Kaiser Heinrichs Waffenweihe

[236] Der junge König Heinrich schlief

Zu Goßlar in der Kammer tief,

Verschlossen waren alle Thüren,

Es durfte sich kein Leben rühren,

Kein Hall den langen Gang durchlief,

Der junge König Heinrich schlief.


Doch wenn der Herr im Himmel spricht,

Hilft ein Gebot zu schweigen nicht;

Die Winde durch die Hallen pfeifen,

Die Tropfen an das Fenster streifen,

In manchem rauhen Donnerschlag

Entlastet sich der heiße Tag.


Die Diener schleichen auf den Zeh'n,

Sie wagen nicht herein zu seh'n:

Will er das Wetter überhören –

Nicht wollen sie den König stören;

Bis daß ein Knall das Haus durchdringt,

Und mit Geklirr die Kammer klingt.


Da flieget bei des Herrn Gefahr

Herbei der bleichen Knechte Schar,

Man hört nicht mehr den Regen fallen.

Man hört nicht mehr den Donner hallen,

Man höret nur der Füße Tritt

Und schwerer Männer Eisenschritt.
[236]

Sie öffnen scheu das Flügelthor –

Verschlossen ist des Königs Ohr,

Sein Auge schläft noch schlummertrunken;

Und wie es auf den Pfühl gesunken,

So liegt sein junges Haupt in Ruh',

Die gelben Locken decken's zu.


Doch über'm Bette Schwert und Schild –

Sie hängen, der Zerstörung Bild,

Der Stahl geschmelzt wie in der Esse,

Der Schild zerdrückt, wie von der Presse,

Durch Leder und durch Eisen fuhr

Der Blitz und ließ die heiße Spur.


Die Diener starren; jetzt erwacht

Ihr König aus des Schlafes Nacht,

Es fliegt sein Blick nach seinen Waffen

Und sieht sie staunend umgeschaffen;

Gar bald errät er was geschah,

Spricht: »Großer Meister, warst du da?


Mir däucht, ich hörte doch dein Lied,

Ich hörte hämmern dich, o Schmied!

Sah deine Loh das Leder gerben,

Sah deine Glut das Eisen färben,

Zu stehen meint' in kühnem Traum

Ich hoch in deiner Werkstatt Raum!«


Der König von dem Lager sprang,

Bald in der Hand den Hammer schwang,

Er läßt ihn auf dem Schwerte klingen,

Will selbst, was Gott begann, vollbringen,

Das Eisen, warm noch, schmiedet er,

Und stellt den Schild aus Falten her.


Und auf der langen Herrscherbahn

Hat er manch Kleid sich umgethan,

Mit mancher Brünne, schön gedrechselt,

Mit manchem Helm hat er gewechselt,

Doch Schild und Schwert vertauscht' er nie,

Die Gott im Wetter ihm verlieh.
[237]

Es fuhr der Blitz aus seinem Stahl

Im Streite zweiundsechzig Mal,

In zweiundsechzig Kämpfen deckte

Der Schild ihn, der vom Stral beleckte;

Stets flammte Schwert und Schild wie neu,

Stets blieb ihm Schwert und Schild getreu.


Der Donner war sein Ritterschlag;

Und als im Sarg er endlich lag,

Da schien die Kron' auf seiner Bahre

Verbleicht, wie seine greisen Haare,

Doch sonnig glänzte Schwert und Schild,

Der Königsjugend stralend Bild.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 236-238.
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