Ein Vorbote

[245] Im Café Greco trinken spät

Zu Rom die Künstler plaudernd.

Die Thür sich in der Angel dreht,

Ein Diener naht sich schaudernd.


»Woher noch, Mensch, so bleich und stumm?

Ist Mord los, oder Feuer?« –

»Herr! in Thorwaldsens Studium,

Dort ist es nicht geheuer!«


Und bei dem Namen – weiß nicht wie –

Die Herzen ernster schlagen;

Des greisen Meisters denken sie

Im fernen Kopenhagen.


»Was ist's?« – »Mich führte spät am Tag

Ein Auftrag, Herr, zur Stelle;

Da hört' ich drinnen Meißelschlag

Und rief: mach' auf, Geselle!


Kein Wort. Mein Schlüssel thut mir auf:

Im Vorplatz nichts zu schauen,

Doch hinterm Umhang, drauf und drauf,

Da meißelt's, mir zum Grauen.


Ich schlüpf' hinein; der Saal ist leer,

Ganz öde, Mondenschimmer.

Vom zweiten Vorhang schallt es her,

Vom Heiligtum im Zimmer.
[245]

Dort, wo ich oft den alten Herrn

So mutig hämmern hörte,

Mit Frag' und Sendung gar nicht gern

In tiefer Arbeit störte.


Ich mußt' hinein – da schwieg der Laut;

Doch sah ich jetzt Gesichte:

Denn Bild an Bild herunterschaut

Beseelt im Mondenlichte.


Und Lippen rührten hier und dort

Sich, marmorne, zum Klagen,

Als wollten sie ein schrecklich Wort,

Ein schrecklich Wort mir sagen!


Wenn Totes, Herr, lebendig wird,

So will der Tod an's Leben!

Ein Lufthauch zieht, ein Käuzchen schwirrt;

Ich eilte weg mit Beben.«


Nachdenklich hört's der Künstlerkreis,

Doch zwinget Scherz das Grausen:

»Nicht mach' uns da Gespenster weiß,

Wo nur die Genien hausen!


Hebt hoch den Kelch! stoßt an mit Macht!

Thorwaldsen lebe, lebe!

Zerreißt der abergläub'schen Nacht

Ihr närrisch Traumgewebe!«


Des Meisters treuster Schüler saß

Allein verstummt im Bunde;

Beiseite ließ er stehn das Glas,

Und merkt sich Tag und Stunde. –


Und wieder – ohne Sang und Klang –

Die Künstler sind beisammen;

Ein Flüstern geht den Reihn entlang,

Und Totenkerzen flammen.


Dort in Thorwaldsens Studium

Beweinen sie den Vater.

An jenem Abend sank er um

Im dänischen Theater.
[246]

Des Künstlerlebens klarer Strom

Verrann im heim'schen Sunde.

Die Seele, scheidend, flog nach Rom,

Bracht' ihren Werken Kunde.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 245-247.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Holz, Arno

Papa Hamlet

Papa Hamlet

1889 erscheint unter dem Pseudonym Bjarne F. Holmsen diese erste gemeinsame Arbeit der beiden Freunde Arno Holz und Johannes Schlaf, die 1888 gemeinsame Wohnung bezogen hatten. Der Titelerzählung sind die kürzeren Texte »Der erste Schultag«, der den Schrecken eines Schulanfängers vor seinem gewalttätigen Lehrer beschreibt, und »Ein Tod«, der die letze Nacht eines Duellanten schildert, vorangestellt. »Papa Hamlet«, die mit Abstand wirkungsmächtigste Erzählung, beschreibt das Schiksal eines tobsüchtigen Schmierenschauspielers, der sein Kind tötet während er volltrunken in Hamletzitaten seine Jämmerlichkeit beklagt. Die Erzählung gilt als bahnbrechendes Paradebeispiel naturalistischer Dichtung.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon