2. Wie der Probst gestraft wird

[411] Auf dem Helfenberger Schlosse,

In des Thurgau's fettem Thal,

Sitzt der Probst mit edlen Herren,

Hält beim roten Wein das Mahl.

Aber röter als der Wein

Fängt der Himmel an zu stralen,

In den klaren Teichen sehn

Sie die dunkle Glut sich malen.


Bußnang steht in düstern Flammen,

Keßwyl's alter Thurm, er raucht,

Enn' und Bürglen glühn zusammen,

Eins vom andern angehaucht.

Qualm erfüllt das grüne Thal,

Immer steigt die Flamme heller,

Und im Fliehen ruft ein Knecht:

»Herr, ach Herr, die Appenzeller!«


Und es hebt der Vogt von Schwendi

Blaß und zitternd sich vom Mahl,

Und der Vogt der Abteszelle

Stürzet flüchtig in den Saal.[411]

Aus dem Schlaf ward er gejagt

Mit dem ersten Morgenschimmer,

Und der Hirte hinter ihm

Riß die Burg in Schutt und Trümmer.


Oede wird es an den Tischen,

Zu den Waffen ruft der Probst,

Doch ihn warnt ein frommer Ritter:

»Herr! umsonst ist's, daß du tobst.

Als du Vater schlugst und Kind,

Und auf Menschen hetztest Hunde,

Brannten deine Burgen schon,

War gekommen deine Stunde!


Lege gütlich dich zum Ziele;

Was du thatst im Zornesmut,

Büße mit gelinden Worten,

Kluge Reu' macht vieles gut!«

Zag und trotzig spricht der Probst:

»Seht Ihr Bürger von Sankt Gallen?

Mit den Bauren handl' ich nicht;

Bürger lass' ich mir gefallen.«


Und den Feinden vor der Veste

Thut sich auf das alte Thor;

Würd'ge Bürger von Sankt Gallen

Bringen ihr Begehren vor.

Freundlich von dem roten Wein

Schenkt der Probst den ernsten Gästen;

Ihnen, nur den Hirten nicht,

Uebergiebt er seine Vesten.


Doch die schlichten Appenzeller

Trauen ihrem Feinde nicht,

Es gelüstet sie, zu schauen

Ihres Gegners Angesicht.

Der so vielen Leids gethan,

Selber wollen sie ihn hören;

Kam aus seinem Mund der Eid,

Wollen sie ihm Frieden schwören.
[412]

Als sie zornig dieß bedeutet,

Thut sich auf das alte Thor,

Und auf seines Schlosses Brücke

Tritt der stolze Probst hervor.

Zitternd unter seinem Schritt

Schwankt das Brett und bebet lange,

So, den Abgrund unter sich,

Steht der Herr und schwöret bange.


Und die Schar betrübter Ritter

Ziehet stille mit ihm aus.

Auch der Hirte schwur ihm redlich,

Wandelt ohne Groll nach Haus.

Einsam, aufrecht steht die Burg

Zwischen den verheerten Auen,

Darf, geschirmt von Männereid,

Hoch auf Trümmer niederschauen.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 411-413.
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