, Der Feinde Schrecken,

Die zehn Geschlechter Wohl überdauern!« –


Und blühn nicht Früchte Dir gnug dahinter?

Kornähren, Feigen, Und Oel die Menge? –

»Mir naht kein Hunger, Der mich bedränge:

Mich nährt der Sommer, Nie folgt ein Winter.


Nur eins vergaß mir Natur zu spenden:

Kein Quell mir sprudelt Aus ihren Brüsten;

Sonst kauft' ich Wasser An fernen Küsten,

Jetzt wehrt der Feind mir An allen Enden!


Umsonst des Blutes Hab' ich vergossen,

In's Herz des Feindes Das Blei gesendet!

Die Kraft versieget, das Leben endet!

Er schickt den Durst mir, Den Bundsgenossen!«


Da will das Auge Sich traurig senken. –

Doch sieh! Die Menge, Die gläub'ge, wallet

Zum Haus der Engel, Und Flehen schallet:

»O Gott im Himmel, Du kannst uns tränken!


Machst deinen Engel Zu Wind und Wolke,

Machst deine Diener Zu Feuerflammen:

Da krachen Schiffe Zermalmt zusammen,

Da stürzt der Dränger Vor deinem Volke!
[209]

Heut nach der Erde Geheimster Ader

Laß deine Geister, Die treuen, spüren;

Wenn erst die Quellen Sich um uns rühren,

So zwingt uns nimmer Des Feinds Geschwader!


Erhör' uns, Retter!« So tönt's von Allen.

Hat er vernommen Die fleh'nde Stimme?

Warum nicht wehrt er Des Feindes Grimme?

Die Schlünde donnern, Die Kugeln fallen.


Und eine flieget Mit Sturms Gefieder,

Reißt durch des Tempels Gewölbte Decken;

Des Volkes Flehen Verstummt in Schrecken,

In seine Mitte Fährt sie hernieder.


Schlägt in den Boden, Wühlt in dem Grunde,

Sie gräbt so gierig In seinen Ritzen;

Da hört ihr's sprudeln, Da seht ihr's spritzen: –

Da quillt ein Brunnen Tief aus dem Schlunde!


Erzengel Gottes Sei hoch willkommen!

Du fährst als Donner Aus glühnden Blechen;

Springst aus den Tiefen In Wasserbächen,

Wenn's gilt zu retten Das Volk der Frommen!


Da schöpfet Jeder Vom heil'gen Quelle,

Durch alle Glieder Dringt Engelsstärke,

Sie schreiten fürder Zum großen Werke,

Fort aus dem Tempel, Hin auf die Wälle.


Dreitausend Kugeln Schickt aus den Schlünden

Zur heil'gen Insel Der Feind vergebens,

Sie all erlöschen Im Strom des Lebens:

So muß die Freiheit Sich ewig gründen.

Fußnoten

1 Kleine Inselstadt am Eingange des lepantischen Meerbusens, an Reiz der Lage Venedig vergleichbar. – Die Begebenheit berichtete die Allgemeine Zeitung vom 25. Februar 1824.


Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 208-210.
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