3. Wie die Schwabenstädte Abt Kuno Hilfe senden

[413] Wandrer mögen gerne spähen

Von dem Vögliseck in's Land,

Sich den blauen See besehen

Und die Städte längs dem Strand:

Bregenz unter düstern Fichten,

Helles Lindau, Inselstadt,

Mörsburg zwischen Wein und Früchten,

Kostnitz, das den Rheinstrom hat;


Aber das ist nicht, was heute

Sieht der Appenzeller Hirt,

Dessen Blick die offne Weite,

Finstrer Sorgen voll, durchirrt:

Er zählt nur die Männerscharen,

Die aus Schwabens Städten ziehn,

Er sieht nur die Schiffe fahren,

Alle her und keine hin.


Wie von giftigen Gewürmen

Wimmelt das Gestade schon,

Fröhlich von Sankt Gallens Thürmen

Lädt sie ein der Glocken Ton.[413]

Und ein Wiehern steigt von Pferden

Aus dem tiefen Thal herauf;

Nach der Heimat mit den Heerden

Eilt der Hirt in schnellem Lauf.


Drunten meldet er die Kunde;

Und, die Panzer angethan,

Fängt in seinem Wiesengrunde

Appenzell zu tagen an.

Doch wer soll dir Kundschaft bringen

Aus der feindevollen Stadt,

Völklein, das zu solchen Dingen

Wenig Witz und Gabe hat?


Greif' nur mutig zu den Wehren,

Küre deinen Landshauptmann;

Wirst du doch die Welt bald lehren,

Was die kluge Unschuld kann:

Deine Töchter werden Boten,

Ziehen zu dem Feind mit Lust;

In den Miedern bebt, den roten,

Mutig eine treue Brust!


Durch die Thore von Sankt Gallen,

Wo der Wächter stehn genug,

Läßt man doch die Mägde wallen

Mit der Milch im schmucken Krug.

Denn die Städter in dem Saale

Mit des See's bejahrtem Most

Tränkt der Abt, doch zu dem Mahle

Taugt der Alpen fette Kost.


Und die Jungfraun stehen drinnen

Zierlich in des Klosters Flur,

Spähn mit klugen Weibersinnen,

Kommen vielem auf die Spur:

Wo Herr Kuno mit den Schwaben

Hält beim Becher lauten Rat;

Wenn sie g'nug erlauschet haben,

Gehn sie heim auf steilem Pfad. –
[414]

Jene tagten auf der Wiese,

Bis die Schar der Töchter kam,

Und zum Vater eilet diese,

Die zum rüst'gen Bräutigam:

»Männer! weiter nicht gesäumet,

Auf, gen Speicher diese Nacht!

Wenn sie meinen, daß ihr träumet,

Haltet vor dem Lande Wacht!«


Und zweihundert sind gerüstet,

Eh' der Mond am Himmel scheint,

Die nach kühnem Kampf gelüstet

Gegen zehnmal stärkern Feind.

Einen klugen Scharenmeister

Hat das treue Schwyz gesandt;

Stille ziehen sie wie Geister,

Nächtlich auf des Berges Rand.


Ueber ihren Häuptern gehet

Trüb und rot ein seltner Stern,

Wie den Scheitel Haar umwehet,

Wallt ein Schweif um seinen Kern.

Wohl ist er ein finster Zeichen,

Wo er scheint, da fließet Blut;

Fließ' es denn von unsern Streichen!

Denken sie im hohen Mut.

Quelle:
Gustav Schwab: Gedichte. Leipzig [um 1880], S. 413-415.
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